© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/23 / 19. Mai 2023

Ein Werkzeug mit Gesicht
Der KI-Boom krempelt die Medienwelt um / Verlage, der ÖRR und Soziale Medien versuchen mitzuhalten
Kenneth Wishöth

Der jüngste Erfolgszug sogenannter „generativer KI“-Systeme, beispielsweise Chatbots wie ChatGPT, der seit seiner Veröffentlichung im November 2022 bereits über 100 Millionen Nutzer anzog – und damit einen globalen Hype auslöste, – zeigt eindrücklich den grundlegenden technischen Fortschritt sowie die explodierende Popularität künstlicher Intelligenz (KI). Ihr Einsatz auch in Unternehmen habe sich seit 2017 mehr als verdoppelt, berichtet  die Unternehmungsberatungsfirma McKinsey in „State of AI“ auf Basis einer globalen Umfrage. 63 Prozent der Befragten teilen die Annahme, daß ihre Organisationen weiter in KI-Technologien investieren werden. Bei der künftigen Integration der fortschrittlichen Werkzeuge in Geschäftsabläufe stellt sich nicht mehr die Frage nach dem „ob“, sondern vielmehr nach dem „wann“ und „wie“.

KI wühlt auch die bisherigen Unternehmensroutinen im Medienbetrieb auf. Die im Januar erschienene, von der Bundesregierung geförderte Untersuchung „Künstliche Intelligenz im Journalismus. Potenziale und Herausforderungen für Medienschaffende“ zeigt detailliert, wie KI bereits heute in vielen Redaktionen zum Einsatz kommt. Neben der Unterstützung von Journalisten bei ihrer Recherchearbeit und der Auswertung großer Mengen von Daten, wird die Technologie demnach sogar dazu eingesetzt, komplett automatisiert eigene Meldungen, Bilder oder Videos zu erstellen.

Aber auch auf der Nutzerseite der Nachrichtenangebote findet KI inzwischen Anwendung. Durch sie können Inhalte einfacher auf den einzelnen Interessenten zugeschnitten werden, um so die Nachrichtensuche zu erleichtern und die Nutzererfahrung zu verbessern. Kein Wunder also, daß Medienhäuser KI-Technologie mit offenen Armen als Effizienz und Produktivität steigerndes Werkzeug empfangen. Auf der einen Seite unterstützt sie die Redakteure bei mühseligen Fleißaufgaben, wodurch sie ihnen mehr Freiraum für anspruchsvollere und kreativere journalistische Tätigkeiten verschafft, und auf der anderen Seite hilft sie dabei, den Inhalt für die Empfänger anzupassen.

Die sächsische AfD erhebt Einwände bei der Rundfunkanstalt

Dieser KI-Gebrauch wirkt allerdings mehr als bescheiden im Vergleich zu den extravaganten Anwendungsformen, die KI in der internationalen Pressewelt findet. Nachdem die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua bereits 2018 die ersten auf KI basierenden Nachrichtensprecher vorstellte, die mittels Maschinenlernen echte Moderatoren replizieren sollen, hat nun auch die Redaktion der „Kuwait News“ die virtuelle blonde Nachrichtensprecherin „Fehda“ ins Rennen geschickt.

Natürlich wollen hierzulande die Landesmedienanstalten Zugriff auf diese neue Technologie. So entwickelt das IT-Unternehmen Condat AG die „KIVI“-Software unter Federführung der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen. Ein Tool zur automatisierten Suche und Meldung von als problematisch angesehenen Inhalten im Netz. Mit schlüsselwort- und linkbasierten Suchen sowie Bilderkennung durchleuchtet das Programm Internetseiten und soziale Netzwerke, um Gesetzesverstöße festzustellen und Verdachtsfälle an reale Angestellte der Anstalten weiterzuleiten. Außer einer Auskunft der Landesmedienanstalt NRW darüber, daß momentan große, einschlägige Plattformen, unter anderem Youtube, TikTok, Twitter und Telegram gescannt werden, ist weder bekannt welche herkömmlichen Webseiten durchsucht noch welche Schlüsselwörter oder Bildmaterialen als Vergleich verwendet werden.

Die sächsische AfD-Landtagsfraktion hat deshalb erste Schritte zur investigativen Beleuchtung der Hintergründe und Etablierung des „KIVI“-Projekts in Angriff genommen. Mit „KIVI“ verfügen die Landesmedienanstalten als Aufsichtsbehörden für private Radio-, Fernseh- und Telemedien über ein mächtiges Kontrollwerkzeug, das nur wenig Transparenz zuläßt. Und das, obwohl die Software längst bundesweit von allen Medienanstalten genutzt wird und künftig sogar im EU-Ausland in Umlauf gebracht werden soll. Bemerkenswert ist, daß die Condat AG auf ihrer Webseite ZDF, MDR und RBB als Kunden auflistet. Künftige Ambitionen liegen hier nahe.

Der diesjährige Bericht von „Reporter ohne Grenzen“ zog jetzt schon erschütternde Bilanz, was den Einfluß des KI-Booms auf das internationale Pressewesen angeht. Desinformation, Propaganda und die Untergrabung von Qualitätsjournalismus durch Regierungen, aber auch politisch motivierte Akteure sei leichter als je zuvor. Erste Anzeichen für diesen Trend liefern staatsnahe und teils sogar staatsfinanzierte international agierende „Faktenchecker“-Dienste wie „NewsGuard“ (JF 15/23), die ihre politischen Vorurteile in die Bewertung und folglich die Markierung von aus ihrer Sicht unliebsamen Nachrichtenoutlets einfließen lassen und dabei auffällig häufig konservative Plattformen wie „Fox News“ oder die New York Post ins Visier nehmen.

Durch eine solche gewichtete Anwendung der Risiko- und Zuverlässigkeitsbewertung besteht die Möglichkeit, Werbekundeneinnahmen zu lenken, was einer geheimen Schwarzen Liste gleichkommt. „NewsGuard“ erhielt 2021 750,000 Dollar vom amerikanischen Verteidigungsministerium, die primär in die Weiterentwicklung des hauseigenen „Misinformation Fingerprint“-Tools der Seite fließen soll. Eine umfangreiche Kartei von „Falschnachrichten“, die speziell für die Fütterung von KI-Systemen kreiert wurde, um diese auf die automatisierte Suche und Aufdeckung von vermeintlichen Fehlinformationen zu trainieren. Als konkrete Beispiele für solche Informationen werden im offiziellen „Social Impact Report“ der Seite unverblümt „gängige Mythen“ zu den Themen Wahlbetrug, QAnon und Covid-19-Impfstoffen aufgezählt.

Interessant ist außerdem, daß neben der Kooperation mit dem Pentagon und dem US-Aßenministerium auch Privatfirmen wie Microsoft als Partner aufgelistet sind, dessen Gründer Bill Gates erst Anfang des Jahres im Handelsblatt-Podcast Disrupt sagte, daß KI „entfesselt“ werden sollte, um die Verstärkung bestimmter Sichtweisen in „digitalen Kanälen“ zu stoppen.