© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/23 / 19. Mai 2023

Die Blutspur führt ins Königshaus
Rückgabe von Kulturgütern: Die Benin-Bronzen befinden sich jetzt wieder im Besitz der Erben der Menschenschlächter
Paul Leonhard

Der Streit um die bedingungslose Übergabe der sogenannten Benin-Bronzen an Nigeria durch Deutschland erreicht gegenwärtig eine neue Dimension. Es ist das eingetreten, was Afrikakenner befürchtet hatten, was die Bundesregierung aber nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Diese hatte die Eigentumsrechte der in deutschen Museen befindlichen 1.117 Objekte an das erdölreiche afrikanische Land, auf dessen heutigem Staatsgebiet das Königreich Benin einst lag, übereignet. Die Hoffnung Berlins, daß die Mehrzahl der Gegenstände als Leihgaben Nigerias im Land verbleiben könnten und die übrigen in einem neuen Nationalmuseum, dessen Bau Deutschland mitfinanzieren wollte, allen Einwohnern des Vielvölkerstaates zugänglich gemacht würden, hat sich als trügerisch erwiesen, seit Muhammadu Buhari, scheidender Staatspräsident, sie an den Oba (Herrscher) von Benin übergeben hat. Eine politische Entscheidung, die mit dem Einfluß der weitverzweigten und international wirtschaftlich einflußreichen Königsfamilie zusammenhängen dürfte.

Die Gegenstände würden nicht dem Staat Nigeria gehören, sondern allein dem Königshaus in Benin-City, heißt es in dem Präsidentendekret. Das betreffe sowohl restituierte Objekte als auch jene, auf die Ansprüche bestehen. Damit tat Buhari genau das, was er schon Ende 2021 angekündigt hatte, dem aber weder Bundesregierung noch Auswärtiges Amt oder gar die einer Art Rückgabeenthusiasmus verfallenen Museumsdirektoren bei den Vertragsverhandlungen mit Nigeria irgendeine Aufmerksamkeit geschenkt hatten.

Auftakt zu einer beispiellosen Entleerung europäischer Museen

Um so mehr trifft dieser Rückschlag die Gutmenschen in der Regierungszentrale in Berlin. Waren doch im Dezember Außenministerin Annalena Baerbock und Kulturstaatsministerin Claudia Roth eigens nach Nigeria geflogen, um dort in einem Staatsakt die ersten 20 Benin-Bronzen zu übergeben beziehungsweise dahin zurückzubringen, wo sie – so die Lesart der deutschen Mainstreammedien – „vor über hundert Jahren geraubt worden“ waren. Zwar von britischen und nicht von deutschen Kolonialkriegern, aber zumindest der Hehlerei hätten sich deutsche Museen schuldig gemacht, obwohl diese die Objekte entsprechend damals geltendem Recht legal erwarben.

Die symbolische Rückgabe sollte den Auftakt zu einer beispiellosen Entleerung europäischer Museen bilden. Die in Deutschland befindlichen rund Bronzen sollten in den nächsten Jahren entweder nach Nigeria überführt werden oder bestenfalls als Leihgaben des nigerianischen Staates in den Museen verbleiben dürfen – natürlich nur unter dem Hinweis, daß es sich um Zeugnisse eines großen Kunstraubes der Europäer handelt.

Aber hat es sich wirklich um einen Kunstraub gehandelt? Und waren die Bronzen vor 100 Jahren tatsächlich eine lohnenswerte Beute? Und stammen sie tatsächlich aus dem Palast des damaligen Königs?

Diese Details spielen in der gegenwärtigen Diskussion keine Rolle. Dabei ist ein Blick auf sie durchaus lohnenswert, um zu verstehen, was seinerzeit in Benin stattgefunden hat. Die britische Strafexpedition hat 1897 ein barbarisches Regime gestürzt, das nicht nur seit Jahrhunderten die Nachbarstaaten bekriegte, sondern seinen Reichtum dem Sklavenhandel mit den Europäern verdankte. Die meisten der Bronzen waren Teil eines religiösen Kults, in dessen Mittelpunkt Menschenopfer standen. An den Benin-Bronzen klebt im wahrsten Sinne des Wortes Blut.

Die dem Ahnenkult dienenden Altäre mit den Bronzen wiesen noch deutliche Spuren der zuvor verübten Menschenopfer auf, zitierte die Schweizer Ethnologin Brigitta Hauser-Schäublin 2021 in einem Gastbeitrag für die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) aus zeitgenössischen Quellen: „Einer der Militärärzte klopfte leicht an einen Bronze-Gedenkkopf und stellte fest, dass eingetrocknetes Blut herunterrieselte.“ Die Briten fanden nach der Erstürmung der Königsstadt nicht nur die Leiber von drei enthaupteten Europäern vor, sondern auch 176 geköpfte Leichen in der Nähe und Überreste von Hunderten menschlicher Körper.

Viele Museen in Europa und den USA wollten die Bronzen haben

Das Entsetzen war so groß, daß der britische Kommandeur keine andere Lösung sah, um die traditionellen Menschenopferrituale des aggressiven Königreiches ein für allemal zu beenden, als sämtliche sakralen Gegenstände – nach heutigen Schätzungen rund 3.500 bis 4.000 meist aus Gelbguß bestehende Bronzen sowie Terrakotta, Elfenbein- und Holzschnitzereien – außer Landes zu bringen. Es sollte ein Schlußstrich unter die aus europäischer Sicht nicht länger hinnehmbare blutige Opfertradition des selbstbewußten Königreichs gezogen werden.

Und erst als in Großbritannien die Kosten für die Einlagerung der Bronzen zu hoch erschienen, machte man sich Gedanken um deren Entsorgung. Exakt an dieser Stelle kommen die heute diffamierten Kunstsammler und Museumsdirektoren ins Spiel, die in dem aus Sicht des Militärs afrikanischen Metallschrott einzigartige Kunstgegenstände erkannten und diese losgelöst von ihrer blutigen Geschichte zu sammeln begannen.

Der Run auf die Benin-Bronzen begann: Jedes Museum wollte sie haben. Und es gab reichlich. Nach Angaben von Wikipedia besaß vor zwei Jahren das Britische Museum in London 700 Bronzen, das Ethnologische Museum Berlin 560, das Pitt Rivers Museum Oxford 327, das Weltmuseum Wien 200, das Museum für Ethnologie Hamburg 196, das Ethnologische Museum Dresden 182 und das Metropolitan Museum of Art New York 163 – um nur die größten Sammlungen zu benennen. Die weltweit drittgrößte Sammlung besitzt Nigeria selbst.

Trotzdem habe es sich um eine „gewaltsame Plünderung“ gehandelt, findet Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die über den größten Bestand an Benin-Bronzen in Deutschland verfügt, deren Unrechtskontext „stets unbestritten“ war. Hauser-Schäublin hält dagegen, daß die Geschichte Benins von Aktivisten schöngeredet werde: Historische Fakten würden als Fake-News, die Blutspur als Lüge und das Königtum als hilfloses Opfer britischer Aggression dargestellt, dem nun endlich Genugtuung – Rückgabe der Objekte – zuteil werden müsse.

Es sind die Nachfahren der ehemaligen Sklavenhändler und Massenmörder, die jetzt nach dem Willen des nigerianischen Präsidenten als „ursprüngliche Eigentümer und Bewahrer der Kultur, des Erbes und der Tradition des Volkes des Königreichs Benin“ ihre blutigen Artefakte zurückerhalten. Der 69jährige Ewuare II., seit 2016 amtierender König von Benin, hat damit das erreicht, was seine Vorfahren seit 1914 fordern: die Rückgabe der beschlagnahmten Kultgegenstände. Welchen Eindruck das auf die von diesen einst bekriegten und versklavten Völker macht, wird die Zukunft zeigen.

In der FAZ erinnerte Hauser-Schäublin daran, daß das Königreich Benin bis zu seiner Unterwerfung durch die Briten schlimmste Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen habe: „Notorische Angriffskriege über Jahrhunderte hinweg mit Plünderungen, Zerstörungen, Massakern, Versklavung von Kriegsgefangenen, Menschenopfer zu Ehren der in den Gedenkköpfen repräsentierten Ahnen sowie Sklavenjagd und -handel in großem Stil.“

Der König von Benin hat der Gewalt längst nicht abgeschworen

Zwei Jahre zuvor hatte die Schweizerin in der NZZ geschrieben: Wer heute so tue, als wären die Kunstgegenstände „Repräsentanten eines früher demokratisch regierten, friedfertigen Volkes, eines Volkes, das nun endlich seine Seele – die Benin-Bronzen – zurückhaben möchte“, warum frage der nicht auch nach den „Stimmen aller der anderen, der einfachen Leute der Edo, der Nachkommen der in Benin als Sklaven gehaltenen Menschen oder jener afrikanischen Soldaten, welche nur knapp das Massaker überlebt hatten, weil sie von den Briten halb tot aus den Leichengruben geborgen worden waren? Wer leiht sein Ohr den Nachbargruppen, die Opfer der Benin-Aggressionen waren?“ 

Der König von Benin und seine Verbündeten haben der Gewalt längst nicht abgeschworen. Daß wurde deutlich, als sich Osazee Amas-Edobor, Sprecher einer „Coalition of Benin Socio-Cultural Organizations“, gegen den Bau eines staatlichen Museums polemisierte und die Errichtung eines königlichen Museums unter der Ägide des Palastes verlangte. Um das durchzusetzen werde man auch vor Gewalt nicht zurückschrecken: „Während der Invasion von 1897 verteidigte das gesamte Volk von Benin den Palast, und wieder einmal sind wir bereit, das zu verteidigen, was den Palast betrifft“, zitierte ihn der in Lagos erscheinende Vanguard.

Es könnte also durchaus sein, daß die Restitution nicht etwa „Wunden der Vergangenheit heilt“, wie Baerbock hofft, sondern schlecht verheilte aufreißt. Nigeria ist ein Vielvölkerstaat, in dem 220 Millionen Menschen leben, mehr als 500 Sprachen gesprochen werden und in dem es Hunderte verschiedene ethnische Gruppen gibt und in dem die Kolonialgeschichte bisher kaum eine Rolle spielt. Wenn sich das jetzt ändern sollte, spielen die blutigen Benin-Bronzen dabei erneut eine unrühmliche Rolle.

So protestierte bereits im Dezember eine New Yorker Organisation von Nachfahren westafrikanischer Sklaven gegen die pauschale Rückgabe der Bronzen an Nigeria. Das Königreich Benin sei 300 Jahre lang am transatlantischen Sklavenhandel beteiligt gewesen, erinnert Deadria Farmer-Paellmann, Direktorin der gemeinnützigen „Restitution Study Group“. Als Gegenwert für die versklavten Menschen der Nachbarvölker habe der König von Benin Armreifen aus Metall – das übrigens aus den Blei-Zinkerz-Lagern im Rheinland stammt – erhalten, die dann eingeschmolzen und zu Bronzen verarbeitet wurden.

Deutschland tue das Richtige, wenn es die Benin-Bronzen aus dem 12. bis 15. Jahrhundert, also vor dem Sklavenhandel restituiere, so Farmer-Paellmann, die aus dem 16. bis 19. Jahrhundert dürften aber nicht an die „Nachkommen und Erben der Sklavenhändler“ übereignet werden, die ihre Menschenopferrituale erst mit der britischen Strafexpedition 1897 beenden mußten. Diese sollten an den Orten verbleiben, „in denen wir heute als Folge der Sklaverei leben“.

„Für die deutsche Politik und die ihren Zielen dienenden Museumsleute endet die Rückgabe der Bronzen an das nigerianische Volk in einem Fiasko“, schreibt Hauser-Schäublin in der FAZ. Aus öffentlichem Gut werde exklusives Privateigentum, denn künftig dürfen die Bronzen nur noch mit Genehmigung des Oba als Leihgaben herausgegeben werden. Und die FAZ kommentiert dazu: „Wer Kunst nach Afrika restituiert, kann sie nicht mehr vor partikularen Interessen schützen. Das ist die Lehre, die die deutsche Politik aus der Rückgabe der Benin-Bronzen ziehen muß.“