Die Beteiligung Externer an der deutschen Gesetzesentstehung ist vielfältig: Sachverständige werden zu öffentlichen Anhörungen eingeladen, interessierte Verbände zu Stellungnahmen aufgefordert, Institute erarbeiten Gutachten und Kanzleien werden von der Regierung mit der Erstellung ganzer Gesetzesentwürfe beauftragt. Die Bundesregierung von Union und SPD (2017 bis 2021) hat 1,073 Milliarden Euro für externe Unterstützungen ausgegeben – davon das Innenministerium 493 Millionen Euro, das Verkehrsministerium 197 Millionen und das Finanzministerium 122 Millionen.
Das jetzige Ampel-Kabinett (SPD, Grüne, FDP) hat im ersten halben Jahr ihres Amtes Verträge im Wert von mindestens 271 Millionen Euro für entsprechende Dienstleistungen abgeschlossen – Tendenz steigend. Dafür mag es durchaus gute Gründe geben: eine spezielle Sachkunde, die in den Ministerien nicht oder nicht im erforderlichen Umfang vorliegt; ein Eilbedarf, wie er zur Zeit der Finanzmarktkrise (2008), der Corona-Pandemie (2020/21) und der drohenden Energiemangellage im Ukraine-Krieg (2022) oder aktuell durch die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) bestand; schließlich ein flexibler Personaleinsatz, bei dem große Kanzleien Erfahrungen in der kurzfristigen Zusammenstellung eines Beraterteams haben.
Enger Rahmen der Diskussion und bei der Entscheidungsfindung
Kritisch ist vor allem das „Gesetzesoutsourcing“ an Anwaltskanzleien zu sehen. Zum Beispiel sorgte die Entwurfserarbeitung zum Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG) durch die Großkanzlei Linklaters (2009) für erhebliche Diskussion. Ohne konkrete ministerielle Vorgaben bestimmt ein Entwurf de facto den Rahmen der Diskussion und die Entscheidungsfindung. Zudem sind Anwälte entsprechend ihrem Beruf Vertreter von Sonderinteressen, so daß Interessenkonflikte nicht ausbleiben. So könnte eine langjährige Tätigkeit für Mandanten aus der Wirtschaft Wirkung auf einen wirtschaftsrechtlichen Gesetzentwurf haben.
Zumal die Entwurfsfertigung einmalig ist, während zukünftige private Mandatsverhältnisse von der Zielrichtung des erarbeiteten Gesetzentwurfes profitieren können. Schließlich fallen hohe Kosten an. Gemäß Artikel 33 Absatz 4 Grundgesetz (GG) ist „die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ... als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen“ – was zumindest bei der Delegation der Entwurfserstellung an Dritte Fragen aufwirft.
Zudem verlangt das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) hinreichende Transparenz der Gesetzesentstehung. Von daher sollte bei Gesetzesentwürfen zukünftig eine Offenlegungspflicht hinsichtlich einer Beteiligung Dritter vorgeschrieben werden, die den ministeriellen Auftrag und Umfang der Dienste, das gezahlte Honorar sowie einschlägige Mandatsbeziehungen der letzten fünf Jahre enthalten. Ausgeschlossen sein sollte die Vergabe einer kompletten Neukonzeption eines Gesetzes. Die Zielvorgabe müßte das Ministerium vornehmen, so daß dem politischen Gestaltungswillen des Auftragnehmers enge Grenzen gesetzt werden.
Konträr zu dem bislang praktizierten Verzicht auf Transparenz und den hohen Kostensätzen von Kanzleien steht die Mitarbeit von Sachverständigen in öffentlichen Anhörungen. Sie nehmen zu den Gesetzentwürfen in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages Stellung und stellen sich den Fragen der Abgeordneten. Gemäß der „Richtlinie über die Entschädigung und Reisekostenvergütung“ erhalten die Sachverständigen dafür pauschal 100 Euro zuzüglich 150 Euro für die Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme – allerdings nur, wenn „eine außergewöhnlich umfangreiche Vorbereitung außerhalb der Dienstzeit erforderlich ist“.
Differenzierende Sichtweisen zukünftig weniger wahrgenommen?
Abhängig von der Komplexität der Thematik sind für die Ausarbeitung der Expertise im Regelfall zwischen 60 und 120 Stunden anzusetzen – aufgrund des oft kurzen Vorlaufs von zwei Wochen sogar teils am Wochenende. Eine „Respekt-Entschädigung“ – in Anlehnung an Hubertus Heils Respektlohn – ist das offensichtlich nicht. In der Antwort auf eine diesbezügliche Anfrage an die Präsidentin des Bundestages, Bärbel Bas, wird diese Arbeit zwar „ausdrücklich hoch geschätzt“ und sie sei „für die Arbeit des Bundestages von großer Bedeutung“. Allerdings liege der Entschädigung – die Richtlinie datiert vom 1. Januar 2008 – „die Annahme zu Grunde, daß die eingeladenen Sachverständigen in der Regel ohne unverhältnismäßig hohen Arbeitsaufwand aus ihrem Fachgebiet heraus Auskunft geben und dafür auf ihre vorhandene Expertise zurückgreifen können“. Nebenbei: Die Diäten stiegen seither um 29 Prozent.
Doch jetzt könnte die Übernahme dieser Tätigkeit zusätzlich an Attraktivität verlieren. Seit Jahresbeginn ist gemäß Paragraph 70 Absatz 4 Geschäftsordnung des Bundestages „mit der Tagesordnung zu veröffentlichen, auf Vorschlag welcher Fraktionen die einzelnen Sachverständigen oder Auskunftspersonen zu einer öffentlichen Anhörung eingeladen wurden“. Der Beschluß – er wird mit notwendiger Transparenz begründet – erging auf Antrag und mit der Ampel-Mehrheit bei Enthaltung der Linken und gegen die Stimmen von Union und AfD. Was hier nebensächlich klingt, könnte die Arbeit in den Ausschüssen in Zukunft erheblich beeinflussen.
Transparenz ist seit eh und je gegeben, indem etwa bei der Einladung zur öffentlichen Sitzung die Bekanntgabe der institutionellen Zugehörigkeit der Fachleute gängige Praxis ist und dies eine leichte Recherche zur Person möglich macht. Das neuerdings den Gutachtern angehängte Partei-Label behindert jedoch eine unvoreingenommene Anhörung. Im übrigen folgen die Fachleute keineswegs immer der Sichtweise der einladenden Fraktion. Gerade diese Unabhängigkeit stärkt das Ansehen und die Wertschätzung. Differenzierende Sichtweisen könnten zukünftig weniger wahrgenommen werden. Der entscheidende Punkt liegt allerdings in der stereotypisierenden Wirkung dieser Markierung. So könnten es die AfD und die Linke in Zukunft schwerer haben, Experten zu benennen, die sich nicht einem Rechtfertigungsdruck in ihrem beruflichen oder gar privaten Umfeld und einem potentiellen Reputationsverlust aussetzen wollen. Insofern wirkt die Neuerung hier gar als Stigmatisierung. Zeichen einer „gelenkten Demokratie“?
Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.