© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/23 / 19. Mai 2023

Mehr Marktwirtschaft wagen
Bundeswehr: Seit langem verzweifelt die Truppe an der trägen Beschaffung. Nun soll mehr bestellt werden, was es schon gibt
Peter Möller

Wenn die Aufgabe, die Bundeswehr wieder auf Vordermann zu bringen, das Bohren dicker Bretter ist, dann ist die dafür notwendige Reform des Beschaffungswesens ohne Frage das mit Abstand dickste Brett. Die Misere der Bundeswehr, der allgemein die Einsatzfähigkeit und damit die Abwehrbereitschaft abgesprochen wird, hat ihre Ursache in erster Linie in der jahrzehntelangen finanziellen Austrocknung der Streitkräfte. 

Doch nicht erst die Diskussionen über die schleppende Verwendung des 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögens, mit dem die Truppe in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine wieder ertüchtigt werden soll, hat deutlich gemacht, daß es nicht allein am Geld liegt: Das Beschaffungswesen der deutschen Streitkräfte hat sich bereits in den vergangenen Jahren als äußerst schwerfällig und bürokratisch erwiesen. Egal um welche Rüstungsvorhaben es in der Vergangenheit ging: Fast immer zogen sich die Entwicklungs- und Beschaffungsprozesse in die Länge und verursachten teilweise erhebliche Kostensteigerungen; uneingeschränkt einsatzfähig waren viele Systeme am Ende dennoch nicht.    

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) läßt seit seinem Amtsantritt Anfang des Jahres keinen Zweifel daran, daß er der Reform des Beschaffungswesens eine zentrale Rolle bei der Aufgabe zuschreibt, die Bundeswehr wieder einsatzfähig und schlagkräftig zu machen. Es gelte, im Beschaffungswesen der Bundeswehr Fesseln abzulegen, machte er in der vergangenen Woche bei einem Runden Tisch mit dem wehrtechnischen Mittelstand deutlich. Munition, Material und Ausrüstung müßten schnellstmöglich an die Truppe geliefert werden. Deutschland brauche eine in allen Belangen einsatzbereite und durchhaltefähige Bundeswehr.

„An jeder Schraube zur Beschleunigung drehen“

Ein erstes Ausrufezeichen hatte Pistorius bereits Ende März gesetzt, als er die Präsidentin des Beschaffungsamtes der Bundeswehr, Gabriele Korb, ablöste und durch ihre Stellvertreterin Annette Lehnigk-Emden (JF 20/23) ersetzte. Ziel sei es, schneller und effektiver zu werden, hatte der Verteidigungsminister zur Begründung gesagt. Er erhoffe sich durch diese Entscheidung einen „neuen Drive“, es müsse „an jeder Beschleunigungsschraube“ gedreht werden, „die wir finden können.“ 

Dem Beschaffungsamt wird seit Jahren vorgeworfen, es sei zu schwerfällig und ziehe durch ein Übermaß an Bürokratie Beschaffungsverfahren unnötig in die Länge (siehe Kasten). Pistorius hat daher ein deutliches Ziel formuliert: Bei der Beschaffung für die Bundeswehr gehe es jetzt vor allem ums Tempo. Um dies zu erreichen, soll künftig weitgehend auf sogenannte Goldrandlösungen verzichtet werden, also darauf, das Waffensystem bis ins kleinste Detail auf die speziellen Bedürfnisse der Bundeswehr anzupassen: „Wir setzen mehr auf marktverfügbare Produkte“, gibt Pistorius die Richtung vor.

Daß dieses Vorgehen allerdings auch keine Garantie für einen reibungslosen Beschaffungsprozeß ist, zeigt der neue Transporthubschrauber für das Heer. Obwohl in diesem Fall bereits bei Beginn des Beschaffungsverfahrens 2017 bewußt auf eine Neuentwicklung verzichtet wurde und nur die in Frage kommenden amerikanischen Rüstungsfirmen mit marktverfügbaren Modellen Boeing und Lockheed Martin am Auswahlverfahren beteiligt wurden, wurde das Verfahren Ende 2020 zunächst abgebrochen. 

Sonderwünsche von deutscher Seite für die Ausstattung der Maschinen hatten unter anderem zu einer deutlichen Kostensteigerung geführt. Erst im vergangenen Jahr konnte das Verfahren dann nach einem Neustart zugunsten von 60 Maschinen des Typs CH-47F Chinook von Boeing entschieden werden. In der vergangenen Woche veröffentlichte die für Rüstungsgeschäfte zuständige amerikanische Behörde eine entsprechende Mitteilung an den Kongreß, der dem Export zustimmen muß. Daß die Kosten dort höher veranschlagt wurden, sei keine Überraschung, teilte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums in Berlin mit. Üblicherweise stünden dort die Preis-

obergrenzen für das Gesamtvorhaben. Das offizielle Angebot erwarte man im Juni. Erst dies werde dann als Grundlage für die 25-Millionen-Euro-Vorlage und den Vertragsschluß genommen.

Ebenfalls in der vergangenen Woche wurde die Beschaffung weiterer Schützenpanzer vom Typ Puma auf den Weg gebracht. Ein entsprechender Rahmenvertrag über 229 Exemplare des 2. Bauloses wurde mit den Rüstungsfirmen Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall unterzeichnet. Der Haushaltsausschuß des Bundestages hatte dem Kauf zuvor ebenfalls zugestimmt. Vorerst werden zwar nur 50 Exemplare gebaut, doch kann der Auftrag als Grundsatzentscheidung verstanden werden, die Zahl der Puma-Schützenpanzer deutlich zu erhöhen.

Kritisch sieht es indes weiterhin bei der Munition aus. Obwohl seit Jahren in der Bundeswehr darüber geklagt wird, daß die Munitionsbestände nicht ausreichen, um die Vorgaben der Nato zu erfüllen und seit dem Angriff Rußlands zusätzlich erhebliche Mengen Munition an die Ukraine geliefert wurden. Ende November vergangenen Jahres hatte Bundeskanzler Olaf Scholz angesichts der angespannten Lage sogar zu einem Munitionsgipfel eingeladen, um die Beschaffung anzukurbeln. 

Offenbar bislang mit wenig Erfolg. Zwar verweigert die Bundesregierung mit Verweis auf die nationale Sicherheit genaue Auskünfte über den Munitionsbestand. Doch die Nato-Vorgabe, nach der die Bundeswehr Munition für mindestens 30 Kampftage in ihren Depots haben muß, wird nach Einschätzung von Experten deutlich verfehlt. Trotz der Abgabe von Munition an die Ukraine wurden nach Angaben des Haushalts- und Verteidigungspolitikers Ingo Gädechens (CDU) neue Bestellungen bislang nicht oder kaum getätigt, berichtet die FAZ. Eine parlamentarische Kleine Anfrage der Union zeigt zudem, daß es im Verteidigungsministerium keine Bedarfslisten und Finanzierungspläne für Ersatz- und Neubeschaffungen gibt. 

Für Pistorius könnte sich die Munitionsfrage, die auf den ersten Blick angesichts des im Vergleich mit technischen Großgeräten vergleichsweise überschaubaren Produktionsaufwands durchaus lösbar erscheint, zu einem ersten Streßtest für sein Vorhaben entwickeln, das Beschaffungswesen der Bundeswehr von Grund auf zu reformieren. Um so erstaunlicher, was die Nachrichtenagentur Reuters aus vertraulichen Unterlagen meldet. So sollen beim Großgerät jene gravierenden Lücken geschlossen werden, die die Lieferung an die Ukraine gerissen hat. Offenbar bestellt die Bundeswehr 18 Kampfpanzer des neuesten Typs Leopard 2A8 sowie zwölf Panzerhaubitzen 2000. Bis 2026 sollen die „Leos“ und Haubitzen geliefert werden. Gesamtpreis rund 715 Millionen Euro. 





Gelähmt vom Trennungsgebot?

Beklagen sich Soldaten über die schleppende Behebung von Ausrüstungsmängeln, landen sie bei der Frage nach den Ursachen früher oder später bei der Trennung von Truppe und Wehrverwaltung. Die ist in Artikel 87 des Grundgesetzes festgeschrieben. Hintergrund ist die historisch bedingte Abgrenzung von der Zeit vor 1945, in der die Wehrverwaltung in den Händen von Militärbeamten lag. In der Bundesrepublik sollte die zivile Verwaltung der Streitlkräfte den Primat der Politik  unterstreichen. Kritiker halten die Trennung für mittlerweile überholt, da die Bundeswehr seit über 65 Jahren der parlamentarischen Kontrolle des Bundestags unterworfen ist. So spricht etwa die AfD von einem „grundgesetzlich verankerten Mißtrauen gegenüber den Soldaten“, das nicht mehr zeitgemäß sei und forderte, die Trennung abzuschaffen und die Verwaltung in die Truppe zu integrieren.

Im März regte auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), an, die von der Verfassung vorgegebene Trennung von Bundeswehr-Verwaltung und Truppe zu überdenken. (vo)





Hilfe für Kiew

Ende vergangener Woche hat die Bundesregierung ein weiteres militärisches Unterstützungspaket für die Ukraine vorbereitet. Zu den geplanten Lieferungen im Wert von über 2,7 Milliarden Euro gehören unter anderem 18 Radhaubitzen, Artilleriemunition, Lenkflugkörper für bereits gelieferte Luftverteidigungssysteme, 4 Einheiten der Luftabwehr-Rakete IRIS-T und 12 IRIS-T-Startgeräte, 30 Leopard-1-A5-Kampf- und 20 Marder-Schützenpanzer, über 100 gepanzerte Gefechtsfahrzeuge sowie mehr als 200 Aufklärungsdrohnen. Das Verteidigungsministerium betont, daß alle diese den Ukrainern zur Abwehr russischer Angriffe zugesagten Systeme aus den Beständen beziehungsweise der Produktion der Industrie und nicht aus der Bundeswehr kommen sollen. (vo)