© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/23 / 19. Mai 2023

Wähler in Wut an der Weser
Bürgerschaftswahl: Bremen wird weiter rot regiert – für die eigentliche Überraschung sorgen aber Konservative
Jörg Kürschner

Das Rekordergebnis der Bürger in Wut (BIW) bei den Wahlen im kleinsten Bundesland hat zu großen strategischen Überlegungen im konservativen Parteienspektrum geführt. „Wir werden Bremen als Startschuß nehmen – für die bundesweite Ausdehnung der Partei“, bekräftigte BIW-Chef Jan Timke. Vertreter anderer Parteien beließen es dabei, das gute Abschneiden der BIW mit knapp zehn Prozent (2019 2,4 Prozent) zu ignorieren oder zu beklagen. In Bremerhaven überflügelte die Partei mit knapp 23 Prozent sogar die CDU und kam hinter der SPD auf Platz 2.

Der ehemalige Polizeibeamte Timke hatte die Partei 2004 gegründet und sieht jetzt Chancen, sich mit Hilfe der Kleinpartei Bündnis Deutschland (BD) über die Hansestadt hinaus als feste politische Größe zu etablieren. Erste Wahlanalysen hatten Timke, der seine Partei als „Sammelbecken für Unzufriedene“ sieht, recht gegeben. Darunter waren Wähler aus allen Lagern, nicht nur der AfD, sogar auch rund 2.500 bisherige Nichtwähler. Den Nachwahlbefragungen zufolge meinten 74 Prozent der BIW-Unterstützer, die Partei stehe für Positionen, die früher von der CDU vertreten worden seien.

54 Prozent der BIW-Wähler gaben zu erkennen, sie hätten sich für die bisherige Regionalpartei entschieden, da die AfD nicht gewählt werden konnte. Nach jahrelanger Zerstrittenheit war es zwei konkurrierenden Landesvorständen nicht gelungen, sich auf eine Wahlliste zu verständigen. Das führte dazu, daß der Landeswahlausschuß keine der Listen für Bremen zuließ und auch eine AfD-Liste für Bremerhaven gekippt wurde. 

AfD-Bundesvize Stephan Brandner entschuldigte sich kleinlaut bei den Wählern. „Beim nächsten Mal sind wir wieder dabei, und dann wird’s deutlich zweistellig.“ Man werde „die rechtlichen Möglichkeiten noch mal prüfen und wahrscheinlich auch ausschöpfen, so daß nicht ausgeschlossen ist, daß die Bremer Bürger demnächst dann noch mal zur Wahl gehen dürfen“. Das halten Beobachter für eher unwahrscheinlich. In der AfD-Führung ist hinter vorgehaltener Hand zu hören, daß nach der peinlichen Blamage nun die Zeit zum Durchgreifen gekommen sei. Im Klartext: den Landesverband aufzulösen. 

Bei den BIW legt man Wert auf Distanz zur AfD, auch wenn der Wahlerfolg wesentlich auf deren Nichtzulassung zurückgeht. Man sehe sich ausdrücklich nicht als Alternative zur AfD, sondern zur CDU und FDP, betonte BIW-Spitzenkandidat Piet Leidreiter, einst AfD-Bundesschatzmeister und Bremer Gründungsmitglied. Jetzt wollen die BIW mit dem ebenfalls konservativen BD fusionieren, das erst im November vergangenen Jahres in Fulda gegründet worden war. Ob die oft bemühte „Repräsentationslücke“ zwischen Union und AfD auch in Flächenstaaten wie Hessen oder Bayern im Oktober zum Einzug in die Landtage verhilft, scheint fraglich. Stadtstaaten wie Bremen sind für Kleinparteien ein günstigeres Pflaster, da Kommunales den Wahlkampf bestimmt und die Wege kurz sind. 

Die CDU müsse „höllisch aufpassen“, meinte CDU-Bundesvize Carsten Linnemann zum Abschneiden der BIW, die den Analysen zufolge 3.500 ehemalige CDU-Wähler für sich gewinnen konnte. 7.500 bisherige AfD-Wähler machten ihr Kreuzchen bei den BIW, die CDU spielte für sie keine Rolle. Trotz nur geringer Verluste rutschte sie am Sonntag wieder auf Platz 2 hinter der SPD mit ihrem populären Bürgermeister Andreas Bovenschulte. 

„Die Nummer eins in Bremen sind wir“

CDU-Spitzenkandidat Frank Imhoff, einem freundlich auftretenden Landwirt, war es nicht gelungen, vom Unmut über den rot-grün-roten Senat etwa in der Bildungs- und Verkehrspolitik zu profitieren. Und die Wahlplakate mit Gendersternchen konnten auch nicht überzeugen. Imhoff diente sich sogleich Bovenschulte als Koalitionspartner an, der dessen Liebeswerben amüsiert verfolgte. „Die Nummer eins in Bremen sind wir!“ hatte er kraftvoll ausgerufen und später von einem „grandiosen Ergebnis“ gesprochen. Daß aus dem schlechtesten Wahlergebnis von 2019 am Sonntag das zweitschlechteste geworden ist, ging im allgemeinen Jubel unter. Die Bundes-SPD konnte sich nach der Schlappe von Berlin im Februar und dem Verlust des Bürgermeisterpostens endlich mal wieder freuen. Bovenschulte sitzt in Bremen fest im Sattel, kann die bisherige rot-grün-rote Koalition fortsetzen oder auf das Buhlen der CDU eingehen. 

Eine starke Position hat der SPD-Mann auch wegen der deutlichen Verluste, die sein grüner Koalitionspartner hinnehmen mußte. Mobilitätssenatorin Maike Schaefer hat eine rigide Verkehrspolitik zu verantworten und sich damit bei vielen Bürgern unbeliebt gemacht. Auch in ihrer eigenen Partei. Die Grüne kündigte ihren Rücktritt an. „Meine politische Karriere ist zu Ende.“ Schaefer sah eine Mitverantwortung für das Debakel aber auch im Umgang von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit der Vetternwirtschaft in seinem Ressort. 

Die Bremer Bürgerschaft war 1979 der erste Landtag, in den es die Grünen geschafft hatten. Und vor vier Jahren war es der Linkspartei dort zum ersten Mal in einem westdeutschen Bundesland gelungen, Regierungspartei zu werden. Die massiven inhaltlichen Verwerfungen auf Bundesebene konnten den Bremer Genossen nichts anhaben. Das mag zum einen an den hohen Zustimmungswerten für Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt liegen, zum anderen auch daran, daß sich der Landesverband die Protagonisten der innerparteilichen Flügelkämpfe ostentativ vom Leib gehalten hat.   

Die FDP ist an Zitterpartien am Wahlabend gewöhnt, lag zu Wochenbeginn nur knapp über der Fünf-Prozent- Hürde. Sie nutzte die Chance, positionierte sich als Autofahrerpartei und kritisierte scharf die Abschaffung der sogenannten Brötchentaste: die Option an Parkscheinautomaten ein Gratisticket für kurzes Parken zu lösen, beispielsweise zum Brötchenkaufen. In der Berliner FDP-Zentrale sind sie froh, daß man nicht erneut aus einem Landtag geflogen ist. Und was sagen sie zu den Verlusten? Abgehakt, nächstes Thema bitte. Vielleicht bis zur Wiedervorlage am 8. Oktober. Dann werden die Landtage in Wiesbaden und München neu bestimmt. Wahlen mit Auswirkungen auf die Bundespolitik.