Er kam noch einmal mit einem blauen Auge davon. Noch vor Monaten setzte kaum jemand einen Pfifferling auf den Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seine AKP. Auch sein ewiger Steigbügelhalter, die nationalistische MHP, dümpelte unter der Zehn-Prozent-Hürde dahin. Per Handstreich wurde die Hürde auf sieben Prozent gesenkt. Sicher ist sicher.
Doch Langzeitregierungschef Erdoğan weiß, wie er punkten kann. Sein Veto beim Nato-Beitritt Schwedens, seine harte Haltung gegenüber Erzfeind Griechenland und der PKK sowie seine Ambitionen als Netzwerker und Friedensstifter im Ukrainekrieg lassen ihn bei großen Teilen der Türken als großen Staatenlenker erscheinen. Verdrängt sind die immensen Probleme des Alltags, die grassierende Inflation, der Verfall der Lira und das Versagen der Regierung bei der Erdbebenhilfe in Südostanatolien.
Allen Unkenrufen und Meinungsumfragen zum Trotz hat sich Erdoğan im Kampf ums Präsidentenamt behauptet und die AKP ihre Machtposition im Parlament trotz Einbußen halten können. Auch die MHP konnte die Wahlhürde leicht überspringen.
Blind verlassen kann sich Erdoğan auf seine Anhänger in Westeuropa. In Frankreich wählten ihn 64,2, in Deutschland 65,4 Prozent, in Österreich 71,9 Prozent und in Belgien gar 72,3 der dort lebenden Türken. Im Gegensatz dazu votierten in Kanada 79,7 und in den USA 80,4 für Kemal Kılıçdaroğlu. Wo mag denn da der Unterschied liegen?