© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/23 / 12. Mai 2023

Der Kabeljaukrieg zweier Nato-Staaten gegeneinander
Vor fünfzig Jahren eskalierte der Streit zwischen Island und Großbritannien um Fischereirechte im Seegebiet um die Insel im Nordatlantik
Marcel Waschek

Der isländische Wachkutter „Ægir“ näherte sich dem britischen Trawler „Peter Scott“. Dieser hatte auf die Aufforderung, die isländischen Gewässer zu verlassen, kämpferisch „Rule Britannia“ zurückgefunkt und war weitergedampft. Daraufhin ließen die Isländer einen Togvíraklippur, ein ankerartiges Schleppwerkzeug zum Durchtrennen von Seilen zu Wasser und fuhren zwischen der „Peter Scott“ und ihrem Schleppnetz entlang. Deren Besatzung schrie den Isländern wilde Flüche zu, warf mit Kohle und Abfall nach ihnen und schleuderte eine Axt gegen die „Ægir“.

Auslöser des Konflikts war die einseitige Ausdehnung Islands maritimer Wirtschaftszone. Schon seit dem 14. Jahrhundert waren englische Fischer zu isländischen Gewässern aufgebrochen. Ihre Zahl wuchs ab dem 19. Jahrhundert stark an, was zu Kollisionen mit den Interessen isländischer Fischer führte. 1901 wurde ein Abkommen getroffen, das die Nutzungsrechte Islands innerhalb einer Zone von drei Seemeilen jenseits der Küste sicherstellte. 1952 dehnte Island seine Wirtschaftsgewässer auf vier Seemeilen aus. Großbritannien verhängte ein Embargo gegen isländischen Fisch. Doch aufgrund des Drucks durch die USA und verstärkten Handels zwischen Island und der UdSSR gab Großbritannien nach. 1958 eskalierte die Situation erneut, als Island sich entschloß, seine Gewässer auf zwölf Seelmeilen auszudehnen. Mit Ausnahme Islands widersprachen alle Nato-Staaten dieser Maßnahme. Die Royal Navy entsandte Kriegsschiffe, um ihre Fischer zu schützen, was Island nicht an der Aufrechterhaltung seiner Forderungen hinderte. Island drohte aus der Nato auszutreten. Nach dem Seerechtsübereinkommen von 1960/61 einigten sich Großbritannien und Island auf die Zwölfmeilen-Zone.

Der Alþingi, das isländische Parlament, beschloß für den 1. September 1972 die Ausweitung der Wirtschaftszone auf 50 Seemeilen. Kein Staat der EG oder des Warschauer Paktes erkannte dies an. Am 5. September 1972 kam erstmals der Togvíraklippur zum Einsatz, was bedeutete, daß die Fischer, die mit der Waffe Bekanntschaft machten, ihr wertvolles Netz verloren und mit dem daraufhin nicht mehr fangfähigen Schiff den Heimathafen anlaufen mußten. Am 25. November 1972 wurde ein Besatzungsmitglied der deutschen „Erlangen“ schwer verletzt, als das Ende eines gekappten Seils über das Deck peitschte und ihn am Kopf traf. Dies und der Umstand, daß bis zum 23. Januar 1973 18 Trawler ihre Netze verloren hatten, zwang die britischen Fischer, die Gewässer zu verlassen, wenn kein schützendes Kriegsschiff in der Nähe war. 

Islands Premier forderte Nato-Beistand gegen Großbritannien

Daher verkündete am 18. Mai 1973 der britische Agrarminister Lord Godber of Wellington den Start der „Operation Dewey“. Diese beinhaltete die Entsendung von bewaffneten Nimrod-Seeaufklärern und 32 Fregatten. Ziel war der Schutz eigener Schiffe sowie das Aufspüren und notfalls Vernichten von isländischen Schiffen. Damit war die Lage eskaliert. Ein Nato-Staat hatte eine militärische Operation gegen einen anderen gestartet. Islands Premierminster Ólafur Jóhannesson verlangte die Bekämpfung britischer Streitkräfte durch die Nato, da sein Land angegriffen worden sei. Die britische Botschaft in Reykjavík wurde von einem wütenden Mob mit Steinen beworfen. Am 26. Mai wurde ein britischer Trawler beschossen. Anfang Juni rammten isländische Schiffe mehrmals britische Fregatten. Am 29. August 1973 erlitt Halldór Hallfreðsson an Bord der „Ægir“ einen tödlichen Stromschlag, als er versuchte, einen Riß im Rumpf zu schweißen. Dies war der einzige Tote im Konflikt von 1972 und 1973. Nach Verhandlungen unter Mediation der Nato verließen am 3. Oktober 1973 britische Schiffe das nun anerkannte Seegebiet um Island. Am 15. Juli 1975 erweiterte Island seine Gewässer auf 200 Seemeilen. Dies führte zu einer erneuten Eskalation, die wiederum Island für sich entscheiden konnte.