Sind Sie gekommen, um die ‘Schrumpfköpfe’ zu sehen?“, steht auf der zugeklebten großen Vitrine im Pitt Rivers Museum. Die Köpfe getöteter Feinde, die Amazonasvölker aus Peru und Ecuador in einem komplizierten Ritual kochten und schrumpften, sogenannte Tsantsa, die das Pitt Rivers seit den 1940er Jahren ausstellte, sind nicht mehr zu sehen. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, daß diese einstige Attraktion des Oxforder Museums vor zweieinhalb Jahren ins Depot verbannt wurde. Den Corona-Lockdown nutzte das Pitt Rivers für eine erste Säuberungswelle. Diese Objekte bestärkten nämlich das Vorurteil, daß andere Kulturen „wild“ oder „primitiv“ seien. Damit würde rassistisches und stereotypisches Denken verstärkt, „das gegen die Kernwerte unseres Museums heute“ stehe, heißt es nun belehrend. Der Besuch im Pitt Rivers führt nicht mehr ins Herz der ethnologischen Finsternis, sondern in ein Museum, in dem jetzt der helle Wokesinn herrscht.
Auf den ersten, oberflächlichen Blick hat sich noch nicht so viel geändert. Die gewaltige Halle mit der Gußeisenkonstruktion, drei Etagen hoch, erbaut 1886 hinter dem Oxford University Museum of Natural History, quillt noch immer über mit Tausenden Artefakten. Von den fast 500.000 Objekten der völkerkundlichen Sammlung, deren Grundstock General Augustus Pitt Rivers (1827–1900) legte, ist zwar nur ein Bruchteil ausgestellt. Aber schon diese Masse erschlägt den Besucher: Töpferwaren und Holzschnitzereien, Figuren, Masken, Kleidungsstücke, Waffen, Werkzeuge, Schmuck und Ritualgegenstände aus allen kulturellen Zonen und Zeiten. Objekte der alten Ägypter und Griechen, asiatischer Kulturen und afrikanischer Stämme, der indigenen Völker aus Nord- und Südamerika und Ozeaniens. Dicht gedrängt und oft wild gemischt liegt hier ein völkerkundlicher Schatz in Glaskästen, meist nur mit rudimentären Erklärungen auf vergilbten Zetteln versehen.
Die „Grammatik der Hierarchien“ der Kulturen abschaffen
Hier greift das Projekt „Labelling Matters“ an, eine zeitgeistige Revision. Die neue aktivistische (schwarze) Kuratorin Marenka Thompson-Odlum will ältere, anstößige Bezeichnungen aufspüren und entfernen, wie sie jüngst in der Times erklärte. Überall findet sie eurozentristische, rassistische, sexistische Anklänge: An Vitrinen über Afrika stand häufiger die Bezeichnung „primitiv“; europäische Kulturen würden eher als „zivilisiert“ dargestellt. Ziel ist es nun, das Museum zu „entkolonisieren“, vereinzelt wurden schon Objekte restituiert. Das Museum wird zudem „queer“ und hinterfragt „binäre“ Genderstrukturen (zum Beispiel anhand eines Mantels aus Hawaii, wo Priesterfiguren ein spirituelles drittes Gender darstellten). LGBTIAQ+ feierte das Pitt Rivers in ganzen Sonderausstellungen. Ein silbernes Fläschchen angeblich mit einer Queeren Hexe wird präsentiert, den Hexenhut eigne sich die Bewegung nun stolz an.
Vom „Fußabdruck des Kolonialismus“ soll sich das Pitt Rivers Museum jetzt zu einem „Ort des Widerstands“ wandeln, belehrt uns eine große Schauwand nahe dem Eingang, wo ein Künstler einen kleinen Buddha aus Plastikresten geklebt hat, was offenbar eine großartige Widerstandshandlung sein soll. Die neue Botschaft des Museums: Afrikanische Völker leb(t)en keineswegs rückschrittlich. Das Ziel ist es, die „Grammatik der Hierarchien“ der Kulturen abzuschaffen. Dabei wird jeglicher zivilisatorisch-technischer Fortschritt relativiert. Absurd und komisch wirkt das, wenn es ausgerechnet anhand der Vitrine „Methods of Making Fire“ illustriert wird: Dort sind Holzbögen und Stöcke zu sehen, mit denen frühere Kulturen und Afrikaner durch stundenlanges Reiben Feuer entfachten; im Kontrast dazu westliche Feuerzeuge und Öllampen. Ausgerechnet dies soll kein Fortschritt sein? Technologische Vergleiche sind offenbar inhärent rassismusverdächtig.
Neue Diskussionen um eine Rückgabe der Benin-Bronzen
Wie es weitergeht im Pitt Rivers, wird sich zeigen. Eine Gruppe um den Kurator Dan Hicks ist dabei, eine ganz große Restitutionswelle vorzubereiten. Seit drei Jahren laufen dazu „action-orientierte“ Forschungsprojekte, finanziell unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und George Soros’ Open Society Foundations. Als erstes hat es in Oxford die Benin-Bronzen getroffen, jene Metallobjekte, die britische Soldaten nach der Eroberung von Benin City 1897 vom dortigen Königshof mitnahmen und die das Museum anschließend über den Kunsthandel erwarb. Das Pitt Rivers zeigt sich heute voll Reue darüber. Daß das westafrikanische Königshaus einer der größten und brutalsten Sklavenhändler in der Region war und noch im späten 19. Jahrhundert regelmäßig Menschenopfer brachte, wird in der Dokumentation des Museums natürlich nicht erwähnt. Vermutlich weil dies – wie bei den Schrumpfköpfen – rassistische Stereotype hervorrufen könnte. Die Universitäten Oxford und Cambridge haben zugestimmt, rund 200 Metallobjekte aus ihren Sammlungen an den heutigen „Oba“ (König) in Benin City zu restituieren. Das British Museum in London, das rund 900 Benin-Bronzen besitzt, hat sich noch nicht festgelegt und widersteht bislang dem Druck. Es dürfte die neueste Diskussion um die deutschen Benin-Bronzen genau verfolgen, die in Nigeria im Privatbesitz des Oba Ewuare II. zu verschwinden drohen.
Am Pitt Rivers hat die Gruppe um Hicks nicht nur Schrumpfköpfe und Benin-Bronzen im Blick, sondern die ganze Breite der Exponate, vor allem die Objekte afrikanischer und indigener Kulturen. Bei rund einer halben Million Objekten in der Sammlung dürfte allein die Provenienzforschung jahrzehntelange Beschäftigungsgarantien für woke Jung-Akademiker bringen.
Pitt Rivers Museum an der Universität Oxford: www.prm.ox.ac.uk