Es gibt Geschäftsmodelle, von denen man in Corona-Zeiten glaubte, sie könnten eine goldene Zukunft haben. Der Schnellieferdienst Flink ist eines von ihnen. Und während der Pandemie-Einschränkungen, als manche den Besuch eines Supermarktes scheuten, traten die Gründer von Flink & Co. auf den Plan. In einigen Großstädten schufen sie ein Angebot, das per Fahrradbote Lebensmittel und fertige Snacks vorbeibrachte. Doch nach dem Rausch folgte der Kater. Mit dem Ende der Corona-Maßnahmen gingen auch die Lieferaufträge drastisch zurück.
Bei vielen Lieferdiensten sank der Wert der Warenkörbe auf 20 Euro – zu wenig, um damit Geld zu verdienen. In Österreich hat Flink bereits die Reißleine gezogen und für die dortige Tochter Insolvenz angemeldet. Derzeit ist Flink noch in den Niederlanden, Frankreich und im Heimatmarkt Deutschland aktiv. Der 2020 in Berlin gegründete Fahrradlieferdienst Gorillas warb dreistellige Millionensummen von Investoren ein. Dessen 1987 in Istanbul geborener Firmenchef Kağan Sümer wurde in der Presse abgefeiert („Aggressiv, erfolgreich, polarisierend“; „Macho-Manager“) – doch Inflation, Zinserhöhung, aufsässige Fahrradkuriere und Ukrainekrieg verursachten kalte Füße bei den Geldgebern: Gorillas mußte sich im Dezember 2022 in eine Fusion mit dem 2015 gegründeten türkischen Lieferdienst Getir („Bring es!“) retten.
„Dein Wocheneinkauf ohne Verpackungsmüll“
Getir-Chef Nazım Salur hat potente Investoren hinter sich, und es gibt Firmenableger in der EU, Großbritannien und den USA. Die Berliner Flink SE, die damit wirbt, „bio-zertifiziert“ zu sein, hat hingegen keinen Retter gefunden und sammelt derzeit abermals Investoren-Gelder ein, um das Restgeschäft in Deutschland, den Niederlanden und Frankreich zu retten. Spötter merken an, das gehe so lange gut, bis die Investoren merkten, daß das Modell („Wir sind dein Online-Supermarkt, der dir deinen Einkauf in Minuten nach Hause liefert. Einfach bequem per App bestellen und entspannt zurücklehnen.“) keine Goldgrube ist.
Hinzu kommt die „Einkaufs-Scham“ bei vielen Kunden. Es fühlt sich nach Corona nicht gut an, einen Fahrer zu ordern, der mit zwei Tüten Chips und drei Dosen Bier durch die regnerische Großstadt radelt. Und in Großstädten gibt es stationäre Alternativen: die Tankstelle und den bis spätabends geöffneten Kiosk um die Ecke. Flink und Getir berechnen den Kunden schließlich eine Liefergebühr von bis zu drei Euro. In Zeiten knapper Kassen ist der Weg zum „Späti“ günstiger. Dienste wie Lieferando rechnen aber vor: Eine vierköpfige Familie, die Pizza bestellt, spart sich die Getränke und das Trinkgeld im Restaurant. Daher sind in diese „Einkaufsnischen“ global gesehen Milliarden an Wagniskapital gepumpt worden. Ob sich die Gelder irgendwann amortisieren, darf bezweifelt werden. Die beiden gefeierten Berliner Lieferdienste Yababa (orientalische Lebensmittel) und Alpakas („Dein Wocheneinkauf ohne Verpackungsmüll“) mußten im Februar bzw. März Insolvenz anmelden.
Denn auch bei Branchenführern wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Seit 2011 gibt es den Berliner „Kochboxen“-Lieferanten HelloFresh, der mit 8,1 Millionen „aktiven Kund:innen“, zwei Milliarden Euro Nettoumsatz im ersten Quartal 2023, über 20.000 „Mitarbeitenden weltweit“ und „Food Solutions mit den geringstmöglichen Auswirkungen auf die Umwelt“ wirbt. Im September 2021 stieg die Firma – auch dank der Corona-Umsätze – in den Dax40 auf. Nur ein Jahr später rutschte der Lebensmittellieferdienst wieder in den Mdax ab. Dafür rückte Siemens Energy in den Dax40 auf.
Dem ebenfalls 2012 in Berlin gegründeten Lieferdienst Delivery Hero ging es ähnlich: 2020 ersetzte das global aktive und hochgelobte Unternehmen die Betrugsfirma Wirecard im Dax – 2022 verdrängte der Chemiekonzern Beiersdorf die Delivery Hero SE wieder in den MDax. Besonders kurios: Das Delivery-Hero-Deutschlandgeschäft ging schon 2018 an den niederländischen Konkurrenten Takeaway (Marke: „Lieferando“), der 2020 mit der dänisch-englischen Firma Just Eat fusionierte. Und im November 2022 kündigte Getir eine Partnerschaft mit Just Eat Takeaway.com an.