© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/23 / 12. Mai 2023

Die Großen als letzte Retter
Finanzmarkt: Bankenkrise weitet sich zur Kreditkrise aus / Leerverkäufer verdienen prächtig
Thomas Kirchner

Die Pleite der Zürcher Großbank Credit Suisse und die hastig eingefädelte Übernahme durch den Schweizer Konkurrenten UBS erschütterte im März die europäischen Finanzmärkte (JF 13/23). In den USA gingen zwischen Februar und April drei mittelgroße Institute pleite: die beiden in Kalifornien beheimateten Banken Silvergate und Silicon Valley sowie die New Yorker Signature Bank. Danach schien die Krise erledigt zu sein. Doch dann schlug die Pleite der First Republic Bank ein wie ein Meteorit. Das ist weniger als die 25 Bankenpleiten in der Finanzkrise 2008, doch die Bilanzsumme der vier ist genauso hoch. Und schon zeichnet sich die nächste Phase der Krise ab: eine Kreditklemme.

300 Millionen Dollar war der 22stöckige Büroturm an der California Street 350 in Downtown San Francisco 2019 wert, jetzt steht das Gebäude zum Verkauf. Der Makler peilt einen Erlös von 60 Millionen an. Ein Schnäppchen für eine Immobilie an einer der besten Adressen in der Welt? Nur wenn man Mieter für das leerstehende Gebäude findet, was bei 32 Prozent Leerstand insgesamt in der kalifornischen Stadt schwierig ist. 250 Meter weiter hofft der Verkäufer der 15stöckigen Hausnummer 550, wenigstens 40 statt der ursprünglichen 160 Millionen zu erzielen.

Anhaltende Leitzinserhöhungen haben die Krise verschärft

San Francisco, seit 1985 Firmensitz der First Republic Bank, könnte Vorbote für Kreditausfälle sein, die bereits als nächste Front in der Bankenkrise gelten. Denn 70 Prozent der Finanzierungen von Gewerbeimmobilien werden von kleinen und mittleren Banken vergeben, für die das im Schnitt ein Viertel der Bilanzsumme ausmacht. Es ist ein ungewöhnlich hoher Anteil, denn Bankkredite finanzieren in den USA – im Gegensatz zu Europa – sonst nur einen kleinen Teil der Wirtschaft.

Die Institute stehen wegen der durch Zinserhöhungen verursachten Wertverluste ihrer Anleihen ohnehin schon unter Druck. Kürzlich wurde bekannt, daß die US-Zentralbank Fed schon im Herbst wußte, daß durch die gestiegenen Zinsen 722 Banken die Hälfte und 31 ihr gesamtes Eigenkapital verlieren würden, wenn ihre Staatsanleihen zu aktuellen Kursen bewertet würden. Trotzdem hat die Fed die Zinsen seitdem um weitere zwei Prozentpunkte auf nun 5,0 bis 5,25 Prozent erhöht und das Problem so noch verschärft. Die Quittung kommt jetzt in Form von Bankenpleiten: Deren Management hatte sich auf die Vorhersagen der Fed verlassen, wonach die Zinsen langfristig niedrig bleiben würden.

Die First Republic Bank schien schon gerettet zu sein. Nachdem Kunden im großen Stil Einlagen abgezogen hatten, orchestrierte die Fed am 16. März eine Finanzspritze: elf Banken zahlten 30 Milliarden Dollar als Einlagen bei First Republic ein. Das war die Summe, die Kunden vorher dort abgezogen hatten und bei den Großbanken eingezahlt hatten. Doch Kunden zogen weiterhin Einlagen ab. Ende April übernahm dann die US-Einlagensicherung FDIC die Bank. Der Versuch, eine Übernahme zu arrangieren, scheiterte, denn es gibt kaum noch Banken, die in der Lage sind, ein Institut mittlerer Größe zu übernehmen.

Mittelgroße Konkurrenten haben schon genug Probleme und können keine zusätzlichen Risiken eingehen. Bleiben nur die großen, von denen die Investmentbanken kein Interesse an einer Regionalbank haben. Die Bank of America machte mit der von den Behörden eingefädelten Übernahme der Hypothekenbank Countrywide 2008 so schlechte Erfahrungen, daß sie sich nicht ein zweites Mal verleiten läßt. Es blieb nur JPMorgan Chase als letzter Retter, doch deren Management weiß, daß es günstiger ist, die Filetstücke von der FDIC zu kaufen, als eine komplette Pleitebank zu übernehmen.

Und nach diesem Drehbuch werden auch die nächsten Pleiten der Regionalbanken ablaufen: Bankkunden haben inzwischen verstanden, daß ihre Einlagen nur bei den von der Fed als „systemisch relevant“ eingestuften Großbanken sicher sind. Die Abflüsse der Einlagen werden bei Regionalbanken deshalb anhalten. Wird es bei einer Bank dann so eng, daß sie öffentlich ihre Optionen ausloten muß, beschleunigen sich die Abflüsse. Rettungsversuche scheitern, weil es keine Käufer gibt. Erst wenn die FDIC die Bank übernommen hat, finden sich Käufer für die Überbleibsel.

Das Ergebnis ist eine weitere Konzentration des Bankensektors in einigen, wenigen Großbanken, die dadurch immer mehr „systemisch relevant“ werden. Durch die Übernahme der First-Republic-Konten stieg JPMorgans Anteil an den Einlagen in den USA von zehn auf 13 Prozent. Nun ist Bankensterben in den USA kein neues Phänomen. Nur 4.800 Banken gibt es noch. Der Rekord war 1921 mit 30.456 Instituten erreicht, 1984 waren es immerhin noch etwa 18.000.

Der Schrumpfungsprozeß läuft sonst durch geordnete Übernahmen ab. Gefährlich ist, daß jetzt innerhalb kurzer Zeit Banken komplett verschwinden, die bisher Kleinunternehmen und Gewerbeimmobilien finanziert haben, die für Großbanken als Kunden zu klein oder zu spezialisiert sind. Und die Behörden scheinen damit zufrieden zu sein. Auf CNN verkündete Joe Bidens Finanzministerin Janet Yellen, daß eine reduzierte Kreditvergabe durch Banken weitere Zinserhöhungen überflüssig machen könnte. Damit bestätigte die Ex-Fed-Chefin Skeptiker, die fürchten, die Fed werde erst einlenken, wenn eine schwere Krise einsetzt. 

Große Kurssprünge und anschließende Gewinnverluste?

Auf Krisenniveau befinden sich bereits die Aktien der Regionalbanken. Ein Index von ihnen ist in diesem Jahr um ein Drittel gefallen, einzelne Werte deutlich stärker. Western Alliance, eine Bank in Nevada, Arizona und Kalifornien, fiel zeitweise um 60 Prozent gegenüber ihrem Kurs im April, bei PacWest (Kalifornien) waren es sogar 75 Prozent. Und wieder einmal werden Leerverkäufer für das Debakel verantwortlich gemacht.

Allein am 4. Mai sollen Leerverkäufer 400 Millionen Dollar verdient haben, wie der US-Bankenverband behauptet, der eine Untersuchung der Leerverkäufe fordert. Das mag stimmen, allerdings haben sie am Tag danach bei Kurssprüngen von bis zu 50 Prozent diese Gewinne wieder verloren. Wie schon bei Wirecard sind Leerverkäufer nicht Ursache der Misere, sondern ein Symptom als Begleiterscheinung. Bankaktien in der EU liegen in diesem Jahr im Plus. Die aktuelle Bankenkrise geht allein auf Zinserhöhungen zurück. Kreditausfälle liegen bisher im gleichen, beschränkten Rahmen wie in den letzten Jahren. Doch sollten sie zunehmen, träfen sie auf ein Bankensystem, das die Zins­erhöhungen noch nicht verdaut hat.

Übernahmeerklärung der Einlagensicherung FDIC: www.fdic.gov

Übernahmeerklärung der US-Bank First Republic: www.firstrepublic.com