© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/23 / 12. Mai 2023

Reale Tariflohnzuwächse für Beschäftigte im öffentlichen Dienst?
Dauerhafte Verluste
Jörg Fischer

In Tarifverhandlungen und bei Streiks verlangen Gewerkschaftler immer mehr, als Unternehmer oder die öffentliche Hand zahlen wollen oder können. Letztlich einigt man sich gütlich. Daher geht es seit Jahrzehnten mit den Reallöhnen – Lohnzuwachs abzüglich Inflationsrate – tendenziell aufwärts. Und liegt die Lohnerhöhung ein paar Jahre unter den Preiszuwächsen, wie während der Hartz-IV-Einführung, dann wurde dieser „Lohnraub“ (Verdi-Sprech) in den Folgejahren meist mehr als ausgeglichen. Doch Corona, eine Inflationsrate weit über den Lohnerhöhungen und den Sparzinsen, die Euro-Abwertung sowie die kriegs-, sanktions- und energiewendebedingte Preisexplosion haben eine „Zeitenwende“ gebracht: 2022 sanken die Reallöhne um 4,5 Prozent. Sparvermögensverluste waren noch höher.

Doch nun wurden für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst kräftige Lohnzuwächse verkündet – naturgemäß zu Lasten der Gebühren- und Steuerzahler. Und das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle hat in seinem IWH-Tarif-Check nachgerechnet: Der „kräftige Schluck aus der Pulle“ (vierstellige Inflationsausgleichsprämie) summiert sich für das laufende Jahr auf eine reale Netto-Tariflohnerhöhung von durchschnittlich 6,1 Prozent. Zusätzlich werde aufgrund des Inflationsausgleichsgesetzes weniger Lohnsteuer als 2022 erhoben, „so daß auch das bisherige Gehalt von der Lohnsteuer entlastet wird. Allerdings mindern die gestiegenen Sozialversicherungsbeiträge dies wieder“, so die IWH-Ökonomen.

Doch im März 2024 entfällt die temporäre Sonderzahlung. Nur noch ein 200-Euro-Sockelbetrag und die reguläre Tariflohnerhöhung von 5,5 Prozent erhöhen die öffentlichen Entgelte. Zudem fallen dann auch wieder alle regulären Lohnabzüge (Steuern, Sozialversicherung) an. „Der Anstieg der Bruttolöhne im Jahr 2024 wird dadurch insgesamt mehr oder weniger vollständig aufgesogen, so daß die Nettolöhne stagnieren“, konstatiert IWH-Vizepräsident Oliver Holtemöller. Oder unverblümter ausgedrückt: Wegen der „nur langsam sinkenden Inflation“ gebe es 2024 „reale Netto-Lohnverluste von etwa 3,5 Prozent“. Und dieser „Lohnraub“ läßt sich nicht mehr ausgleichen. Denn die geopolitische „Zeitenwende“ und die gnadenlose „Energie- und Wärmewende“, die Ampel und Union prinzipell wollen, verlangen ihren Tribut.