© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/23 / 12. Mai 2023

Laßt euch genügen an dem, was da ist
Staatsleistungen: Die Ampel-Koalition will die Ablösung der jährlichen Zahlungen an die Kirchen vorantreiben. Doch sowohl aus den Ländern als auch aus den Glaubensgemeinschaften kommt Widerstand
Gernot Facius

Das Thema schoß raketengleich in die Spalten der Zeitungen. Es geht um Potential und Möglichkeiten, in der Uraltdebatte über eine Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen, wie sie seit der Weimarer Republik (1919) gefordert werden, endlich einen großen Schritt voranzukommen. Wenn auch bislang mit wenig Erfolg. 

In ihrem Koalitionsvertrag haben die Parteien der Berliner Ampelkoalition (SPD, Grüne und FDP) beschlossen: „Wir schaffen in einem Grundsätze-Gesetz im Dialog mit den Ländern und Kirchen einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen.“ Das Bundesinnenministerium, Vertreter der Bundesländer und der Kirchen stimmen sich über das Vorgehen ab. Noch in diesem Jahr soll ein Gesetzentwurf präsentiert werden. Ein ehrgeiziges Vorhaben. 

Man muß schon etwas tiefer in die Geschichte einsteigen, um die Problematik, wie sie sich in 220 Jahren – seit 1803 – ergeben hat, verstehen zu lernen. Und was heißt „fairer Rahmen“? Hier driften die Meinungen auseinander. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) lehnt die Berliner Pläne ab. Er sei sich mit seinen Amtskollegen darüber einig, daß es derzeit wichtigere Themen gebe, mit denen sich die Politik auseinandersetzen müsse: „Deshalb werden wir keine Eile an den Tag legen, dieses Thema anzugehen.“ 

Weil befindet sich auf einer Linie mit dem bayerischen Regierungschef Markus Söder (CSU). Eine Ablösung würde die Länder „viel Geld kosten“, argumentierte Söder vor der Frühjahrsvollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) in München. Bei den Plänen der Ampel-Regierung gehe es zudem darum, das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen komplett zu lösen. Dahinter stecke aber der Gedanke, die Kirche in ihrer „Grundverfaßtheit“ und in ihrer Stellung im öffentlichen Leben zu treffen, hatte Söder bereits im Frühjahr im Presse-Club München pointiert formuliert. „Die Ampel ist eine Regierung, die kirchenskeptisch ist, sage ich ganz vorsichtig.“ 

Die Materie ist äußerst kompliziert. Es geht um Geld, viel Geld. Und natürlich auch um Geschichte. Die staatlichen Zahlungen reichen zurück bis in das Jahr 1803. Nach den Niederlagen in den Napoleonischen Kriegen waren deutsche Fürsten gezwungen, linksrheinische Territorien an Frankreich abzugeben. Die betroffenen Adelshäuser wurden für ihre Gebietsverluste abgefunden, festgelegt beim Reichsdeputationshauptschluß in Regensburg. Zur Entschädigung nutzte man kirchliche Landgüter und Klöster. Rund 10.000 Quadratkilometer kirchlichen Grundbesitzes gingen an Preußen, Bayern, Baden und Württemberg über. 

Für diese Verluste wurden wiederum die Kirchen entschädigt – mit bis heute andauernden Geldzahlungen. Da auch die Inflation berücksichtigt wurde, ist die Summe immer weiter gewachsen. 1949, im Jahr der Gründung der Bundesrepublik, erhielten die Kirchen Staatsleistungen in Höhe von etwa 49 Millionen D-Mark. Diese Summe wuchs auf etwa 620 Millionen Euro im Jahr 2022. Dem gesetzlichen Auftrag zur Ablösung dieser Zahlungen ist der Deutsche Bundestag bislang nicht nachgekommen. 

Und jetzt regt sich Widerstand gegen den Ablösungsauftrag der Verfassung. Markus Söder argumentiert wie viele seiner Kollegen mit der angespannten Lage der Länderhaushalte. Die Kirchen, warnt er, dürften sich nicht aus der Gesellschaft zurückziehen. Der bayerische Ministerpräsident mache sich damit „impliziert die Taktik der katholischen Seite zu eigen“, bemerkte die Frankfurter Allgemeine Zeitung. 

Um ein Grundsätze-Gesetz zu verhindern, drohten deren Vertreter im Bund wie in einigen Ländern damit, Sozial- und Bildungseinrichtungen wie Schulen und Kindertagesstätten aufzugeben, wenn die Bistümer vom Staat nicht mehr so alimentier würden wie bisher. Söder erwähnte auch Universitäten, worunter in Bayern auch die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt fällt. Ist dies ein weiteres Indiz dafür, daß die Bischöfe im weißblauen Freistaat erwägen, sich aus der einzigen katholischen Universität im deutschen Sprachraum zurückzuziehen? Das Thema birgt noch einige Überraschungen. 

„Kirchen wäre am liebsten, daß alles bleibt, wie es ist“

Doch auch wenn das geplante „Grundsätze-Gesetz“ beschlossen werden sollte, könnte es nach Meinung von Experten noch Jahrzehnte dauern, bis der Staat seine Zahlungen tatsächlich beendet hat. Jedes Bundesland ist nämlich gezwungen, sich mit den jeweiligen Landeskirchen und Bistümern auf seinem Territorium über die Ablösebedingungen zu einigen. Zudem könnten sich die meisten Bundesländer eine hohe Einmalzahlung nicht leisten. Eine Möglichkeit wäre, die geforderte Ablösung zeitlich zu strecken, vergleichbar der Ratenzahlung eines Immobilienkredits. 

Die Grünen-Politikerin Lamya Kaddor argumentiert bereits, nach ihren Vorstellungen könnten die Länder mit den Kirchen fünf bis sieben Jahre Zeit für die Aushandlung der Modalitäten erhalten, die eigentliche Ablösung könnte sich dann über 25 Jahre erstrecken. „Ich denke“, sagte die Bundestagsabgeordnete, „für die Kirchen wird der Zeitpunkt nicht besser“. Um welche konkrete Ablösesumme wird es letztlich gehen? Noch herrscht darüber kein Einvernehmen. Welches Verfahren wird für sich in Anspruch nehmen können, „fair“ zu sein? 

Vor zwei Jahren hatten FDP, Grüne und Linke im Bundestag einen Gesetzentwurf vorgelegt, er nannte die Zahl 18,6 als Ablösefaktor, also das 18,6fache der jährlichen Beträge. Man orientierte sich dabei an einem Gesetz für die steuerliche Bewertung von Vermögen. Heraus käme bei diesem Verfahren eine vom Staat einmalig zu zahlende Ablösesumme von mehr als elf Milliarden Euro. Das wäre „das Minimum“, kommentierte Jörg Antoine vom Dezernat für Finanzmanagement der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Die Direktorin des Zentralbereichs „Ressourcen“ des Bistums Trier, Kirsten Straus, machte eine ähnliche Rechnung auf. Angesichts niedriger Zinsen sei das Hundertfache der derzeitigen jährlichen Zahlung nötig, um das kirchliche Vermögen zu erhalten. Das heißt, der Staat müßte den Kirchen eine Ablösesumme von 60 Milliarden Euro zahlen. Auf den Staat käme eine Zahlungsverpflichtung zu, die ihn „blaß werden“ lasse. Eine Entflechtung von Kirche und Staat wäre für Kirsten Straus nicht realistisch: „Es ist keine glückliche Idee und kein glücklicher Zeitpunkt.“ Eine Dauerzahlung des Staates ohne Ablösung sei nichts Anstößiges. Eine komplizierte Gemengelage. 

„Was auch immer der Bundestag beschließen wird, sicher sind zwei Dinge“, schrieb das evangelikal orientierte Wochenmagazin idea. „Der Staat wird den Kirchen noch viele Jahre Geld überweisen, Und den Kirchen wäre es am liebsten, wenn bei Kirchensteuern und Staatsleistungen alles so bliebe, wie es jetzt ist.“ Das kann man gewiß so sehen. In den Kirchen stellt man sich allerdings bereits darauf ein, daß irgendwann über einen Ersatz für wegfallende finanzielle Leistungen nachgedacht werden muß. Die EKD-Bevollmächtigte Anne Gideon befürwortet ein „allmähliches Abschmelzen“ der Zahlungen an die Kirchen, verteilt auf einen „längeren Zeitraum“. Sie sagt aber auch: Die Diskussion über die Ablösung der Staatsleistungen müsse verbunden sein mit einer Anerkennung des großen und auch historisch gewachsenen Beitrags der Kirchen in der Gesellschaft: „Hinter den Staatsleistungen stehen historische Enteignungen, und wenn die darauf fußenden Zahlungen beendet werden sollen, muß nach einem Äquivalent für diese Zahlungen gesucht werden.“ 

Fazit: Die Debatte wird so schnell nicht beendet sein – sie hat eigentlich noch gar nicht richtig begonnen. „Napoleons vergiftetes Erbe“ (Zeit) wird den Kirchen in Deutschland noch lange zu schaffen machen. 





Napoleon hat schuld

Im Frieden von Lunéville (1801) zwischen Napoleon und Kaiser Franz II. verlor das Heilige Römische Reich Deutscher Nation seine linksrheinischen Gebiete an Frankreich. Für ihre Verluste wurden deutsche Fürsten entschädigt, indem die geistlichen Fürstentümer aufgehoben und im Reichsdeputationshauptschluß (1803) „säkularisiert“ wurden. Im Gegenzug mußten die Fürsten – und in ihrer Nachfolge die Länder – finanzielle Verpflichtungen für kirchliche Einrichtungen, etwa Klöster und Stifte übernehmen. Bereits die Weimarer Reichsverfassung sah eine Ablösung der Staatsleistungen vor, der entsprechende Artikel wurde jedoch nie umgesetzt, sondern in das Grundgesetz (Artikel 140) übernommen. Da die Länder quasi die Hauptschuldner der Staatsleistungen waren und sind, sollten das Reich und später der Bund die Rolle des neutralen Vermittlers übernehmen und die allgemeinen Grundsätze für die Ablösung der Zahlungen aufstellen. Würden die Länder ohne eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung die jährlichen Zahlungen ablösen, wäre dies verfassungswidrig. 2022 haben die Bundesländer etwa 602 Millionen Euro an Staatsleistungen veranschlagt. (vo)