© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/23 / 12. Mai 2023

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Keine kleinen Könige mehr
Christian Vollradt

Im Plenarsaal wird über die Rolle des Bundeskanzlers gestritten. So weit, so normal. Doch diesmal findet keine Redeschlacht von Abgeordneten statt. Am Donnerstag vergangener Woche reden keine Politiker, nur Juristen, ruhig und sachlich. Der Plenarsaal ist auch nicht das große Rund unter der Reichstagskuppel, sondern bloß ein nüchtern zweckmäßiges Behördenzimmer, in das man über die engen, mit Linoleum ausgelegten Flure des Verwaltungsgerichts Berlin gelangt. Und es geht auch nicht um Olaf Scholz, sondern um Gerhard Schröder, den Bundeskanzler außer Dienst. 

Der Altkanzler hat die Bundesrepublik Deutschland verklagt – eine Premiere in der Geschichte des Landes –, weil im Mai vergangenen Jahres sein Büro im Bundestag „ruhend gestellt“ wurde, so die offizielle Bezeichnung. Da er „keine fortwirkende Verpflichtung aus dem Amt mehr wahrnimmt“, strich ihm der Haushaltsausschuß des Bundestags die Stellen; die Mitarbeiter hatten unter Verweis  auf seine Lobbytätigkeit für russische Staatskonzerne schon vorher gekündigt (JF 34/22). Das sei ungerecht, so die Argumentation des 79jährigen, der an der Verhandlung nicht persönlich teilnimmt. Alle ehemaligen Kanzler hätten lebenslang ein Büro samt Mitarbeitern erhalten. Nach wie vor erreichten ihn Briefe und Anfragen von Bürgern, die es zu bearbeiten gelte. Tatsächlich sei das schon lange geübte Praxis, erläutert die Vorsitzende der Kammer, Gerichtspräsidentin Erna Xalter, die routiniert und charmant die Verhandlung führt. Konrad Adenauer bekam 1963 als Ex-Kanzler einen Mitarbeiter, allerdings noch von seiner Partei, der CDU, bezahlt. Bei Ludwig Erhard waren es eine Sekretärin und ein Referent, gestellt vom Bundeskanzleramt. Ab da wuchs die Zahl der Mitarbeiter kontinuierlich – bis auf aktuell neun Stellen für Angela Merkel.  

Xalter läßt an der einen oder anderen Stelle durchblicken, sie halte diese Form der Alimentierung ehemaliger Regierungschefs für nicht ganz einwandfrei. Daß die Fraktionen Räume, die der Steuerzahler ihnen für die parlamentarische Arbeit bezahlt, einem ehemaligen Mitglied der Exekutive zur Verfügung stellen, damit das seine „nachwirkenden Amtspflichten“ erledigen kann, sei ein Verstoß gegen das Parteienrecht. Als der Kanzler a.D. mit einem „kleinen König“ verglichen wird, merkt die Richterin nachdenklich an, man sei doch eine Republik. Bereits der Bundesrechnungshof hatte moniert, hier habe sich „ein Automatismus entwickelt, der weder hinsichtlich seiner ursprünglichen Begründung noch nach den Grundsätzen von Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit hinterfragt wurde“.

Am Ende weist das Verwaltungsgericht Schröders Klage ab. Unter anderem, weil sich allein daraus, daß etwas seit über einem halben Jahrhundert so gemacht werde, noch kein Gewohnheitsrecht ableiten lasse. Das Urteil, gegen das Schröders Anwälte bereits eine Berufung ankündigten, betrifft zunächst nur den Altkanzler. Doch der Richterspruch stellt das gesamte System dieser Ex-Politiker-Versorgung in Frage. Und das könnte womöglich auch Folgen für Schröders Nachfolgerin Angela Merkel haben.