© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/23 / 12. Mai 2023

Aber sonst ändert sich nix
Asylzuwanderung: Bund und Länder schieben sich die Verantwortung bei den Kosten zu / Höchstgrenzen bleiben tabu
Peter Möller

Einfach laufen lassen. Nach dieser Devise verfahren die Ampel-Koalition und insbesondere Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) seit Amtsantritt der Bundesregierung Ende 2021 mit der sich von Monat zu Monat zuspitzenden Flüchtlingskrise, die mittlerweile Ausmaße wie in den Jahren 2015/16 angenommen hat. 

Daß viele Kommunen und Gemeinden bereits seit dem vergangenen Jahr immer lauter um Hilfe rufen, da ihre Aufnahmekapazitäten und nicht zuletzt auch ihre finanziellen Mittel erschöpft sind, hat an der grundsätzlichen Haltung Faesers, die deutschen Grenzen für Migranten offenzuhalten, nichts geändert. Mehrfach lehnte sie in den vergangenen Wochen die Forderung nach einer Drosselung der Einwanderung nach Deutschland mittels einer Obergrenze ab. Es gebe keine „Höchstgrenzen für Menschlichkeit“, kanzelte sie ihre Kritiker ab.

Vor diesem Hintergrund waren die Erwartungen an den Flüchtlingsgipfel, zu dem Bundeskanzler Olaf Scholz unter dem wachsenden Druck insbesondere von Bürgermeistern und Landräten für diesen Mittwoch in das Kanzleramt geladen hatte, groß – die Hoffnungen bei den betroffenen Kommunen, daß sich endlich etwas ändert, allerdings angesichts der bisherigen Erfahrungen mit dem Kurs der Ampel mehr als bescheiden. Und tatsächlich kann man schon ohne das Ergebnis der hochkarätig besetzten Zusammenkunft in Berlin zu kennen, voraussagen, daß es in den kommenden Wochen und Monaten kaum zu einem tiefgreifenden Wechsel in der Flüchtlingspolitik kommen wird. Und damit auch nicht zu einer spürbaren Entspannung der Situation in den Städten und Gemeinden.

Dabei wissen auch die politisch Verantwortlichen in Berlin, daß der Zuzug im derzeitigen Tempo nicht mehr lange verkraftbar ist. In diesem Jahr sind Schätzungen zufolge bereits deutlich mehr als 100.000 Ausländer illegal nach Deutschland gekommen. Bis Ende März lagen den Behörden bereits 87.777 neue Asylanträge vor. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2022 haben 244.132 Menschen Asyl in Deutschland beantragt. Schon jetzt halten es Experten für möglich, daß im Sommer die Marke von 300.000 Asylbewerbern im Laufe des Sommers gerissen wird.

Und doch ging es am Mittwoch im Kanzleramt nicht in erster Linie um eine Begrenzung der Einwanderung, sondern um deren Finanzierung. Schon in den vergangenen Wochen hatte sich die Diskussion immer stärker auf die Frage konzentriert: Wer zahlt für die Flüchtlinge? Der Bund oder die Länder und Gemeinden?

Kaum jemand glaubt, daß sich jetzt etwas ändert

Anfang der Woche kursierten in Berlin zwei Papiere, die die gegensätzlichen Auflassungen der beiden Lager verdeutlichten. Eine Beschlußvorlage aus dem Kanzleramt unterstrich die Haltung des Bundes, über die bislang vereinbarten Mittel hinaus kein weiteres Geld für die Bewältigung der Flüchtlingskrise zur Verfügung zu stellen. Nur die bisher schon gewährte Pauschale für allgemeine flüchtlingsbezogene Kosten soll auch in den kommenden Jahren zur Verfügung gestellt werden. Der Bund begründet seine harte Haltung mit Verweis auf die bereits geleisteten hohen Ausgaben für Flüchtlinge. 

In der Beschlußvorlage wird insbesondere darauf verwiesen, daß der Bund seit Juni 2022 für ukrainische Kriegsflüchtlinge die Lebenshaltungskosten und bis zu 75 Prozent der Kosten für deren Warmmiete übernimmt. Das liegt auch daran, daß die vor Rußlands Angriffskrieg Geflohenen nicht ins Asylsystem fallen, sondern wie deutsche Empfänger von Sozialleistungen einen Anspruch auf das neu eingeführte Bürgergeld haben. Nach Angaben des Kanzleramts wird der Bund allein 2023 insgesamt etwa 15,6 Milliarden Euro bereitstellen.

Die Finanzminister der Länder, die sich in dieser Frage als Interessenvertreter der Kommunen verstehen, hielten mit einem sogenannten „Non-Paper“ dagegen, in dem eine andere Rechnung aufgemacht wurde: Danach sei die Unterstützung des Bundes in den vergangenen Jahren faktisch zurückgegangen und die Grenze der Belastbarkeit längst erreicht. 

Am Montag abend einigten sich alle 16 Bundesländer schließlich auf einen gemeinsamen Forderungskatalog für die Verhandlungen mit der Bundesregierung. Die Länder verlangen darin vom Bund, daß sich die Zahlungen an der Zahl der aufgenommenen Menschen orientieren. „Es bedarf eines Finanzierungsmodells, das der Höhe nach angemessen ist und sich verändernden Flüchtlingszahlen anpaßt (atmendes System)“, heißt es in dem Papier. 

Künftig sollen nach dem Willen der Bundesländer die Kosten für Unterkunft und Heizung für Flüchtlinge vom Bund übernommen und eine allgemeine monatliche Pro-Kopf-Pauschale für die Unterbringung und Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gezahlt werden. Gleichzeitig drängen die Ministerpräsidenten auf eine verläßliche Lösung für Integrationskosten sowie die Kosten für unbegleitete Flüchtlinge. „Die Hilferufe und Überlastungsanzeigen der Kommunen, Ehrenamtlichen und sonstigen Akteure vor Ort, die in den letzten Jahren unter schwierigen Rahmenbedingungen Großartiges geleistet haben, müssen ernst genommen werden“, heißt es fast flehentlich in dem Papier.

Doch selbst wenn am Ende eine Einigung im Streit um die Finanzierung der Flüchtlingskrise gefunden wird: Die Diskussion über den Ampel-Kurs in der Flüchtlingskrise wäre damit längst nicht zu Ende. Das weiß auch die Innenministerin, die mittlerweile jenseits des Gerangels um die Finanzierung ihre Hoffnungen auf Europa setzt. „Über Asyl für Menschen, die kaum Aussicht auf Schutz in der EU haben, muß in Zukunft schon an den Außengrenzen entschieden werden“, sagte Faeser der Bild am Sonntag. Wer kein Recht auf Asyl habe, müsse „von dort in seine Heimat zurückkehren“. Gleichzeitig wolle sie, daß jeder an der EU-Außengrenze registriert werde, „damit Menschen nicht unkontrolliert weiterreisen“. 

Während die FDP Zustimmung signalisierte, wandte der grüne Koalitionspartner umgehend ein „Ja, aber“ ein: Auch in Zukunft müsse der Zugang zu individuellen und rechtsstaatlichen Asylverfahren sowie menschenwürdiger Unterbringung sichergestellt werden, sagte deren Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Britta Haßelmann. 

Daß die Bundesinnenministerin auf einmal rhetorisch schärfere Töne anschlägt, halten manche Beobachter für Theaterdonner – und sehen einen Zusammenhang mit ihrer Spitzenkandidatur für die SPD bei der hessischen Landtagswahl im Herbst. 

Wie ihr Amtsvorgänger Horst Seehofer (CSU) beschwört Faeser damit auch eine „europäische Lösung“, die bereits seit der ersten Flüchtlingskrise 2015 auf sich warten läßt. Daß sich das nun schnell ändern wird, glaubt in Berlin kaum jemand.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser: Wer kein Recht auf Asyl habe, müsse von den Außengrenzen der EU aus in seine Heimat zurückkehren