Der Endspurt macht das Rennen an der Weser noch einmal richtig spannend. In den jüngsten Umfragen rückt die oppositionelle CDU wieder an die führende SPD heran, die Grünen verlieren stark an Zuspruch. Vor einem Überraschungserfolg dürften vor allem die konservativen Bürger in Wut (BiW)stehen. Die lokal verankerte Gruppierung um ihren Vorsitzenden Jan Timke (siehe Interview unten) und den Spitzenkandidaten Piet Leidreiter stehen kurz vor der Wahl bei neun Prozent – in ganz Bremen. Bisher hatten die BiW nur in Bremerhaven die Fünfprozenthürde überwunden und so aufgrund des Wahlrechts für Einzelkämpfer Timke ein Mandat in der Bürgerschaft errungen.
Diesmal bestehen aussichtsreiche Chancen, in Fraktionsstärke einzuziehen. Das dürfte auch an einer weiteren Besonderheit dieser Wahl liegen: daß die AfD, die bis zu einer Spaltung als Fraktion in der Bürgerschaft vertreten war, nicht antreten darf (JF 12/23). Weil der in zwei zutiefst zerstrittene Lager gespaltene Landesverband zwei unterschiedliche Listen einreichte, lehnte der zuständige Landeswahlausschuß beide AfD-Wahlvorschläge ab. Die gegenseitige Blockade der Blauen wird noch dadurch komplettiert, daß der Bundesvorstand den sogenannten Rumpfvorstand um den stellvertretenden Landesvorsitzenden Sergej Minich anerkennt, während das Bundesschiedsgreicht den selbsternannten „Notvorstand“ um die Bürgerschaftsabgeordneten Heinrich Löhmann und Frank Magnitz für rechtmäßig hält.
Experimente im Verkehr sorgen für Unmut beim Wähler
Bei der vorigen Bürgerschaftswahl 2019 war die CDU mit 26,7 Prozent stärkste Kraft geworden und entthronte die seit mehr als 70 Jahren regierende SPD. Die bis dahin regierende rot-grüne Koalition hatte keine Mehrheit mehr. Entscheidend für das Regieren ist aber das Schmieden von Bündnissen, wie die CDU erfahren mußte. Der Wille zum Machterhalt war bei Rot-Grün so groß, daß sie die Linken mit ins Boot holten. Auf den wegen der damaligen Wahlniederlage zurückgetretenen SPD-Spitzenkandidaten Carsten Sieling folgte Andreas „Bovi“ Bovenschulte. Der regiert seitdem ohne großes Aufsehen zu erregen, abgesehen davon, daß seine Landesregierung die Schuldenbremse außer Kraft setzen will. Und im März legte der Senat einen Nachtragshaushalt über drei Milliarden Euro für die kommenden vier Jahre vor, um nach eigenen Angaben mehr Geld für die steigenden Lebenshaltungskosten, Klimaschutz, Verkehrswende und Umbau zu einer zukunftsfähigen Wirtschaft zur Verfügung zu haben.
Selbst die linken Senatoren – die jetzige Spitzenkandidatin Kristina Vogt ist für Wirtschaft, Arbeit und Europa, Claudia Bernhard für Gesundheit zuständig, genießen insbesondere seit der Pandemiezeit als Krisenmanagerinnen allgemeine Anerkennung. Bovenschulte selbst bescheinigt seiner Regierung „gute Arbeit gemacht“, den Stadtstaat sicher durch die Corona-Pandemie und die Energiekrise geführt zu haben, was viele Befragte vor der Wahl auch so sehen. Ganz anders ist das Stimmungsbild bei der Grünen-Spitzenkandidatin Maike Schaefer. Mit deren Arbeit als Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau sind nur 19 Prozent zufrieden. Ihre Verkehrsexperimente in der Innenstadt sorgen einerseits für viel Verärgerung bei den Bürgern, gingen andererseits aber der eigenen Klientel nicht weit genug, die noch mehr Radverkehr und noch weniger Autos im Zentrum fordert.
Rund 400 Millionen Euro läßt sich der trotz seines Hafens ewig klamme und auf Zuschüsse angewiesene Stadtstaat Klimaschutzprojekte kosten. Daß die Stadt bis 2038 klimaneutral wird, ist das erklärte Ziel der Grünen im Wahlkampf, während die Linke mit dem Slogan „Das neue Rot“ und Forderungen nach bezahlbaren Wohnungen und Gesundheitszentren vor Ort um Stimmen buhlt. Weitere Themen sind die soziale Spaltung, das notleidende Bildungssystem – zehn Prozent der Schüler machen in Bremen keinen Abschluß – und das Sicherheitsgefühl der Bürger. Die Aufholjagd der CDU unter ihrem Spitzenkandidaten Frank Imhoff, der mit seiner Familie einen Milchviehhof vor den Toren der Hansestadt betreibt, ist auch deswegen bemerkenswert, weil sie vor einem Jahr bei lediglich 22 Prozent lag – und die SPD bei 30.
In Bremen und Bremerhaven sind Bürger schon ab 16 Jahren wahlberechtigt. Jeder hat dabei – eine Besonderheit bei Landtagswahlen – fünf Stimmen und die Möglichkeit des Panaschierens, also des Verteilens der Stimmen auf mehrere Kandidaten, und des Kumulierens, bei dem ein Kandidat alle fünf Stimmen erhält.