© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/23 / 05. Mai 2023

Schäfer und Bauern verzweifeln
Der Wolf ist der Liebling der Ampel-Politiker, doch er zerstört die Viehwirtschaft
Martina Meckelein

Kurz bevor der Demonstrationszug das Brandenburger Tor erreicht, ruft ein Herr in Anzug und Krawatte den Teilnehmern zu: „Schafft euch doch einfach Herdenschutzhunde an.“ Der Rat eines Städters, doch dem Wolf ist weder mit Hunden noch Weidezäunen und schon gar nicht mit Vermenschlichung beizukommen. Vielleicht 60 Demonstranten, sie sind Landwirte, Schäfer, Pferdehalter aus Brandenburg, Niedersachsen, Hessen oder Baden-Württemberg, ziehen durch die Berliner Innenstadt. Sie demonstrieren „gegen die ungehemmte und existenzbedrohende Ausbreitung und Vermehrung der Wolfspopulation“, sagt Wendelin Schmücker der JUNGEN FREIHEIT. Er selbst war nicht bei der Demonstration. „Unsere Schafe lammen“, sagt seine Frau Anette. „Nach dem letzten Wolfsangriff auf die Herde muß einer von uns bei den Tieren bleiben.“

Der Schäfer aus Winsen an der Luhe hat die Demonstration organisiert. Das exponentielle Wachstum des Wolfes habe die schlimmsten Erwartungen übertroffen: Schäfer gäben wegen dramatisch steigender Rißzahlen ihre Betriebe auf, auch Spaziergänger und Jogger würden von Wölfen verfolgt. Die Naturschutzverbände romantisieren den Wolf. Der Nabu gibt zum Beispiel Schulmaterialien, gefördert vom Bundesamt für Naturschutz, heraus samt Wolfsposter und Wolfslied. Da heißt es, der Wolf sei „kein Streichelhund“, allerdings lautet der Refrain: „Nein, du bist nicht zahm, doch das ist noch lang kein Grund, dich nicht gern zu haben.“

„Wir nennen das Disneysyndrom“, sagt Landwirt Frank Farmer (60), bis 2015 hatte er 50 Milchkühe, arbeitet jetzt als Angestellter in einem Milchviehbetrieb mit 200 Kühen in Niedersachsen bei Bremen. „Das zeigt nur, wie der Wolf vermenschlicht wird.“ Nur zwei Politiker sind vor Ort: Thomas Ehrhorn von der AfD und ein SPD-Abgeordneter. Nun, vielleicht liegt es daran, daß zur selben Zeit der Wolfsgipfel abgehalten wird. „Alle Parteien sind eingeladen, außer die AfD“, sagt der Bundestagsabgeordnete aus dem Landkreis Celle. In Deutschland darf der Wolf nicht bejagt werden. Die Dokumentationsstelle Wolf (DBBW) meldete 2022 Schätzzahlen: 1.200 bis 2.100 Tiere. Der Deutsche Bauernverband, der Welpen mitzählt, geht von 1.500 bis 2.700 aus. Ein erwachsener Wolf benötigt pro Tag vier Kilo Fleisch – 60 Rehe oder 16 Rothirsche jährlich wären das, rechnete das Wolfsinformationszentrum Schleswig-Holstein aus.

„Nur zwischen Februar und März, wenn die Wildschweine frischen, und Mai und Juni, wenn Reh- und Rotwild werfen, nimmt der Jagddruck durch Wölfe auf die Weidetiere ab“, sagt Frank Michel, Wolfsbeauftragter der Freien Bauern in Brandenburg. Er hält auf 100 Hektar Mutterkühe. „Kälberrisse, fünf Stück, nur einer wurde vom Rißgutachter als Wolfsriß anerkannt, die anderen fielen unter ‘ferner liefen’, die Gutachter haben wohl einen anderen Blick drauf.“ Bevor ihm ab 2018 Kälber gerissen wurden, hat es übrigens keine Risse durch Hunde gegeben – „und jetzt gleich vier, ist doch seltsam“. Michel fordert einen Richtungswechsel: „Wir haben hier schon lange einen günstigen Erhaltungszustand des Wolfes erreicht. In Schweden sind 300 Wölfe als Anzahl politisch festgelegt, in Deutschland sind es 1.740. Wir haben 550 Welpen für 2021/22 nachgewiesen. Wir müssen den Bestand regulieren.“

„Ich habe drei Ponys, Shettys“, sagt Nadine Flach aus Osterholz in Niedersachsen. Die Erzieherin hat Angst um ihre Tiere. „Die leben in Offenstallhaltung, direkt am Haus. Was ist, wenn da der Wolf kommt?“ Flachs Probleme sind folgende: Die Weide ist gepachtet, allerdings nur auf ein Jahr, der Vertrag wird immer wieder verlängert. Subventioniert wird ein Wolfszaun erst ab einer Pachtdauer von fünf Jahren. „Wobei die Zäune eh Augenwischerei sind, die sind viel zu niedrig“, meint Flach.

Edgar Engist, seit 48 Jahren Schäfer, ist für eine Wolfsobergrenze von 200 Tieren. Er hält Bergschafe, Coburger Fuchs und Merinoschafe bei Freiburg in Baden-Württemberg. Er hat einen Wolfszaun, einen Kilometer lang, 16.000 Euro teuer, „von Steuergeldern finanziert“, sagt er. „Meine Hündin springt locker durch die vierte und fünfte Litze, Wölfe über die fünfte rüber.“ Ein Urgestein, mit seiner 130 Jahre alten Schäferschippe, die ihm sein Lehrmeister zum Abschied schenkte, und dem selbstgeschnitzten Stock aus Schwarzdorn steht er jetzt vorm Brandenburger Tor. „Seit 2016 haben wir 300 Wolfssichtungen und Übergriffe im Land. Es häuft sich. Wölfe müssen bundesweit ins Jagdrecht aufgenommen werden, wie in Frankreich.“

Winnfried Mennle hatte vier Herden, beweidete die Elbdeiche. 24 Herdenschutzhunde hatte er in den Jahren. „Die gegen Wölfe einzusetzen ist doch so, als ob der Staat Gladiatoren in den Kampf schickt.“ Er hält von dem Herdenschutzhundsystem wenig. „Das funktioniert vielleicht zwei Jahre, dann hat der Wolf eine neue Strategie. Das Rudel schickt einen Wolf vor, den stellen die Hunde und der Rest des Wolfsrudels kommt von hinten und holt sich die Schafe. Den Wolf verurteile ich nicht dafür. Das ist ein tolles Wesen, das allerdings in unserer Kulturlandschaft keinen Platz hat.“ Gegen die Wölfe hat er Videoüberwachung eingesetzt, „die Kameras wurden mir aber immer wieder geklaut. Nach dem zwölften Diebstahl habe ich aufgegeben.“ Mennle fordert den Abschuß auffälliger Tiere. „Die im Wald bleiben, scheu sind, keine Herden anfallen, die können bleiben.“

„Wir haben in den letzten Jahren drei Wolfsangriffe erlebt“, sagt Anette Schmücker. „Der erste war im Mai 2018. Dabei wurden 100 Schafe angegriffen, 3 waren sofort tot, 18 mußten wir einschläfern lassen. Der zweite Angriff passierte am 30. Oktober 2018. Wir waren damals auf Wanderschaft mit allen 600 Schafen.“ Die Schafe waren, so die Schäfer-Gattin, wie beim ersten Angriff wolfsabweisend eingezäunt. Trotzdem holten die Wölfe drei Lämmer. Der dritte Angriff sei vergangenes Jahr Ende April auf eine Herde mit 400 Junglämmern und Zuchtschafen erfolgt. „Dabei sind vier Tiere getötet worden, acht mußten eingeschläfert werden, der Rest war schwer verletzt“, erzählt sie.

Vorige Woche lehnte der Bundestag zwei Anträge der AfD und der CDU/CSU zur Kontrolle des Wolfsbestandes ab. „Wenn die Wölfe nicht bejagt werden, bleiben nur zwei Alternativen“, sagt Schmücker: „Entweder wir halten die Tiere nur noch im Stall, oder wir müssen die Schafe abschaffen. Aber die Weidetiere sind wichtig für die Artenvielfalt und die Offenhaltung der Landschaften.“