© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/23 / 05. Mai 2023

Frisch gepreßt

Libertäres Feindbild. Während der Corona-Pandemie erzielte der Basler Soziologie Oliver Nachtwey mit einer Feldstudie über das „Querdenker-Milieu“ eine bescheidene Resonanz auch außerhalb des akademischen Elfenbeinturms, weil er dessen initiierte Proteste gegen die Freiheitsbeschränkungen des staatlichen Corona-Regimes nicht ins Links-Rechts-Schema preßte. Obwohl die Leitmedien die Legende von den „Querdenkern“ als rechten Verschwörungsideologen, Reichsbürgern und AfD-Wählern verbreiteten. Nachtweys Recherchen belegten jedoch, daß sich auch Grüne, Linke, Anthroposophen und politisch nicht Festgelegte aus der „Mitte der Gesellschaft“ in der Szene tummeln. Die nun zusammen mit der Basler Literatursoziologin Carolin Amlinger vorgelegte Studie über die Protestbewegung dampft diese „neue Unübersichtlichkeit“ gründlich ein, indem sie die „Sozialfigur des libertären Autoritären“ kreiert, eine Mutation des von Horkheimer und Adorno erfundenen „autoritären Charakters“. Für Amlinger und Nachtwey verkörpert dieses libertär-autoritäre Konstrukt alles, was dem linken Stammtisch als Feindbild von jeher lieb und teuer ist: maßlos überzogene Herrschaftskritik an den edlen kosmopolitischen Eliten, antidemokratische und antimuslimische Vorurteile, Fremdenfeindlichkeit samt böser Skandalisierung der Flüchtlingspolitik, unzulässiger Widerstand gegen den „Großen Austausch“, der für die Autoren ungeachtet eines millionenfachen Fremdenzustroms nur ein rechtes Phantasma ist. In solchen Plattheiten erschöpft sich das Werk, bis auf einen zustimmungsfähigen Satz: Es sei wohl ausgeschlossen, daß spätmoderne Gesellschaften wie die bundesdeutsche je „wieder dauerhaft stabile alltägliche Normalität erreichen werden“. (wm)

Carolin Amlinger, Oliver Nachtwey:  Gekränkte Freiheit. Aspekte des libertären Autoritarismus. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022,  gebunden, 478 Seiten, 28 Euro





Bundeswehr. Seitdem Heeresinspekteur Alfons Mais zu Beginn des Ukraine-Krieges öffentlich eingestehen mußte, daß die Truppe „mehr oder weniger blank dasteht“, werden die unzähligen Klagen über Ausrüstung, Beschaffung, Einsatzfähigkeit etc. endlich wachsamer beachtet. Auch die profunde Analyse des Ex-Fallschirmjägers Achim Wohlgethan erkennt schlichtweg den Auftrag der Armee als derzeit „nicht durchführbar“. Besonders die Struktur mit „zu vielen Häuptlingen und zu wenig Indianern“ sorge dafür, daß die mit allzu vielen hohen (und ergrauten) Dienstposten und im Kontrast zur 470.000-Mann-Armee von 1992 statt 193 heute nun sogar 215 Generalen ausgestattete Truppe den Fokus auf die für die Kampfkraft unerläßlichen Dienstgrad- und Altersgruppen verloren hat, die unter den etwa 180.000 Soldaten leider unterrepräsentiert sind. (bä)

Achim Wohlgethan: Blackbox Bundeswehr. Die 100-Milliarden-Illusion. Was unsere Truppe jetzt wirklich braucht. Econ Verlag, München 2023, broschiert, 320 Seiten, 21,99 Euro