© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/23 / 05. Mai 2023

In rechten Kreisen
Annäherungen an Georges Sorel
Werner Olles

War Georges Sorel tatsächlich – wie Armin Mohler in seinem luziden Essay schreibt – der „Erzvater der Konservativen Revolution?“ Er begründet dies mit Sorels Faszinosum, „daß in seiner Gestalt zwei Eigenheiten verschmelzen, die nach landläufiger Meinung unvereinbar sind; es ist die zunächst absurd erscheinende Kreuzung eines Revolutionärs mit einem gigantischen Reaktionär“. Daraus ergebe sich notwendig die Feindbestimmung, die nur der Liberalismus sein könne.

Von Georges Sorel (1847–1922) ist der Satz überliefert: „Ich las Marx und dachte, es sei Nietzsche.“ Günter Maschke kommentierte das in einem Interview: „Ich las Marx und dachte, es sei Sorel.“ Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Doch nach der Lektüre dieses Buches mit dem Epilog Mohlers und der Beherzigung der Warnung des Herausgebers Erik Lehnert vor der „mühevollen Angelegenheit des Studiums der Texte Sorels“ ist die Studie von Sorels revolutionärem Syndikalismus vonnöten, den der Sozialdemokrat Eduard Bernstein hellsichtig als „nietzscheanisch renovierten Marxismus“ bezeichnete.

Sorels Aufsätze erschienen in den Sozialistischen Monatsheften von Joseph Bloch. Vier Texte daraus sind im Buch enthalten, von der „Ethik des Sozialismus“ über die Marxsche Mehrwert- und Geschichtstheorie bis zu seiner Demokratiekritik und der Annäherung an die rechten Kreise um den Schriftsteller Charles Maurras. In Deutschland erkannte Carl Schmitt als erster die Bedeutung Sorels, dessen intensive Kritik am Parlamentarismus und Liberalismus, die zum „stato corporativo“ des Faschismus und zum Sowjetsystem führe, wenngleich ihn auch der syndikalistische Anarchismus nicht überzeugte. Doch hatte nicht Marx Bakunin vorgeworfen, eine politische Vereinigung gebildet zu haben, die so autoritär sei, daß man glauben könne, sie sei vom bonapartistischen Geist inspiriert?

In Frankreich ist Sorel heute fast unbekannt. Dabei hat er frühzeitig die Desorganisation des Utilitarismus erkannt, „der das Bürgertum genauso unterhöhlt wie das Volk“. Der Bruch mit dem Marxismus war unausweichlich, genau wie seine Annäherung an Charles Péguys „Renouveau catholique“ und den „integralen Nationalismus“ von Maurras. Sorel, der „Wanderer zwischen vielen Welten“ (Mohler) äußerte sich zurückhaltend zur Zusammenarbeit von Syndikalismus und Royalismus, sah er doch in der Ferne zwei Bewegungen aufsteigen, die er als Gegenbegriffe zur Dekadenz verstand: Lenins Sowjetrußland und Mussolinis Italien: Bolschewismus und Faschismus als Verbindung des Sozialen mit dem Nationalen. Den Zusammenschluß von enttäuschten Linken und enttäuschten Rechten, Sorels Traum, faßte er so zusammen: „Ich bin kein Demokrat, also verachte ich das Volk nicht!“

Erik Lehnert (Hrsg.): Georges Sorel: Sozialer Mythos und Revolution. Institut für Staatspolitik, Schnellroda 2023, gebunden, 240 Seiten, 25 Euro