© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/23 / 05. Mai 2023

Kühner Steiter an einer Zeitenwende
Zum 500. Todestag des „letzten Ritters“ Franz von Sickingen
Jan von Flocken

Ulrich von Hutten, der große deutsche Dichter und Humanist, lobte „sein männlich, ehrlich und trutzig Gemüt“. Der 1481 im nordbadischen Kraichgau auf der Ebernburg geborene Ritter Franz von Sickingen kannte darüber hinaus kaum materielle Sorgen. Sein Vater hatte ihm ein bedeutendes Vermögen hinterlassen, das zum Teil aus Geld, teilweise aus Investitionen im Bergbau bestand.  Vielleicht lag es eben daran, daß der junge Mann sich zunehmend in politische und kriegerische Konflikte einmischte.

Schon 1508 kämpfte der als kühn und unbeugsam geltende Sickingen im Dienst von Kaiser Maximilian I. in Norditalien gegen die Republik Venedig. Er bekriegte den expansionslüsternen Herzog von Lothringen und den Landgrafen Ulrich von Württemberg. Als er aber mit der Reichsstadt Worms in Streit geriet (bei dem ihn übrigens Götz von Berlichingen, der Ritter mit der eisernen Hand, unterstützte), wurde er 1515 vom Kaiser geächtet.

Wohl um sein politisches Überleben zu sichern, trat er in die Solddienste des französischen Königs Franz I. In dessen Auftrag eroberte er im Sommer 1518 mit einem Aufgebot von 16.000 Landsknechten und 7.000 Rittern die Reichsstadt Metz für Frankreich. Mit 25.000 Goldgulden kaufte sich die Stadt von der Plünderung frei. Nach Maximilians Tod wechselte Franz wieder die Seiten. 1521 sammelte er ein Heer von gut 15.000 Mann zum Feldzug gegen Frankreich und eroberte die Stadt Sedan.

Als im Juni 1519 die Königswahl des Habsburgers Karl V. bevorstand, sah man Sickingen an der Seite des legendären Georg von Frundsberg, genannt „Vater der Landsknechte“. Mit mehr als 15.000 Mann sicherten beide in Frankfurt am Main die Wahl ab, was eine geplante militärische Intervention Frankreichs verhinderte, dessen König selbst die deutsche Krone an sich reißen wollte. Durch seine vielen erfolgreichen Feldzüge hatte Franz sich schließlich zu einem ernstzunehmenden politischen Faktor im Süden des Reiches entwickelt.

Und er wurde ein glühender Anhänger Martin Luthers. „Ihm gefällt dessen Angriff gegen den Papst, denn Sickingen hat selbst ein Problem mit Autoritäten“, meint Christian Nürnberger in seiner Luther-Biographie „Der rebellische Mönch“. Vor allem aber „hat er ein Problem mit dem Niedergang seines einst so stolzen Ritterstandes“. Erfindung und Gebrauch der Feuerwaffen sowie die Etablierung der Landsknechtsheere hatten seine militärische Vormachtstellung gebrochen. Die wachsende Macht, welche einerseits die Landesfürsten, andererseits die Städte gewannen, drohte auch noch den politischen Einfluß der Ritter zu vernichten. Die Unzufriedenheit über diesen Zustand sollte den notorisch zerstrittenen Ritterstand jetzt wieder zusammenschmieden.

Dann begann das Fanal der Reformation. Während seines Feldzugs gegen Württemberg 1519 lernte Sickingen den Humanisten und Dichter Ulrich von Hutten kennen, zu dem er eine tiefe Freundschaft entwickelte. Auch Hutten erhielt 1520/21 auf der Ebernburg Schutz, wo er Sickingen mit den Gedanken Martin Luthers vertraut machte. Mehreren vom Klerus bedrängten Reformatoren wie Johannes Reuchlin oder Martin Butzer bot er Obdach auf seinen Festungen Landstuhl und Ebernburg, die zu „Herbergen der Gerechtigkeit“ (wie sie Hutten nannte) aufstiegen. Nachdem Martin Luther im Dezember 1520 öffentlich die päpstliche Bannbulle verbrannt hatte und sich deswegen auf dem Reichstag zu Worms rechtfertigen sollte, lud ihn Sickingen auf die Ebernburg ein, wo er mit dem kaiserlichen Beichtvater Glapion verhandeln könne. Ob danach die Reformation in anderen Bahnen verlaufen wäre, bleibt Spekulation. Am 13. August 1522 wählte in Landau eine Versammlung der schwäbischen und fränkischen Ritterschaft Sickingen zum Führer dieser „christlichen Vereinigung“. Man wollte gemäß den mittelalterlichen Tugenden ritterlich zusammenstehen. „Wer einen von uns antastet, der bekommt es mit so vielen anderen zu tun, daß ihm zumute wird, als habe er mit bloßer Hand in ein Nest voller Hornissen gegriffen“, drohte Sickingen und täuschte sich damit über die wahren Machtverhältnisse. Ende August 1522 begann er mit 7.000 Mann den „Pfaffenkrieg“ gegen das Erzbistum Trier, mit dessen Herrscher Kurfürst Richard von Greiffenklau seit langem eine Fehde schwelte. Ob Franz ernsthaft anstrebte, den Kurfürsten in seinem Amt zu beerben, scheint eher zweifelhaft.

Der Mörserbeschuß seiner Burg wurde Sickingen zum Verhängnis

Es gelang Sickingen zunächst, die Burg Blieskastel zu erobern, doch die Belagerung von Trier scheiterte im September nach nur sieben Tagen. Wenig später traten seine Gegner, neben Trier auch Pfalzgraf Ludwig und Landgraf Philipp von Hessen, in die Offensive. Unter dem Druck ihrer vereinigten Streitmacht mußte sich Sickingen Ende April 1523 auf seine Burg Nanstein bei Landstuhl in der Westpfalz zurückziehen, die kurz darauf belagert wurde.

Schon am ersten Tag fielen 600 Schüsse auf die Burg; der große Turm sank in Trümmer. Am 2. Mai war ein Stück Mauer von fast 30 Meter Länge niedergelegt. Sickingen, dem dies unglaublich vorkam, ließ sich von seinem Büchsenmeister hinausführen; von Fußgicht geplagt, konnte er kaum laufen. „Da geschah ein Schuß aus einer Feldkanone, der ihm Mauersteine und Pfähle in die linke Seite des Leibes schlug“, so der Chronist Philipp Hofmeister. „Zerschmettert und fast erblindet trug man ihn erst in sein Gemach, und weil die Kugeln auch bis dahin drangen, in ein eingehauenes Gewölbe.“ Fünf Tage später, am 7. Mai 1523, starb Franz von Sickingen.  Auf seinem Sterbelager hatte er noch ungewohnt bescheiden verkündet: „Um mich ist’s ein Geringes. Ich bin nicht der Hahn, darum man tanzt.“