© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/23 / 05. Mai 2023

Endlich wieder frei arbeiten
Funk in der Krise: Immer mehr Youtuber verlassen das Jugendnetzwerk von ARD un ZDF
Eric Steinberg / Gil Barkei

Laut einer Studie des Branchenverbands der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche Bitkom waren 89 Prozent der Internetnutzer in den vergangenen zwölf Monaten in den Sozialen Medien unterwegs. Insbesondere für junge Menschen gehört die Online-Welt zum Alltag. Für 78 Prozent der unter 30jährigen ermöglichen Instagram, TikTok und Co. den schnellsten Zugang zum Weltgeschehen. 43 Prozent der Befragten zwischen 16 und 29 Jahren gaben an, Online-Netzwerke hätten einen Einfluß auf ihre politische Meinung. Darum gilt: Insbesondere alternativ-konservative Medien müssen ihre Präsenz in den digitalen Kanälen ausbauen.

Allerdings ist die Konkurrenz – insbesondere die öffentlich-rechtliche – stark. Allein das jugendliche Sendeprogramm Funk versammelt Dutzende Profile, insbesondere im Bereich Bewegtbild. Doch die Wolken am Himmel des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) verdichten sich. Nachdem in den vergangenen Monaten bereits zahlreiche Skandale für Kritik am gebührenfinanzierten Journalismus sorgten, gesellt sich für den ÖRR mittlerweile noch ein weiteres Problem hinzu. Denn: Auch Funk steckt in der Krise. Immer mehr Youtuber verlassen das Netzwerk und auch die inhaltliche Kritik läßt kaum nach.

Dank GEZ-Milliarden passende 

Formate einfach gewildert

Den Anfang vom (möglichen) Ende machte vergangenes Jahr der Kanal „Simplicissimus“. Bekannt wurde er für Videos zu politischen und gesellschaftlichen Themen. Nach nur drei Jahren unter öffentlich-rechtlicher Fahne verließen die Youtuber Funk und wechselten zurück auf den freien Markt. Ein herber Verlust, immerhin folgen dem Kanal über 1,2 Millionen Abonnenten. Die Gründe dafür liegen an der Struktur: Funk sei ein „festes System, in dem es feste Prozesse und Abläufe gibt“. Zudem sei man nach jahrelanger Zusammenarbeit ausgelaugt gewesen.

Ähnliche Beweggründe nannten auch die Journalisten des Wissenschaftskanals „Dinge Erklärt – Kurzgesagt“. Anfang des Jahres verkündeten sie, daß es in Zukunft keine Zusammenarbeit mit Funk mehr geben wird. Fünf Jahre nach Beginn der Kooperation bevorzugen sie nun die Möglichkeit, Werbung zu schalten. Das war als gebührenfinanzierter Kanal nicht möglich. Den Content-Erstellern war es nicht einmal erlaubt, die englischen Projekte des Teams, die auf anderen Kanälen zu finden sind, zu bewerben. Den Moment des Ausstiegs haben die Youtuber klug gewählt. Mittlerweile ist der Kanal mit über 2 Millionen Abonnenten so erfolgreich, daß die Einnahmen auch ohne feste ÖRR-Zahlung nicht gering ausfallen dürften. 

Damit verliert Funk neben dem Kanal „MaiLab“ von Mai Thi Nguyen-Kim das zweite Zugpferd seines wissenschaftlichen Portfolios. Die promovierte Chemikerin gab Mitte April bekannt, daß sie den Kanal nicht weiter betreiben wird. Dafür nannte sie persönliche Gründe und einen Umbruch im Team. Die Abschiede der benannten Kanäle bedeuten für Funk den Verlust von Reichweite und je nach Kanal auch Qualität. Sie zeigen jedoch auch gleichzeitig das Problem des Funk-Netzwerkes. Viele der Kanäle sind nicht als öffentlich-rechtliches Projekt ins Leben gerufen worden. Sie wurden im Laufe der Zeit übernommen und ins werbefreie ÖRR-Korsett gezwängt. Dank der GEZ-Milliarden läßt es sich schamlos wildern im Youtube-Kosmos, der eigentlich mit Freiheit und gleichen Chancen für jedermann wirbt.

Das Konzept ist bequem: Man hält Ausschau nach „Creatorn“, deren Kanäle entweder schon über eine enorme Reichweite verfügen oder zumindest großes Potential. Im zweiten Schritt integriert man sie in das Netzwerk. Zumindest dann, wenn sie keine rechten, konservativen oder wirtschaftsliberalen Positionen verbreiten: Politische Kanäle außerhalb der linken Selbstbeweihräucherungsblase sucht man vergeblich. Neben einem ausgeglichenen Polit-Kanalangebot erspart man sich mit dem Kanal-Picking zudem eigene innovative und aufwendige Arbeit. Und insbesondere für noch wenig bekannte Filmchenmacher – oft Anfänger und Autodidakten in Sachen Kamera und Ton – sind festes sicheres Geld, redaktionelle Beratung, professionelle technische ARD-Strukturen und Marketing im Hintergrund verlockend. Auf den 45,5 Millionen, die Funk anteilig am Rundfunkbeitrag erhält, läßt es sich ausruhen, anstatt teure Eigenprodukte zu entwickeln.

Nicht immer jedoch bleiben die Resonanzen auf den Abschied so positiv wie bei „Dinge Erklärt – Kurzgesagt“ oder „Simpicissimus“. Der Youtuber Leeroy Matata verließ Funk, nachdem in den vergangenen Monaten immer mehr Kritik an seinem Kanal aufgekommen war. Der Kanal „Leeroy will’s wissen“ war mit über 2,4 Millionen Abonnenten bis dahin der reichweitenstärkste des Netzwerks. Das Konzept: Der 26jährige schwarze Rollstuhlfahrer begleitet Menschen mit ungewöhnlichen Schicksalen und stellt deren Andersartigkeit in Aufeinandertreffen besonders heraus. Dabei ergeben sich seltsame Gesprächssituationen wie „Ex-Nazi trifft Jüdin“, „Imam trifft Dragqueen“ oder „Mörder trifft Angehörigen“. Auch mit Thumbnail-Titeln wie „Sie liebt einen Möder“ erreichte er die Aufmerksamkeit seines Publikums. Der Vorwurf: Leeroy sei seinen Gästen gegenüber zu unkritisch, verstärke den voyeuristischen Appetit des Publikums und liefere dennoch kaum Erkenntnisse, dafür aber Stereotype. Er selbst sagt in seinem Trennungsvideo, daß er nun endlich wieder freier arbeiten könne, nachdem in der Abstimmung die „kreative Freiheit etwas auf der Strecke“ blieb. Er spricht zudem von einer gerade bei jüngeren Mitarbeitern vorherrschenden „Angst im Nacken, daß ein kleiner Fehler wie einmal falsch gegendert oder eine Trigger-Warnung vergessen direkt einen riesen Shitstorm auslösen kann“.

Mehr Chancen auf dem freien Markt

Daß Funk großen Einfluß auf die Ausrichtung des Kanals genommen hätte, ist jedoch unwahrscheinlich. Mehrere Youtuber verneinten ähnliches nach ihrem Rückzug. Dennoch: Der Schatten der ÖRR-Skandale, Vorschriften-Agenda und Unfreiheit weiten sich damit auch auf das Content-Netzwerk aus. Die ausgestiegenen Ex-Funker sind dabei keine Dissidenten, die sich plötzlich an Einseitigkeit und „Framing“ stören, vielmehr wittern sie in der freien (Werbe)Wirtschaft mehr Klick-Kohle, ohne dabei die GEZ-Gebühr direkt in Frage zu stellen – auch Leeroy bedankt sich beispielsweise für die monatlichen 18,36 Euro. Unfreiwillig legen die Youtuber jedoch den Finger in die Wunde der nicht vorhandenen Wahlmöglichkeit für die Zwangsbeitragszahler.

Ob und wie lange die jugendliche Plattform überhaupt noch überleben kann, werden die nächsten Monate zeigen. Sollten sich noch weitere Kanäle verabschieden oder Skandale das Netzwerk direkt belasten, gerät der öffentlich-rechtliche Rundfunk stärker unter Zugzwang. Viele Möglichkeiten bieten sich dann nicht mehr: Entweder man kauft weiter fleißig Youtuber oder investiert in Eigenproduktionen und kreiert selbst innovative Formate. Momentan verlagert sich das Programm jedoch eher. Unzählige Instagram- und TikTok-Kanäle, die in den vergangenen Wochen und Monaten auf den Markt gebracht wurden, bestätigen das. Bis erneut heiterer Sonnenschein das Netzwerk durchzieht, wird es angesichts des Wegfalls der Youtuber und der Anstalt-Skandale allerdings dauern. Eine Chance für rechtskonservative Alternativen.