© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/23 / 05. Mai 2023

Jedes Gespräch unterbinden
Zensur: Vor Elon Musks Twitter-Übernahme wurden regelmäßig Nutzer suspendiert / In den USA ist die Aufarbeitung längst ein Politikum
Liz Roth

Ihre Verfassung ist für die Amerikaner das Fundament des Staates und der Gesellschaft, dazu zählt insbesondere der Erste Zusatzartikel der Verfassung, das Recht auf freie Meinungsäußerung. 

In kaum einem Land der Erde wird dieses Recht des Volkes so hochgehalten und zelebriert wie in den USA. Um so mehr sind viele Bürger über die jüngsten Enthüllungen empört, daß die Regierung Zensurmaßnahmen von den großen Internet-Konzernen wie Facebook, Twitter oder Google aktiv eingefordert hat, weiterhin fordert und ein Großteil der Journalisten des Mainstreams dies unterstützen.

Primär seit den Wahlen 2016 ist das Thema der Inhaltsmoderation in den sozialen Medien ein Streitpunkt zwischen den Lagern. Die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten hatte damals dazu geführt, daß die Opposition der Demokraten und ihre Unterstützer aus den Reihen der Journalisten immer wieder auf ausländische Wahlbeeinflussung, russische Einmischung und Desinformationskampagnen plädierten, um den überraschenden Wahlsieg Trumps zu erklären. Sie argumentierten, daß es für feindliche Akteure zu einfach wäre, falsche und bösartige Informationen im Internet zu teilen und so das Volk zu beeinflussen. „Die Möglichkeit, Lügen, die der Nation schaden könnten, zu verbreiten, erfordert eine enge Beziehung zwischen der Regierung und den großen Internet-Konzernen. Wir müssen Hand in Hand arbeiten, um die amerikanische Bevölkerung zu schützen“, behauptete Nancy Pelosi, die damalige Sprecherin des Repräsentantenhauses 2017.

Die Presse hat die eigene Aufgabe ignoriert

Inzwischen haben Journalisten wie Matt Taibbi, Michael Shellenberger, Bari Weiss und andere herausgefunden, daß diese Rhetorik als Deckmantel für eine umfassende Zensurbemühung von Regierungsseite dient. Spätestens seit der Übernahme von Twitter durch den Milliardär Elon Musk, dessen selbst erklärtes Ziel es ist, die „Meinungsfreiheit zu bewahren“, und die durch ihn geförderte Veröffentlichung der sogenannten Twitter-Akten, ist bekanntgeworden, wie die Behörden in den USA Einfluß auf die Aktivitäten in den sozialen Netzwerken nehmen. 

Zwischen Dezember und März arbeitete ein Journalisten-Team Dokumente und Unterlagen von Twitter auf, die zeigen, wie die Regierung mit der einflußreichen Medienfirma zusammenarbeitete, um freie Meinungsäußerung zu unterdrücken und eine umfangreiche Zensur durchzuführen.Es stellte sich unter anderem heraus, daß Behörden Twitter unter Druck setzten, die Enthüllungen der New York Post über den Inhalt von Hunter Bidens Laptop zu zensieren. Auch kritische Stimmen über die Corona-Pandemie und Impfstoffe wurden zum Schweigen gebracht. Während der Anhörungen zum Thema „Bewahrung der freien Meinungsäußerung und Eindämmung der Big-Tech-Zensur“ vor dem amerikanischen Kongreß Mitte April stellten sich Taibbi und Shellenberger den Fragen der Abgeordneten. „Das ursprüngliche Versprechen des Internets war, daß es den weltweiten Informationsaustausch demokratisieren würde. Ein freies Internet würde alle Versuche, den Informationsfluß zu kontrollieren, überwältigen, seine bloße Existenz wäre eine Bedrohung für antidemokratische Regierungsformen überall. Was wir in den Dateien vorfanden, war ein umfassender Versuch, dieses Versprechen umzukehren und das Internet mit Hilfe von maschinellem Lernen und anderen Werkzeugen in ein Instrument der Zensur und sozialen Kontrolle zu verwandeln. Leider scheint unsere eigene Regierung dabei eine führende Rolle zu spielen“, faßt Taibbi die Erkenntnisse zusammen. Er beschreibt, wie sie immer wieder auf E-Mails von Behörden wie dem FBI gestoßen seien, die Twitter „Excel-Tabellen mit langen Listen von Namen sendeten, deren Konten in den meisten Fällen kurz darauf gesperrt wurden“.

Taibbi geht noch weiter: „Ein weiterer beunruhigender Aspekt ist die Rolle der Presse, die in solchen Fällen die letzte Verteidigungslinie des Volkes sein sollte. Doch anstatt gegen diese zensierenden Gruppen zu ermitteln, haben sich die Journalisten mit ihnen verbündet. Wenn Twitter sich weigerte, ein Konto sofort zu löschen, riefen Regierungsbehörden und Nichtregierungsorganisationen Reporter der New York Times, der Washington Post und anderer Zeitungen an, die wiederum bei Twitter anriefen und nachfragten, warum keine Maßnahmen ergriffen wurden“, so Taibbi. 

„Twitter suspendierte eine Frau, weil sie schrieb ‘Frauen sind keine Männer’ und ein Harvard-Professor für Epidemiologie wurde zensiert, weil er die Meinung vertrat, daß Kinder den ​Corona-Impfstoff nicht benötigten. Vielleicht stört sie diese Art der Zensur nicht, weil die Menschen ihr Bestes taten, um mit dem Wissen, das sie zu diesem Zeitpunkt hatten, Schaden von der realen Welt abzuwenden“, argumentiert der Autor Michael Shellenberger bei der Anhörung. Aber er sieht auch die Gefahren einer solchen Zensur, eine freie Gesellschaft zu zerstören.

Shellenberger geht sogar so weit, daß er von einem „Zensur-Industriekomplex“ spricht, der „gegen den Ersten Verfassungszusatz verstößt“. Er beschreibt ein „Netzwerk von US-Regierungsbehörden und von der Regierung finanzierten Denkfabriken, die in den vergangenen sechs Jahren ihre Bemühungen koordiniert und abgestimmt haben, sowohl Desinformation zu verbreiten als auch Journalisten, Politiker und normale Amerikaner zu zensieren.“

In einem Artikel auf der unabhängigen Medienplattform Substack benennt Shellenberger die Methodik und eine der einflußreichsten Figuren des „Zensur-Industriekomplexes“. „Die Forschungsleiterin des Stanford Internet ­Observatory, Renee DiResta, hat mehr als jeder andere in der Öffentlichkeit für eine stärkere staatliche und staatlich finanzierte Zensur plädiert, die sie immer wieder in großen Publikationen wie der New York Times oder dem populären Podcast von Joe Rogan öffentlich kundgab.“ 

Bei einer Anhörung vor dem Senat 2018 sprach sich DiResta dafür aus, eine Gesetzgebung zu schaffen, die ausländische Propaganda definiert, kriminalisiert und strafrechtlich verfolgt. Weiter forderte sie 2021 die Einrichtung eines staatlichen Zensurzentrums, das sie als „Center of Excellence“ (Zentrum für Exzellenz) bezeichnen möchte, „das Narrativen und Trends voraus ist“ und „vertrauenswürdige Stimmen zu identifizieren“, die dann gegen unerwünschte Nachrichten vorgehen.

Die wirklich drängenden Themen werden oftmals ignoriert

Shellenberger weist darauf hin, daß sie einst für die CIA arbeitete, was DiResta nicht verneint. DiResta ist einflußreich und hat Verbindungen nach Washington und zu den großen Medienhäusern, die ihre Ideen für Zensur implementieren. Im April 2022 hat das Ministerium für Innere Sicherheit anstatt das „Center of Excellence“ ein „Disinformation Governance Board“ ins Leben gerufen, welches DiRestas Vorschläge ausführen sollte. Öffentlicher Druck und verfassungsrechtliche Verstrickungen führten einige Monate später zu der Auflösung dieser Kommission.

Zwischenzeitlich stellte sich heraus, daß die US-Regierung sogar persönliche und verschlüsselte Nachrichten zensieren lassen wollte. Der Journalist David Zweig berichtete in einem Artikel auf Substack, daß ihm E-Mails vorlägen aus einem Gerichtsprozeß in Missouri gegen die ­Biden-Regierung. 

Aus diesen E-Mails geht hervor, daß nur sechs Tage nach dem Amtsantritt von Biden hochrangige Mitarbeiter des Weißen Hauses die Facebook-Muttergesellschaft Meta bereits dazu drängten, Maßnahmen zu ergreifen, um die „Corona-Impfstoff-Desinformation“ auf ihren Plattformen einzuschränken, einschließlich des privaten Messengers WhatsApp.

Laut Zweig schickte Rob Flaherty, Bidens Direktor für digitale Strategie im Weißen Haus, Ende März 2021 eine E-Mail an Meta und forderte Antworten auf die Frage, was das Unternehmen unternehme, um zu verhindern, daß bestimmte Nachrichten, die den Coronaimpfstoff in Frage stellen, auf WhatsApp verbreitet werden. „Flaherty wollte wissen, was das Unternehmen unternimmt, um den Schaden auf der Messenger-App zu verringern“, berichtet Zweig. „Ich interessiere mich vorwiegend dafür, welche Maßnahmen und Änderungen sie vornehmen, um sicherzustellen, daß sie das Problem der Impfmüdigkeit in unserem Land nicht verschlimmern. Ich habe immer noch keine gute, empirische Antwort darauf, wie effektiv sie die Verbreitung von impfskeptischen Inhalten und Fehlinformationen an Impfgegner reduziert haben“, so Flaherty in einer E-Mail im April 2021.

Auch die Kündigung des populären konservativen Fox News-Moderators Tucker Carlson machte in der vergangenen Woche Schlagzeilen. Carlson ist als einer der wenigen etablierten Journalisten dafür bekannt, äußerst kritisch über heikle Themen wie die Corona-Pandemie, den Ukraine-Krieg und die Zensur der amerikanischen Bürger durch ihre Regierung zu berichten. Kurz vor seiner Entlassung forderte die demokratische Abgeordnete Alexandra Ocasio-Cortez in einem MSNBC-Interview, daß Carlson und Fox sich der „sehr, sehr klaren Aufstachelung zur Gewalt“ schuldig gemacht hätten und schlug vor, daß eine Form der „Bundesregulierung“ eingesetzt werden sollte, um solche Rhetorik einzudämmen.

Der Journalist Glenn Greenwald, der häufig in Carlsons Sendung zu Gast war, bezeichnete Ocasio-Cortez` Aussage als „Forderung an die Regierung, Carlson den Zutritt zum Fernsehen zu verbieten.“

Die republikanische Abgeordnete Lauren Boebert ist entsetzt über die Entlassung, insbesondere weil Carlson einer der erfolgreichsten und beliebtesten politischen Kommentatoren des Landes ist. „Wohin auch immer Tucker Carlson geht, Amerika wird ihm folgen“, schrieb sie auf Twitter. Sogar der russische Außenminister Sergej Lawrow kommentierte die Entlassung Carlsons. „Die Meinungsvielfalt im amerikanischen Informationsraum hat darunter eindeutig gelitten“, sagte er während einer Pressekonferenz vergangene Woche.

In einer Pressemitteilung erklärte Carlson, daß ehrliche Debatten im öffentlichen Raum bewußt unterbunden würden. „Und das Erstaunliche ist, daß die unbestreitbar großen Themen, die unsere Zukunft bestimmen werden, so gut wie gar nicht diskutiert werden: Krieg, bürgerliche Freiheiten, neu entstehende Wissenschaft, demographischer Wandel, Macht der Unternehmen, natürliche Ressourcen“, so Carlson. „Wann haben Sie das letzte Mal eine legitime Debatte über eines dieser Themen gehört? Das ist schon sehr lange her. Solche Debatten sind in den amerikanischen Medien nicht erlaubt. Beide politischen Parteien und ihre Geldgeber haben einen Konsens darüber erzielt, was ihnen nützt, und sie arbeiten aktiv zusammen, um jedes Gespräch darüber zu unterbinden.“