Der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble sagte einmal, Arbeit müsse steuerlich ent- und Energie belastet werden. Doch nur die zweite Hälfte des Versprechens wurde eingehalten. Das wurde durch eine Studie der Pariser Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) untermauert. Sie verglich unter ihren 38 Mitgliedsstaaten den Abgabenkeil (tax wedge). Dieser gibt an, welcher Prozentsatz der Arbeitnehmerkosten netto in dessen Tasche ankommen. Deutschland landet in diesem Brutto-Netto-Vergleich auf dem zweiten Rang hinter Belgien: Steuern und Abgaben fressen einen Großteil der Arbeitskosten auf.
Die Konsequenzen: Abwanderung und Arbeitsverweigerung. Für den Arbeitgeber setzen sich die Kosten aus dem Bruttolohn (2023 im Schnitt 49.200 Euro) und den arbeitgeberseitigen Sozialabgaben (plus 20 Prozent) zusammen. Das macht zusammen 59.040 Euro – also 4.920 Euro im Monat. Nach Abzug der arbeitnehmerseitigen Sozialbeiträge und der Einkommensteuer – 11.047 Euro laut Grundtabelle – kommen netto 28.313 Euro auf dem Lohnkonto an, 2.360 Euro im Monat. Das sind nur 48 Prozent der Gesamtaufwendungen, der Abgabenkeil betrüge 52 Prozent. Allerdings fallen die OECD-Berechnungen positiver aus, da die Studienautoren aus methodischen Gründen wohl Standardisierungen und Korrekturpositionen einrechneten. Laut OECD beträgt der Steuerkeil daher nur 47 Prozent. Doch egal wie man rechnet, die Konsequenzen sind gleich.
Für „Besserverdienende“ wächst der Anreiz zur Abwanderung ins Ausland. Nehmen wir einen Arbeitnehmer, der netto 3.940 Euro und damit zwei Drittel mehr als der Durchschnitt verdient. Die OECD schätzt in diesem Fall den Steuerkeil auf 50 Prozent in Deutschland und 28 Prozent in der Schweiz. Um auf dieses Netto zu kommen, müßte die Schweizer Firma umgerechnet 5.473 Euro aufbringen, der deutsche Arbeitgeber hingegen 7.880 Euro, 44 Prozent mehr. Der Schweizer Chef kann angesichts dieses Unterschieds leicht noch etwas „drauflegen“, um die dort höheren Lebenshaltungskosten aufzufangen. Der Schweizer ist in puncto Lohnkosten konkurrenzfähiger als der deutsche, obwohl der Arbeitnehmer am Ende des Monats gleich viel oder mehr in der Tasche hat.
Bezieher niedriger Einkommen geraten in die Nähe des Bürgergelds. Der Steuerkeil bei Arbeitnehmern, die nur zwei Drittel des Durchschnittsgehalts beziehen, beträgt hierzulande 43,7 Prozent. Mithin müßte der Niedriglohnverdiener eine Wertschöpfung von 2.800 Euro erbringen, um bei einem Arbeitgeber Interesse zu wecken. Indes würde er mit 1.580 Euro netto nur noch leicht über dem Netto-Mindestlohn liegen, und – noch bedeutsamer – nur etwa 400 Euro über einem Bürgergeldempfänger, der nicht nur den Regelsatz von monatlich 502 Euro erhält, sondern dem auch Kranken- und Pflegeversicherung, Miete und Heizung erstattet werden. Für ein Plus von 2,50 Euro je Stunde müßte er Vollzeit arbeiten. Und Schäubles Erben? Haben bei der versprochenen Entlastung des Faktors Arbeit jämmerlich versagt und klagen nun über den Fachkräftemangel. Das ohnehin demographisch ausgedünnte Arbeitsangebot, dessen mageres Netto durch Mieten, Energie und Inflation weiter ausgezehrt wird, wendet sich schlichtweg vom Arbeitsmarkt ab..
Prof. Dr. Reiner Osbild ist Ökonom und Ordinarius an der Hochschule Emden/Leer.