© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/23 / 05. Mai 2023

„Allein ist das Westkap besser dran“
Südafrika: Der Ruf nach Selbsbestimmung am Kap der Guten Hoffnung wird stetig lauter/ Ein Gespräch mit dem Mitbegründer der Unabhängigkeitsbewegung des Westkaps, Phil Craig, über deren Ziele und Arbeit sowie die Probleme Südafrikas
Curd-Torsten Weick

Sie fordern die Unabhängigkeit der südafrikanischen Region Westkap. Was ist Ihre Vision? 

Phil Craig: Ein Land der Ersten Welt zu schaffen, das auf den Grundsätzen einer soliden Wirtschaftspolitik, Rechtsstaatlichkeit und echtem Nicht-Rassismus beruht und in dem die Regierung die Werte, die Kultur und den demokratischen Willen der in der Westkap-Region lebenden Menschen widerspiegelt.

Was läuft schief in Südafrika?

Craig: Aus der Sicht des Westkaps wurde die Mehrheit der Wähler des Westkaps seit dem Beginn der demokratischen Ära vor 30 Jahren im Jahr 1994 nie von der Partei regiert, die sie gewählt haben. Allein aus demokratischer Sicht wäre das Westkap besser dran. Aber, wie Sie sagen, geht es Südafrika wirklich schlecht, was die Notwendigkeit der Unabhängigkeit noch viel dringlicher macht. Südafrika scheitert, weil die Regierung seit mindestens zwei Jahrzehnten schreckliche politische Entscheidungen getroffen hat. Diese Entscheidungen beruhen auf einer überholten kommunistischen Ideologie (nicht Kommunismus, aber vier von fünf südafrikanischen Präsidenten nach 1994 waren Mitglieder der kommunistischen Partei Südafrikas), und die Regierung ist genauso besessen von der Rassenfrage wie die alte Apartheidregierung. Sie konzentriert sich fast ausschließlich auf die Gleichheit der Ergebnisse und nicht auf die Gleichheit der Chancen. Diese Politik hat zu einem völlig dysfunktionalen öffentlichen Dienst und mangelhaft funktionierenden Staatsbetrieben geführt, von denen viele nationale Monopole besitzen. Sie werden von unqualifiziertem und inkompetentem Personal geführt. Der Privatsektor ist jedoch stark eingeschränkt und muß Rassenquoten für Mitarbeiter, Management, Eigentum und Beschaffung erfüllen.

Die Westkap-Provinz wird oft als die am besten regierte und wirtschaftlich solide Provinz Südafrikas angesehen. Was ist daran wahr?

Craig: Die Westkap-Provinz hat die bei weitem niedrigste Arbeitslosenquote. Sie ist eine von nur zwei Provinzen, die in den nationalen Fiskus einzahlen, ist die einzige Provinz, die regelmäßig Auszeichnungen für eine solide Regierungsführung erhält, sie hat die besten Bildungsergebnisse und das beste Gesundheitssystem.

Wie ist die Situation in den anderen Provinzen?

Craig: Sie ist unterschiedlich, aber im allgemeinen ist deren Situation in einem Maße dysfunktional, wie es für deutsche Leser unvorstellbar ist. Zusammenbrechende Infrastruktur (keine Instandhaltung), begrenzte oder gar keine Gesundheitsversorgung (zum Beispiel gibt es nur zwei Onkologen für elf Millionen Menschen in KwaZulu-Natal), versagende Wasser- und Abwassersysteme, keine Müllabfuhr, die meisten Vergewaltigungen und Morde werden nie aufgeklärt und strafrechtlich verfolgt, und Korruption in einem kolossalen Ausmaß.

Die Regierung der Provinz Westkap rief im März zu mehr sozialem Zusammenhalt auf, nachdem die Kriminalitätsstatistik ein düsteres Bild gezeichnet hatte. Demnach gab es zwischen dem 1. Oktober und dem 31. Dezember 2022 in der Provinz 1.198 Morde. Wo liegen die Probleme?

Craig: Das Westkap hat ein chronisches Kriminalitätsproblem. Die überwältigende Mehrheit der schweren Verbrechen wird in den „Cape Flats“ begangen. Bandengewalt ist ein großes Problem in den armen „farbigen (braunen)“ Gemeinden, und der Oberste Gerichtshof der Provinz Westkap erklärte kürzlich, daß die Polizei auf höchster Ebene Kompromisse eingegangen sei. Die Polizei selbst ist gewollt oder ungewollt ein wichtiger Lieferant von illegalen Schußwaffen an die Banden. Eine weitere wichtige Quelle für Morde ist die Township-Gewalt in der schwarzen Bevölkerung. Rund eine Million Menschen sind in den letzten 20 Jahren aus dem vom ANC regierten Ostkap in das Westkap gezogen und haben sich dort illegal niedergelassen. In diesen „Hausbesetzerlagern“ ist die Kriminalität weit verbreitet.

Eine Umfrage aus dem Jahr 2021 ergab, daß eine Mehrheit der Westkap-Provinzbevölkerung die Durchführung eines Referendums über die Abspaltung befürwortet. Ist Ihre Arbeit auf dem richtigen Weg? 

Craig: Wir machen stetige Fortschritte, aber natürlich würden wir uns wünschen, daß es schneller geht. Vor vier Jahren war die Idee der Unabhängigkeit von Kapstadt fast unbekannt, jetzt steht sie fest auf der politischen Tagesordnung, und alle großen politischen Parteien haben eine Position zu diesem Thema. Derzeit konzentrieren wir uns darauf, politischen Druck auf die Provinzregierung auszuüben, damit diese ein Referendum zu diesem Thema abhält. Sie befürwortet eher eine größere regionale Autonomie als eine Abspaltung, hat aber öffentlich eingeräumt, daß die Abspaltung letztlich eine Angelegenheit ist, die das Volk selbst entscheiden muß. Sie haben es jedoch nicht eilig, ein solches Referendum abzuhalten, und wir arbeiten ständig daran, den Druck auf sie zu erhöhen, damit sie dies tun. Die Wahlen im Jahr 2024 werden ein entscheidender Moment sein. 

Gibt es noch andere Unabhängigkeitsgruppen? Arbeiten Sie zusammen?

Craig: Ja, es gibt sie, und wir arbeiten mit allen Unabhängigkeitsgruppen zusammen, die sich für eine demokratische und nicht rassistische Lösung einsetzen. Die wichtigsten Organisationen sind: „CapeXit“, die 25 Prozent des Westkaps dazu gebracht haben, ein Mandat zu unterzeichnen, das die Unabhängigkeit fordert, Freedom Front Plus – die fünftgrößte politische Partei Südafrikas – sowie die Cape Independence Party – eine winzige „libertäre“ Partei, die nur Sitze in der Stadt Kapstadt hat.

Ist die Forderung nach Unabhängigkeit legal?

Craig: Ja. Die südafrikanische Verfassung erkennt das Recht auf Selbstbestimmung und die Autorität des internationalen Rechts an. Südafrika hat auch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR), den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) und den Afrikanischen Pakt für Menschenrechte und Rechte der Völker (ACHPR) unterzeichnet und ratifiziert, die alle das Recht auf Selbstbestimmung garantieren. In der Verfassung ist jedoch kein ausdrückliches Recht auf Sezession verankert, so daß der Prozeß ausgehandelt werden muß.

Ist ein unabhängiges Kap finanziell tragbar?

Craig: Ja. Das Westkap und die Provinz Gauteng, in der Johannesburg und Pretoria liegen, subventionieren gemeinsam die anderen sieben südafrikanischen Provinzen. Im Westkap erwirtschaften elf Prozent der südafrikanischen Bevölkerung 14 Prozent des südafrikanischen Bruttoinlandprodukts und stellen 15 Prozent aller Steuerzahler. Sie erhält zehn Prozent der staatlichen Mittel, die den Provinzen zugewiesen werden, und wäre allein wesentlich besser dran – das heißt, sie würde keine 14 Prozent einzahlen, aber auch keine zehn Prozent mehr zurückerhalten. 

Die Menschen im Westkap sprechen überwiegend Afrikaans. Welche Rolle spielt das für Ihre Bewegung?

Craig: Afrikaans ist die am weitesten verbreitete Sprache, in den ländlichen Gebieten sogar fast durchgängig. Die Sprache spielt in der Unabhängigkeit keine formale Rolle (das Westkap hat drei Amtssprachen: Afrikaans, Englisch, isiXhosa), aber sie spielt informell eine wichtige Rolle. Historisch gesehen haben die Weißen und die Farbigen eine gemeinsame Kultur (und die meisten Farbigen haben einige weiße Vorfahren aus jüngerer Zeit), und sie sprechen beide Afrikaans. Bei der Selbstbestimmung ist die Sprache ein wichtiger Faktor, auch in der südafrikanischen Verfassung. Der Grund, warum wir uns nicht direkt darauf konzentrieren, ist, daß dies die schwarze Bevölkerung des Westkaps, die isiXhosa spricht, ausschließen würde, und daß die Unabhängigkeit des Kaps bewußt rassenübergreifend sein soll.





Phil Craig, Mitbegründer und Sprecher der CIAG





Die Cape Independence Advocacy Group (CIAG)

Die Cape Independence Advocacy Group (CIAG) wurde im Jahr 2020 gegründet, um Menschen und Organisationen zu koordinieren und zu unterstützen, die sich für die Unabhängigkeit des Kaps einsetzen. Das Hauptziel der Gruppe ist die Durchführung eines Referendums im Westkap mit dem Ziel der Abspaltung von Südafrika und der Bildung eines neuen souveränen Staates mit einer Regierung, die die Menschen am Kap der Guten Hoffnung besser vertritt. Mittels Sensibilisierungskampagnen, Interessenvertretung und Lobbyarbeit versucht die Gruppe die Bürger am Kap mit einer klaren und zielgerichteten Botschaft zu vereinen und eine Unterstützungsbasis unter den verschiedenen Gemeinschaften aufzubauen, die diese Region der Welt ihre Heimat nennen. Nach Angaben von Phil Craig, einem der Mitbegründer der CIAG, handelt es sich dabei um eine relativ kleine Organisation, die sich hauptsächlich aus Freiwilligen zusammensetzt. „Wir werden von einem Exekutivausschuß geleitet, dem zehn Personen angehören. Hinzu kommen etwa 30 Freiwillige, die je nach Bedarf von Zeit zu Zeit aushelfen. Die meisten von ihnen haben spezielle Fähigkeiten, zum Beispiel technische, juristische, Marketing und ähnliches“, so Craig. Derzeit ist ein Promo-Video in Arbeit, das demnächst auf den sozialen Kanälen der Organisation zu sehen sein wird. 

 https://www.capeindependence.org