Filz, Klüngel, Vetternwirtschaft, Clanstrukturen, Amigo-Netzwerk: Die deftigen Begriffe zur Beschreibung der Besetzungspraxis bei Spitzenämtern in Robert Habecks Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) werden mit jedem Tag zahlreicher. Immer mehr Details über das Zuschanzen von Posten eines weitverzweigten grün-alternativen Lobbynetzwerks geraten an das Licht der Öffentlichkeit.
Im Zentrum des Ganzen: Habecks beamteter Staatssekretär Patrick Graichen. Der 51jährige gilt als Kopf der sogenannten Energiewende. Und als maßgeblich Verantwortlicher dafür, daß ab 2024 keine herkömmlichen Öl- und Gasheizungen mehr in deutschen Haushalten eingebaut werden dürfen. Neue Heizungen müssen dann zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Ab 2045 sollen Öl- und Gasheizungen vollständig verboten sein.
Vorhaben, die sich auch mit der Studie „Wärmepumpen als Schlüssel der Klimaneutralität in Gebäuden“ der Denkfabrik Agora Energiewende decken, zu deren Gründern Graichen 2012 zählte und als deren Direktor er bis zu seiner Ernennung zum Staatssekretär durch Habeck fungierte.
Agora Energiewende hatte die Studie bei dem im südbadischen Freiburg ansässigen Öko-Institut in Auftrag gegeben, einem 1977 aus der Anti-Atom-Bewegung heraus gebildeten Verein, der allein im ersten Jahr der Ampel-Koalition von Habecks Wirtschaftsministerium Fördermittel in Höhe von 3,5 Millionen Euro genehmigt bekam. Auch das als Grundlage für das Heizgesetz geltende Gutachten „Gebäudestrategie Klimaneutralität 2045“ wurde vom BMWK in Auftrag gegeben.
Pikant: Sowohl Patrick Graichens Bruder Jakob Graichen als auch seine Schwester Verena Graichen sind als sogenannte Senior Researcher Energie und Klimaschutz für das Öko-Institut tätig. Schwester Verena wirkt zudem als stellvertretende Bundesvorsitzende des Grünen-nahen Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
Ebenfalls für das Öko-Institut tätig ist Gerd Matthes, Ehemann der einstigen Berliner Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne), der dort als Forschungskoordinator für Energie- und Klimapolitik tätig ist. Im Sommer vorigen Jahres war er vom Bundeswirtschaftsministerium mit einem Monitoring der Energiewende beauftragt worden, sollte in einer „unabhängigen Kommission“ den Prozeß „auf wissenschaftlicher Basis“ begleiten.
Gleichzeitig gehört seine Frau Regine Günther der Geschäftsführung der Stiftung Klimaneutralität an. Eine Stiftung, die wiederum Gutachten und Studien an Öko-Institut und Agora in Auftrag gibt. Direktor der Stiftung ist Rainer Baake, einst Staatssekretär unter dem seinerzeitigen Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) – und langjähriger Förderer von Patrick Graichen, dessen Vorgänger er im Amt als Direktor der Agora Energiewende gewesen war.
Agora, Öko-Institut und BUND berieten das Wirtschaftsministerium übrigens auch über „Klimaschutzmaßnahmen im Verkehrsbereich.“ Doch damit nicht genug der familiären Verbindungen. Verheiratet ist Verena Graichen mit einem weiteren Spitzenmann in Habecks Ministerium: dem Parlamentarischen Staatssekretär und ehemaligen Bundesgeschäftsführer der Grünen Michael Kellner, der 2021 erstmals in den Bundestag einzog und umgehend einen Posten in der Bundesregierung bekam.
Politische Übereinstimmung ist wichtiger als Fachkompetenz
Kellner war vor seiner Zeit als Grünen-Geschäftsführer Büroleiter von Claudia Roth, wirkte zudem einst als wissenschaftlicher Mitarbeiter des heutigen grünen Europaabgeordneten Frithjof Schmidt, eines ehemaligen Bundestagsabgeordneten und Vertreters des linksradikalen Flügels der Partei, der unter anderem zum Koordinierungskreis des Netzweks „Grün.links.denken“ gehört.
Und noch eine weitere Hochzeit sorgt für mehr als nur ein Geschmäckle: die von Verenas Bruder Patrick. Als dessen Trauzeuge wirkte der für den Chefposten der Deutschen Energie-Agentur (DENA) vorgesehene Michael Schäfer. Der 50jährige war zwischen 2003 und 2005 Büroleiter des damaligen Grünen-Bundesvorsitzenden Reinhard Bütikofer, später unter Patrick Graichen als Projektleiter für Industriepolitik ebenfalls für die Agora Energiewende tätig.
Der Geschäftsführerposten bei der DENA wird lukrativ vergütet, von einer sechsstelligen Summe ist die Rede. Die Agentur steht unter der Aufsicht des BMWK, als DENA-Aufsichtsratschef fungiert mit Stefan Wenzel ein weiterer Parlamentarischer Staatssekretär mit grünem Parteibuch. Wenzel war von 2013 bis 2017 niedersächsischer Umweltminister. Über die Besetzung der Geschäftsführer-Stelle entschied eine dreiköpfige Findungskommission. Einer dieser Köpfe: Patrick Graichen, der seinen langjährigen Mitstreiter Schäfer auch prompt für den Posten vorgeschlagen hatte. Graichen selbst bezeichnet die Personalie mittlerweile als „Fehler“. Wohlgemerkt, erst nachdem der Vorgang publik geworden war. Der Fall soll jetzt noch einmal überprüft werden. Offenbar muß Schäfer nun als Bauernopfer im weiteren Umgang mit den grünen Filzstrukturen herhalten.
Was Patrick Graichen betrifft, scheint Robert Habeck trotz aller familiären Verflechtungen kein Problem damit zu haben, seinen Staatssekretär im Amt zu halten. „Ohne die konsequente Art von Patrick Graichen wäre Deutschland heute in einer schweren Wirtschaftskrise“, ließ der grüne Minister in einer Stellungnahme gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung verlautbaren. Dabei wird sogar parteiintern an dessen Kompetenz gezweifelt. Von „Überforderung“ ist die Rede. Davon, daß sich der einstige Agora-Chef in seinen „ehrgeizigen Zielen verrannt“ habe.
Doch auch bei seinem Chef Robert Habeck geht es politisch fragwürdig familiär zu. Sein älterer Bruder Hinrich Habeck verlieh ihm in seiner Funktion als Chef der Wirtschaftsförderung und Technologietransfer Schleswig-Holstein (WTSH) erst vor wenigen Tagen den sogenannten Energieküste-Award, eine Auszeichnung für den Einsatz zur Energiewende. Sozusagen ein Lob von Habeck für Habeck. Zu einem Zeitpunkt, als die familiären Verbandelungen im BMWK längst für Schlagzeilen gesorgt hatten.
Fragwürdige Besetzungen in Ministerien, bei denen offenbar Gesinnung gegenüber Sachkompetenz bevorzugt wird, kommen jedoch längst nicht nur in Robert Habecks politischem Universum vor. Vor allem bei linken Regierungen ist der ideologisch motivierte Austausch des Personals bis weit hinunter zur Referatsleiter-Ebene keine Seltenheit.
Erst Anfang des Jahres kritisierte der Thüringer Landesrechnungshof die Auswahl des Spitzenpersonals der dortigen rot-rot-grünen Landesregierung. In fünf von acht untersuchten Fällen der Besetzung von Staatssekretären seien der Behörde zufolge besondere persönliche und fachliche Eignungen nicht ersichtlich gewesen. Der Rechnungshof hatte zudem 64 Personalakten von engen Mitarbeitern aus den Leitungsebenen der Ministerien untersucht. Die dabei ermittelte „Einstellung von Personen mit wenig oder sogar ohne Erfahrung in den Aufgabenbereichen eines Ministeriums“ lege den Schluß nahe, daß das „maßgebliche oder alleinige Kriterium der Ernennung die politische Übereinstimmung mit der jeweiligen Hausleitung war“.
Lesen Sie in der kommenden Ausgabe der JUNGEN FREIHEIT, wie weit das Lobbynetzwerk in Robert Habecks Ministerium reicht – und wer sich hinter den Geldgebern von Agora Energiewende, Öko-Institut und Co. verbirgt.