Montaigne. Über diesen 300 Jahre älteren Bruder im Geiste geriet selbst der gemeinhin hyperkritische Friedrich Nietzsche ins Schwärmen: „Daß ein solcher Mensch geschrieben hat, dadurch ist wahrlich die Lust, auf dieser Erde zu leben, vermehrt worden. Mit ihm würde ich es halten, wenn die Aufgabe gestellt wäre, sich auf der Erde heimisch zu machen.“ Geschrieben hat der Edelmann Michel de Montaigne (1533–1592) allerdings relativ wenig. Wenn auch sein einziges Werk, die an der antiken Stoa geschulte, nie ermüdende Selbst- und Menschenbeobachtung seiner zuerst 1580 veröffentlichten, mehrfach erweiterten „Essais“ als eine Gründungsakte der französischen Aufklärung in die Philosophiegeschichte eingegangen sind. Diese aphoristische Prosa lehrt, wie man auch unter den Jahrzehnte währenden lebensbedrohenden Umständen von Glaubens- und Bürgerkriegen, die Frankreichs Geschichte im 16. Jahrhundert prägten, die Unerschütterlichkeit des Gemüts, die Unabhängigkeit des Urteils und die innere Selbständigkeit des Ich behaupten kann. In der gegenwärtigen Epoche multipler Krisen, offener und latenter Kriege, fiel dem Kulturhistoriker Volker Reinhardt (Fribourg/Uechtland) die Wahl seines Gegenstandes daher nicht schwer. Seien doch Montaignes „Essais“ in unseren unruhigen Zeiten als „Überlebensphilosophie von höchster Aktualität“. (wm)
Volker Reinhardt: Montaigne. Philosophie in Zeiten des Krieges.Eine Biographie. Verlag C.H. Beck, München 2023, gebunden, 330 Seiten, Abbildungen, 29,90 Euro
Kriegsschuld. Der 1945 geborene Maschinenbauer Wilfried Schaudienst hat sich zweifellos in die aktuelle Literatur zu den Ursachen des Ersten Weltkriegs eingearbeitet. Mit seinem Buch versucht er, diese Erkenntnisse zu ordnen und dem Leser in komprimierter Form anhand von vielen Zitaten aus den Sekundärquellen anschaulich darzulegen. Ausführlich behandelt er die deutschen Bemühungen, einen Weltenbrand abzuwenden, die aber durch das Ränkespiel der Ententemächte unterlaufen wurden. Damit widerspricht er deutlich früheren und bis heute populären Vorstellungen aus der Fritz-Fischer-Zeit von einem deutschen „Griff nach der Weltmacht“ und einer daraus resultierenden Hauptschuld Deutschlands 1914. Der Krieg sei von der „Triple Entente“ aus Großbritannien, Frankreich und Rußland längst beschlossen gewesen. Durch „die große Intrige“ aber sollte Deutschland zur Kriegsteilnahme gezwungen werden, um der Weltöffentlichkeit als Aggressor vorgeführt zu werden. Deutschland ist hineingetappt. Parallelen zum aktuellen Zeitgeschehen scheinen sich irgendwie aufzudrängen. (cmw)
Wilfried Schaudienst: Die große Intrige. Wie aus dem Attentat der Erste Weltkrieg wurde. Ideenwerkstatt Mario Päßler, Neustadt in Sachsen 2022, broschiert, 267 Seiten, 13,99 Euro