© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/23 / 28. April 2023

Politische Arbeit
DDR-Geschichte: Einblicke in das Politorgan der Volkspolizei
Claus-M. Wolfschlag

Die Aufarbeitung der SED-Herrschaft in der ehemaligen DDR ist noch keinesfalls abgeschlossen. Um so wichtiger sind die Erinnerungen von Zeitzeugen. Das betrifft neben den klassischen Opfererzählungen auch solche von Menschen, die innerhalb des Apparates tätig waren. 

Der 1939 in Neuzelle an der Oder geborene Dieter Metag arbeitete erst als Fleischer und Schweißer, um dann Funktionär im Gewerkschaftsbund FDGB zu werden. 1980 wurde er zur Politischen Abteilung der „Deutschen Volkspolizei“ (DVP) versetzt. Das 1948 nach sowjetischem Vorbild gegründete Politorgan besaß die Aufgabe der steten ideologischen Schulung und Kontrolle der Polizisten. Polizeidienststellen wurden somit Stellvertreter für die „politische Arbeit“ an die Seite gestellt. Vergleiche zu heutigen „Vielfalt“- und „Antidiskriminierungs“-Trainings drängen sich regelrecht auf.

Minutiös beschreibt Metag die Entstehung und innere Struktur der DVP. Sind diese Darlegungen vor allem für Historiker interessant, so wird es für den gewöhnlichen Leser spannender, als im zweiten Teil des Buches Metags Tagebuchaufzeichnungen Einblicke in das Denken der damaligen Funktionäre liefern. Dieses bewegt sich zwischen dem Wunsch nach beruflicher Absicherung, politischer Lethargie und ständigem Druck von oben. So konnte zum Beispiel eine in der Kirchengemeinde aktive Frau zum Karriereproblem werden. Normale Polizisten mieden das Politorgan. Freiwillige Wechsel in diese Abteilung fanden kaum statt. Metag spricht von einem „immensen Sättigungsgrad“ an politischer Propaganda bei den Beamten. Die ständigen Schulungen führten nicht zu mehr Effizienz, sondern zu zunehmendem Desinteresse. 

Im November 1989 begannen sich die Ereignisse zu überschlagen. Metag präsentiert seine Tagebuchaufzeichnungen aus Sicht eines Beamten, der von der Selbstauf-lösung der DDR überrollt wurde. Anfangs überwiegt Ärger über den ideologischen Druck des Westens, der „knieweiche Bürger“ zur Ausreise verführe. Die „verrückte“ Zeit wird als Angriff auf die „öffentliche Ordnung und Sicherheit“ gewertet. Dann beginnt die Polizei sich vor den Demonstranten auf der Straße in ihren Objekten zu verschanzen. Bald lösen „Herr“ und „Frau“ die Floskel „Genosse“ in der Dienststelle ab, und es wird über korruptes „Gesindel“ an der Staatsspitze geschimpft. Funktionsträger, die acht Wochen zuvor ihr Herzblut für die SED bekundeten, lassen sich plötzlich in West-Parteien aufnehmen. Alles in der Hoffnung, ihre berufliche Stellung behalten zu können. Die Behörde verfällt in Agonie. Die Politabteilung hat nichts mehr zu tun, viele nehmen Urlaub oder vernichten alte Akten. Im September 1990 geht Metag in den Vorruhestand. Mit 50 Jahren.

Dieter Metag: Das Politorgan in der Deutschen Volkspolizei: Handlanger der SED der ehemaligen DDR. Novum Verlag, Berlin 2022, broschiert, 242 Seiten, 16,90 Euro