© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/23 / 28. April 2023

Die Wehrmacht in Karthagos Trümmern
„Tunisgrad“ Mai 1943: Der Untergang der italienischen und deutschen Truppen und das Kriegsende in Nordafrika
Dag Krienen

Im Februar 1943 stabilisierte sich nach schweren Niederlagen die Lage der Achsenmächte noch einmal. An der Ostfront wurde eine vollendete Katastrophe durch von Mansteins „Schlag aus der Nachhand“ abgewendet (JF 10/23). Auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz war den in Algerien angelandeten Briten, Amerikanern und Freifranzosen in Tunesien durch die dorthin überführten deutschen und italienischen Truppen unter anderem am nicht ohne Grund so genannten Longstop Hill (Djebel el Ahmera) Einhalt geboten worden. Im Februar 1943 traf zudem Rommels deutsch-italienische „Panzerarmee Afrika“ nach dem Rückzug aus Libyen an der Südostgrenze Tunesiens ein. Die dort gelegene befestigte Mareth-Linie, ursprünglich von den Franzosen zur Abwehr eines italienischen Angriffs angelegt, bot Rückhalt gegen die von Osten anrückende britische 8. Armee.

Strategisch war es für die Achsenmächte sinnvoll, an der nordafrikanischen Gegenküste Italiens einen Brückenkopf zu halten, um einen direkten Stoß der Alliierten in das italienische Mutterland, den „weichen Unterbauch der Achse“ (Churchill), zu verhindern. Die Frage war, ob und wie lange die Kräfte reichen würden, um diesen Brückenkopf auch tatsächlich verteidigen zu können.

Anfangs schien die Lage nicht hoffnungslos zu sein. Nachschubschiffe konnten von Sizilien aus die beiden Häfen Bizerte und Tunis in einer Nacht erreichen. Auch Überführungsflüge hatten keine großen Distanzen zu überwinden. Zudem verfügte die Achse in Tunesien über beträchtliche Kräfte. Dorthin waren ab November 1942 137.000 deutsche und etwa 40.000 italienische Soldaten mit knapp 500 Panzern, darunter auch 31 der neuen schweren Tiger, überführt worden. Sie bildeten die deutsche 5. Panzerarmee unter Generaloberst Hans-Jürgen von Arnim. Die aus Libyen kommende Panzerarmee brachte knapp 100.000 deutsche und 30.000 italienische Soldaten mit. Sie wurde in die 1. Italienische Armee unter General Giovanni Messe umbenannt. Beide Armeen, insgesamt um die 300.000 Mann, bildeten die Heeresgruppe Afrika, deren Kommando am 23. Februar 1943 Generalfeldmarschall Erwin Rommel übernahm.

Nachschubfrage entschied den Feldzug zugunsten der Alliierten

Die Achsenmächte gingen im Februar sogar in die Offensive. Die 5. Armee drängte im Norden alliierte Truppen zurück. Da bislang nur schwache britische Vorausabteilungen an die tunesische Ostgrenze herangerückt waren, unternahm Rommel mit dem Deutschen Afrikakorps und italienischen Divisionen zwischen dem 19. und 24. Februar einen Vorstoß im Südwesten. Strategisch war diese Operation am Ende kein großer Erfolg, da er sich angesichts heraneilender britischer Verbände wieder zurückziehen mußte. Doch zuvor hatten die Achsentruppen im Paß von Kasserine dem amerikanische II. Korps die „demütigendste Niederlage“ (Paul Kennedy) beigebracht, die die US-Armee im Krieg auf dem westlichen Kriegsschauplatz überhaupt erlitt. Die Amerikaner verloren 3.300 Tote und Verwundete und gut 3.000 Gefangene, 183 Panzer, 104 Schützenpanzer und 208 Geschütze. Franzosen und Briten büßten weitere 3.500 Mann ein, während Deutsche und Italiener nur jeweils 1.000 Mann und insgesamt 34 Panzer verloren. Sie konnten zudem eine umfangreiche Beute an Treibstoff, Munition und auch Waffen, darunter 95 amerikanische Schützenpanzer, vereinnahmen. Das Ansehen der US-Truppen bei ihren Verbündeten sank auf einen Tiefstand: sie nannten sie „unsere Italiener“ – was allerdings den kämpferischen Qualitäten der italienischen Truppen in Tunesien nicht gerecht wurde.

Doch war dies das letzte Mal, daß Rommel sein altes Rezept, durch operative Beweglichkeit auch überlegene feindliche Kräfte auszumanövrieren und zu schlagen sowie durch Beute die eigene Versorgung zu verbessern, noch anwenden konnte. Sein am 6. März im Osten begonnenes Unternehmen Capri gegen die 8. britische Armee bei Medinini stieß auf eine so starke Gegenwehr, daß er es noch am selben Abend einstellte. Durch ihre Funkaufklärung, wie später auch die Deutschen durch erbeutetes Kartenmaterial erkennen mußten, waren die Briten über Rommels Pläne frühzeitig informiert gewesen. Zur gleichen Zeit scheiterte auch ein in Nordtunesien unternommener Offensivstoß (Unternehmen „Ochsenkopf). Während des Rückzugs seiner Panzer-Division am 7. April 1943 nach Mezzouna wurde der spätere Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf Stauffenberg schwer verwundet. Nach Beschuß durch britische Jagdflieger wurde er in ein Feldlazarett bei Sfax transportiert, wo seine zerschossene rechte Hand sowie Ring- und Kleinfinger der linken Hand amputiert werden mußten. Zudem verlor er sein linkes Auge. Wenig später wurde Stauffenberg nach Tunis überführt und gelangte von dort am 21. April in ein Lazarett in München.

Militärisch neigte sich die Waage nun rasch zugunsten der Alliierten, die mittlerweile ihre Häfen und Flugplätze in Algerien und in Libyen ausgebaut hatten. Unter diesen Umständen hielt Rommel nicht mehr für möglich, Tunesien dauerhaft zu halten. Nach der Schlappe von Medinini verließ er am 9. März Afrika und versuchte Mussolini und Hitler davon zu überzeugen, Tunesien rechtzeitig zu räumen, um die wertvollen Truppen zu retten. Vergeblich. Generaloberst von Arnim übernahm das Oberkommando über die Heeresgruppe.

Die hohen Personalverluste waren für die Deutschen eine Katastrophe

Konnten die deutschen und italienischen Flieger anfangs den feindlichen durchaus noch etwas entgegensetzen, schwand nun ihre Kampfkraft immer mehr. Am 6. Mai flogen alliierte Luftstreitkräfte 2.500 Einsätze über Tunesien, deutsche und italienische gerade noch 60. Die feindliche Luftherrschaft führte zu hohen Verlusten insbesondere der Transportflieger. Sie erlaubte es auch der Royal Navy, stärker gegen Seetransporte vorzugehen. Die Nachschublage der Achse verschlechterte sich drastisch. Waren im Januar und Februar 1943 noch jeweils rund 35.000 Tonnen Versorgungsgüter und je 30.000 deutsche Soldaten nach Tunesien transportiert worden, sanken diese Zahlen im März und April auf 29.000 und 20.000 Tonnen und 20.000 und 11.000 Soldaten. Die Achsenmächte konnten ihre Verluste an Personal kaum noch ausgleichen und ihren Bedarf an Material, Treibstoff und Munition faktisch nicht mehr decken. 

Die Alliierten wurden hingen immer stärker. Allein die US-Army (einschließlich der Luftwaffe) in Nordafrika wuchs von Ende November 1942 bis Ende April 1943 von 130.000 auf 400.000 Mann an. Sie gingen ab Mitte März 1943 zur Offensive über. Am Ende des Monats mußte die Achse die Marethlinie räumen, konnte aber weiter nördlich eine neue Widerstandslinie bilden. Neue alliierte Angriffe ab Mitte April machten anfangs kaum Fortschritte. Die schweren, für beide Seiten verlustreichen Kämpfe (die blutigen Verluste der Alliierten im Tunesienfeldzug waren ebenso groß wie die der Achse) nutzten jedoch die Kampfkraft und Beweglichkeit der Deutschen und Italiener endgültig ab. Die US-Amerikaner brauchten noch acht Tage, um die knapp zehn Kilometer Entfernung zu überwinden, bis sie Anfang Mai Bizerte eroberten. Nach einer raschen Umgruppierung durchbrachen britische Panzerdivisionen aber weiter südlich am 6. Mai die Front der mangels Treibstoff kaum mehr bewegungsfähigen Deutschen und eroberten am Tag darauf Tunis. Damit waren rund 250.000 Soldaten der Achse endgültig von jedem Nachschub abgeschnitten. An eine geordnete Evakuierung auch nur von einem Teil der Truppen war nicht mehr zu denken. Einige hundert Männer konnten noch ausgeflogen werden, einige weitere hundert erreichten in improvisierten Seetransporten Sizilien. Den größeren Teil fing aber die Royal Navy ab. Obwohl Hitler auf einen Widerstand bis zum letzten Mann drängte, ließen sich von Arnim und Messe nicht auf ein blutiges Endkampfmassaker ein. Die 5. Panzerarmee kapitulierte am 12. Mai, die italienische 1. Armee am Tag darauf, sogar mit dem Einverständnis Mussolinis.

Viele Deutsche in der Heimat sprachen heimlich durchaus treffend von „Tunisgrad“. Der Untergang der Heeresgruppe Afrika führte zum Totalverlust von fast 500 Panzern, 1.000 Geschützen und Unmengen an sonstigen Fahrzeugen und Waffen. Vor allem aber stellten die hohen Personalverluste eine Katastrophe dar. Während der Kämpfe waren rund 8.500 deutsche und 3.700 italienische Soldaten getötet und rund 40.000 bis 50.000 verwundet worden, von denen ein großer Teil, darunter auch Claus von Stauffenberg, bis Anfang Mai noch ausgeflogen wurde. Die Angaben zur Zahl der gefangenen Soldaten schwanken zwischen 230.000 und 275.000, davon 100.000 bis 130.000 Deutsche. Im tunesischen Brückenkopf verlorengegangen waren 14 Divisionen, die mit wenigen Ausnahmen zur Elite des deutschen und italienischen Heeres gehörten, ja, im italienischen Falle zu den wenigen wirklich guten Divisionen des Landes überhaupt. Nach diesem Aderlaß bestand wenig Aussicht, eine Invasion im „weichen Bauch der Achse“ zu verhindern.