Still und leise lodern die Flammen der kleinen Feuerstelle in der Mitte des geräumigen Zeltes. Mohammed, ein in sich ruhender Mann Mitte 30, eingehüllt im traditionellen Gewand der Beduinen, kniet auf dem Teppichboden und wirft noch einmal Holz nach. Es knackt und knistert. Dünner Rauch zieht durch eine kleine Öffnung nach oben. Langsam breitet sich eine wohltuende Wärme aus, die sechs fröstelnden Europäern, welche es sich auf den Sitzbänken rund um das Feuer gemütlich gemacht haben, sichtbar gut tut. Nachts wird es bitterkalt in der jordanischen Wüste, hier in Wadi Rum, umgeben von nichts als Sand und Gestein, abgeschnitten von der Zivilisation, ohne Empfang auf dem Handy, aber mit dampfendem, frischgekochtem Abendessen auf den Tellern vor sich.
Mohammed beginnt leise zu erzählen: über den Alltag der Beduinen, über das Leben in der kargen, aber reichhaltigen Wüstenlandschaft und wie das Film-Epos „Lawrence von Arabien“ die Gegend dem Tourismus öffnete. Dort, wo einst der britische Offizier zu einer der Schlüsselfiguren des arabischen Aufstands gegen die Osmanen (1916–1918) avancierte, drängen sich nun Besucher aus allen Ecken der Welt in die eigens aufbereiteten Zeltlager der Beduinen, um sich von der einzigartigen Schönheit Wadi Rums zu überzeugen.
Nicht das Parteibuch, sondern der Clan und die Familie zählen Nachdem wir unsere Rundreise durch Jordanien
im Süden des Landes begonnen und kurze Zeit in der zweitgrößten Stadt Akaba verbracht haben, brausen wir nun zwei Tage auf dem Rücken eines Jeeps durch die heiße Wüste, klettern über blutroten Sandstein, durchschreiten felsige Schluchten, staunen über jahrtausendealte Wandmalereien, schauen der Sonne von steilen Plateaus aus beim Sinken zu und trinken Tee, immer wieder Tee. Abends geht es zurück ins Lager. Am Nachthimmel leuchten die Sterne glasklar.
Mohammeds Lager – eines von vielen in der Wüste – umfaßt lediglich zehn Zelte für jeweils zwei Personen sowie ein großes Gemeinschaftszelt, in dem abends lokales Essen aufgetischt wird. Der schmächtige Beduine will es privat halten für seine Gäste, die solch authentische Erlebnisse auch zu schätzen wissen, wie er berichtet. Mittlerweile haben die jordanischen Behörden einen Stopp für den Aufbau von Zeltlagern in der Wüste veranlaßt. Die Natur soll geschützt werden und die Beduinen sowohl ihre Ruhe als auch die Kontrolle über das 6.000 Quadratkilometer große Gebiet an der Grenze zu Saudi-Arabien behalten.
Bis in die 1990er Jahre buchte man Reisen in die Wüste von Wadi Rum noch per Fax, später kamen Facebook, Whatsapp und damit auch das große Geld. Über 90 Prozent der örtlichen Beduinen leben heute vom Tourismus. Ihnen gelingt ein schwieriger Spagat, ein Leben zwischen Globalisierung und Tradition: Die meisten der Männer besitzen neue iPhones, sprechen gutes Englisch, verfügen über einen bauernschlauen Humor und können sich perfekt an die kulturellen Hintergründe ihrer Gäste anpassen. Gleichzeitig blenden sie diesen Teil ihres Lebens privat aus. Hier zählt nur die Familie, der Zusammenhalt, die Abgeschiedenheit. Stundenlang hocken die Männer um ein kleines Feuer versammelt in der Wüste, besprechen den neuesten Tratsch oder freuen sich auf das Kamelrennen, das ansteht. Die verschleierten Frauen, die im festen Ort Wadi Rum Village in den Häusern die Familie hüten, bekommt man im Grunde nicht zu Gesicht.
Erst die Familie, dann der Rest: Dieses Motto begleitet unsere gesamte Reise. Das Land ist im Gegensatz zum Westen abseits religiöser Fragen wohltuend unideologisch. Nicht das Parteibuch, sondern der Clan und die Familie zählen. Das zeigt sich selbst in der Zusammensetzung des Zwei-Kammern-Parlaments, das in der konstitutionellen Monarchie von Jordanien eine weitgehend untergeordnete Rolle spielt. Von 130 Mitgliedern des Abgeordnetenhauses gehören 118 keiner Partei an. Es sind lokal gewählte Vertreter, die für die jeweilige Region oder den jeweiligen Clan das Beste herausholen sollen. 15 Sitze sind für Frauen reserviert, neun für Christen, drei Sitze gehen an Tschetschenen und Tscherkessen. Die Mitglieder des Senats werden ausschließlich von König Abdullah II. bestimmt, der seit Februar 1999 das Land regiert und versucht, es konsequent zu modernisieren.
Auf Wadi Rum folgt die Felsenstadt Petra, die zu den sieben modernen Weltwundern gehört. Ein beeindruckendes Schauspiel: Der Besucher muß sich durch einen Hunderte Meter langen Felsspalt zwängen, den „Siq“. Erst dann, nach knapp 45 Minuten Fußweg, offenbart sich die mächtige Fassade eines aus dem Fels geschlagenen Mausoleums, von den Beduinen das „Schatzhaus des Pharao“ genannt. Zur Blüte gelangte die bedeutende Handelsstadt um 500 v. Chr. unter dem semitischen Volk der Nabatäer. Mit der Eingliederung ins Römische Reich und der frühbyzantinischen Zeit begann der Niedergang. Nach mehreren schweren Erdbeben sowie dem Einfall der Muslime ab 636 verließen die letzten Einwohner die Felsenstadt im Mittelalter.
Die Straßen der ehemaligen Handelsmetropole sind auch heute gefüllt mit Menschen aus aller Herren Länder, zu denen sich die üblichen lokalen Abzocker gesellen, die einem Souvenirs andrehen wollen oder „kostenlose“ Kamelritte versprechen. Zahlreiche Besucher unterschätzen die mühevollen, felsigen Aufstiege in der Stadt. Erschöpft keuchen sie die Stufen hinauf, einige lassen sich später mit bereitstehenden Golfwagen zum Eingang zurückfahren. Der Massentourismus zerstört bisweilen die Atmosphäre. Gut, daß es rund um die Stadt auch abgeschiedene und ruhigere Wege gibt, die einen phantastischen Blick auf die Stadt ermöglichen.
Anschließend geht es gen Norden. Am Busbahnhof von Petra kommen wir mit Ahmad ins Geschäft, ein kumpeliger Typ Ende 40. Umgerechnet knapp 150 Euro für die 240 Kilometer in die Hauptstadt Amman will der Taxifahrer haben. Während Taxifahrten in Jordanien deutlich billiger als in Europa sind, liegen die Lebensmittelpreise im Grunde auf deutschem Niveau – und das, obwohl der Durchschnittslohn bei knapp 730 Euro netto liegt. Nach dem obligatorischen Feilschen mit Ahmad einigen wir uns auf 130 Euro. Yalla, los geht’s!
Schon nach wenigen Sekunden fällt mein Blick auf den Rückspiegel vorne im Auto. Dort hängt ein kleiner Anhänger mit dem Bild eines grinsenden Arabers in Militäruniform und Sonnenbrille: Saddam Hussein. „Ja, sehr guter Mann“, bricht es lachend aus Ahmad heraus, nachdem ich ihn frage, warum dort Saddam baumelt. Beim einfachen Volk ist der ehemalige Diktator des Irak noch immer beliebt. Für die Palästinenser im Land, die fast 40 Prozent der jordanischen Bevölkerung ausmachen, spielt dabei vor allem seine Unterstützung im Konflikt mit Israel eine Rolle.
Viel wichtiger für Taxifahrer wie Ahmad waren aber die großzügigen Wirtschaftssubventionen des Irak für Jordanien. Öl wurde während der Saddam-Ära fast zum Nulltarif geliefert, Benzin war in Jordanien spottbillig. Weshalb der alte König Hussein, der von 1952 bis 1999 an der Macht war und enge Beziehungen zu Saddam pflegte, auch beliebter ist als sein Sohn. Abdullah II. gilt derzeit als wichtiger strategischer Vermittler im Nahen Osten und militärischer Verbündeter der USA. Viele Menschen hier aber wollen nicht vergessen, was die Amerikaner seit 2003 im Nahen Osten angerichtet haben. Ahmad macht eine abfällige Handbewegung und stößt ein trockenes „Fuck the USA!“ heraus.
Die einstige Römermetropole bietet alles, was den Antike-Fan beglückt
In der Hauptstadt Amman ist das Klima milder, die Temperaturen sinken. Dafür brennt die Luft im endlosen Stau. Wer hier kein dickes Fell beim Autofahren hat, kann einpacken. Auch auf dem Markt, der einem zahllose leckere Gewürze und Essensmöglichkeiten offenbart, herrscht das typische Gewusel. Die Hauptstadt, zwei Autostunden von der syrischen Grenze entfernt, ist ein echter Melting Pot, in dem mehr als ein Drittel der Bevölkerung Jordaniens leben, darunter viele Flüchtlinge aus den umliegenden Regionen. Wirklich unwohl fühlt man sich jedoch kaum, bedroht schon gar nicht. Jordanien ist, auch gemessen an der Kriminalitätsstatistik, sicherer als Deutschland. Abends aber, wenn fast nur noch Männer auf den Straßen unterwegs sind, treffen einen die testenden und neugierigen Blicke.
Von Amman aus planen wir Tagesausflüge. Einer davon führt nach Gerasa, dem „Pompeji des Nahen Ostens“. Die einstige Römermetropole bietet alles, was den Antike-Fan beglückt: Hippodrom, kolossale Tempel, Hunderte Säulen. In der Kleinstadt Madaba, die in der Bibel mehrfach erwähnt wird, lassen sich hingegen bezaubernde christliche Mosaike aus dem 4. und 5. Jahrhundert begutachten. Nach einem Beben 746 schlummerte die Stadt lange Zeit unter der Erde vor sich hin. Erst 1880 siedelten Christen auf den Ruinen des ehemaligen Bischofssitzes, wobei unter dem Schutt die alten Mosaike gefunden wurden.
Bis heute machen Archäologen im weiterhin christlich dominierten Ort erstaunliche Funde. Wenige Kilometer weiter wandelt man auf den Spuren Moses. Vom Berg Nebo blicken wir wie der Prophet bis nach Jericho, an guten Tagen mit klarer Sicht taucht auch Jerusalem am Horizont auf. Abgerundet wird der Tag mit einem Bad im Toten Meer, dessen Salzgehalt den Körper an der Oberfläche treiben läßt. Nach insgesamt zwölf Tagen heißt es Abschied nehmen. Ein letztes Mal blicken wir auf die vorbeiziehende dunkelrote Sandlandschaft, die uns genauso farbenprächtig und trocken verabschiedet, wie sie uns begrüßt hat.