© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/23 / 28. April 2023

Kein Gratis-Eis
Autoindustrie: China-Absatz bald höher als in Europa und den USA zusammen / Rekordgewinne bei BMW und Mercedes
Christian Schreiber

Als hätte diese deutsche Schlüsselindustrie nicht schon genug Probleme in Europa: BMW wurde zu Beginn der Messe „Auto Shanghai“ vorgeworfen, absichtlich kein Gratis-Eis an chinesische Besucher zu verteilten. Der absurde Controller-Geiz paßte nicht zu einem bayrischen Weltunternehmen, das 2022 weltweit 2,6 Millionen hochpreisige Fahrzeuge verkaufte, damit 142 Milliarden Euro Umsatz erzielte und so knapp 18,6 Milliarden Euro Gewinn verbuchte. Durch eine Kommentar-Lawine in chinesischen Apps hat sich der Vorgang für den Münchner Autobauer zu einem Imageproblem entwickelt.

Laut Reuters war der „rassistische Vorfall“ am BMW-Stand am Eröffnungstag 18. April das zweitmeistgesuchte Thema auf der Plattform Weibo, mit 93 Millionen Beiträgen und Kommentaren, die sich erbost über das Verhalten der Mitarbeiter am BMW-Stand zeigten. Eskaliert ist die Posse zum Glück nicht, denn die zehntägige Messe ist eine der wichtigsten Automobilausstellungen in der Welt. Und China war mit einem Absatz von 23,2 Millionen Pkws – vor den den USA mit 13,7 Millionen, Europa mit 11,3 Millionen und Indien mit 3,8 Millionen – der mit Abstand größte Automarkt der Welt. BMW verkaufte ein Drittel seiner Autos im Reich der Mitte. Bei Mercedes waren es 36,8 Prozent und bei VW sogar 40 Prozent.

BMW wollte vor dem „Eis-Skandal“ eigentlich sein neues Elektro-Modell der 7er-Reihe ins Zentrum des Messeauftritts stellen. Denn 2022 konnte der Premiumhersteller zwar nur 215.755 E-Autos der Marken BMW und Mini absetzen, doch diese neun Prozent der Produktionspalette stehen durch das beschlossene EU-Verbrennerverbot und die Verkaufssubventionen in den USA und China im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Bei den Benzinern ist bislang nur die Toyota-Marke Lexus global eine ernstzunehmende Konkurrenz für die deutschen Edelmarken. Bei den bislang extrem teuren E-Autos ist es Tesla mit seinem iPhone-Image. Der 2022 nach zehn Jahren Produktionszeit eingestellte elektrische Verlustbringer BMW i3 hat hingegen vor allem chinesische Adepten.

Der BYD Seagull aus Shenzhen ist ein kleiner Star der Automesse: ein Micro-SUV mit fünf Türen, so lang wie ein Golf I, 75 oder 102 PS, angeblich 305 Kilometer Reichweite – das für einen Basispreis von etwa 10.000 Euro. Der vergleichbare Dacia Spring aus dem Renault-Konzern ist mehr als doppelt so teuer. Der US-Konzern Tesla, der bislang in völlig anderen Preisregionen verkaufte, hat schon reagiert und 2022 eine regelrechte Rabattschlacht entfacht: von unten kommen die Chinesen à la BYD, von oben die Deutschen und Südkoreaner. Die jüngsten Quartalszahlen erschreckten Investoren: es wurden zwar 422.000 Teslas verkauft – doch der Nettogewinn fiel um 24 Prozent auf 2,5 Milliarden Dollar, der Aktienkurs um sechs Prozent.

Massiver Gegenwind durch die einheimischen Marken

Etwa 300 Hersteller von E-Mobilen gibt es in China, massiv gefördert von der KP-Regierung in Peking. Tesla ist die einzige ausländische Marke unter den meistverkauften E-Modellen im Reich der Mitte. Die Entwicklung können China-Besucher gut an den Nummernschildern sehen: Verbrenner-Autos fahren mit einem blauen Schild, E-Mobile mit einem grünen. Bei den „Blauen“ dominieren die europäischen Hersteller, bei den „Grünen“ die einheimischen. BYD bietet beides an: preisgünstige Benziner und futuristische E-Autos sowie auch elektrische Busse und Lkws – natürlich massiv gefördert durch staatliche Maßnahmen. „Die deutschen Automobilhersteller bekommen in China mittlerweile massiv Gegenwind durch einheimische Marken“, sagt Stefan Reindl, Leiter des Geislinger Instituts für Automobilwirtschaft. „Preislich sind die chinesischen Fahrzeuge vor allem in den unteren Fahrzeugklassen interessant. Aber auch bei den Premiummarken rückten die Chinesen immer näher. Und zwar zu erschwinglicheren Preisen.“

Das trifft vor allem VW: 428.000 Pkw wurden im ersten Quartal 2023 in China abgesetzt – nur 13.000 weniger als Marktführer BYD. Die VW-Benziner laufen weiterhin gut – die elektrische ID-Reihe kommt hingegen nicht gut an. Wie es gehen könnte, zeigt derzeit Mercedes. Die Schwaben haben sich in China auf das Premiumsegment konzentriert: So verkaufte die Luxus-Tochter Maybach 2022 mehr als die Hälfte der Gesamtproduktion von 21.600 in China. Weltweit setzte der Konzern 2,45 Millionen Fahrzeuge ab; darunter waren nur 149.227 E-Mercedes und E-Smart. Der Gesamtabsatz lag damit nur 5,6 Prozent über dem Vorjahreswert. Doch der Fokus auf renditestarke Modelle lohnt sich: der Umsatz stieg von 133,9 auf 150 Milliarden Euro; der Gewinn vor Steuern kletterte von 16 auf 20,5 Milliarden Euro.

Mercedes-Chef Ola Källenius schwärmt von der Technologieführerschaft „beim elektrischen und automatisierten Fahren“. Das hören Investoren und Politiker gern. Global wird selbstverständlich weiter zweigleisig gefahren. In den USA, dem nur noch zweitwichtigsten Markt der Welt, sind E-Autos ein Zeitgeist-Phänomen der dichtbesiedelten Küstenregionen. Pickups und SUV boomen weiterhin in den unendlichen Weiten des Landes. Joe Biden hat 2022 mit seinem Investitionsprogramm Inflation Reduction Act (IRA) allerdings auch eine „Elektro-Offensive“ angeschoben. Aber diese Subventionen gibt es wie bei Donald Trump nur unter dem Motto „America first“: Ausländische Autobauer, die nicht zu einem hohen Anteil in Amerika produzieren, haben das Nachsehen. Und das gilt auch für wichtige Zulieferteile. Deshalb müssen BMW, Mercedes und VW auch ihre US-Produktion ausbauen – zu Lasten der deutschen Werke und Beschäftigten. Die deutsche Fahrzeugproduktion geht schon seit 2016 merklich zurück: damals waren es noch 5,7 Millionen, 2022 nur noch 3,4 Millionen.

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