© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/23 / 28. April 2023

Statistik der Woche
Anzeige ist raus
Christian Vollradt

Wer mit seiner Regierung unzufrieden ist, kann das auf vielfältige Weise äußern. Das Schimpfen ist sicherlich die am wenigsten aufwendige, wahrscheinlich aber auch eine der wirkungslosesten Möglichkeiten. Der Leserbrief oder ein wutschnaubender Kommentar in einem sozialen Netzwerk gehört zum vielgenutzten Repertoire; für eine Demonstration braucht man schon Verbündete. Und um die Regierung abzuwählen, muß man sich meistens einige Jahre gedulden, außerdem sind die Erfolgsaussichten abhängig von einer unvorhersehbaren Zahl Gleichdenkender. Eines der letzten – mit erheblichem Aufwand und ziemlichen Risiken verbundenes Mittel – wäre das Auswandern. Wer sich mit dieser Auswahl nicht begnügen, aber auch nicht tatenlos bleiben möchte, wendet sich an die Dame namens Justitia. Und das taten immerhin einige in den vergangenen Jahren. Seit 2012 haben Bürger insgesamt 1.722 Strafanzeigen gegen Mitglieder der Bundesregierung erstattet. Der Großteil betraf die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Stephan Brandner (AfD) hervorgeht, die der JUNGEN FREIHEIT vorliegt. Allein im Jahr der Migrationskrise 2015 gingen 1.048 gegen Merkel ein. Von diesen wurden „etwa 800 Strafanzeigen im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik“ eingereicht. Angezeigt wurde die Altkanzlerin aber auch wegen Volksverhetzung, Hochverrats und dreimal wegen „Vorbereitung eines Angriffskriegs“. Erst mit großem Abstand folgt der aktuelle Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf seine Vorgängerin (55 Anzeigen zwischen 2012 und 2023). Hinsichtlich des Erfolgs steht die Anzeige allerdings auf einer Stufe mit dem Schimpfen: In keinem einzigen Fall wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, da nie zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat vorlagen.