© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/23 / 28. April 2023

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Gefahr erkannt, noch nicht gebannt
Paul Rosen

Daß ein Bundeskanzler vor einen Untersuchungsausschuß zitiert wird, ist nichts Ungewöhnliches. Angela Merkel etwa mußte sich den Fragen von vier Untersuchungsausschüssen stellen. Es läßt sich heute sagen, daß sie alle Auftritte mit Bravour meisterte, egal ob es 2017 um Überwachungsaktivitäten ausländischer Geheimdienste und des Bundesnachrichtendienstes ging oder um den Dieselskandal (ebenfalls 2017) oder 2021 um den Fall Wirecard. Merkel versicherte stets, nicht zuständig gewesen zu sein oder falls doch, erst sehr spät Kenntnis gehabt zu haben.

Helmut Kohl hatte es da als Ex-Kanzler vor 23 Jahren vor dem Parteispendenuntersuchungsausschuß schwieriger. Altgediente Beobachter erinnern sich heute noch an seinen Wutausbruch gegen die SPD, die die deutsche Einheit nie gewollt habe. Wer die anonymen Parteispender waren, konnte aber auch der Ausschuß nie aufklären – vor allem deswegen, weil es sie ganz offensichtlich gar nicht gab.

Die CDU/CSU hofft jetzt auf mehr Glück bei der Aufklärung der Cum-Ex-Steueraffäre in Hamburg, die ebenfalls Gegenstand eines Untersuchungsausschusses werden soll (JF 16/23). Im Unterschied zu Merkel, die nie wegen einer unmittelbaren Verantwortung geladen wurde, wird Kanzler Olaf Scholz jedoch von der Opposition eine direkte Mitverantwortung als damaliger Erster Bürgermeister für den von der Hamburger Finanzbehörde seinerzeit geplanten Verzicht auf eine Steuerrückforderung von der Warburg-Bank zugewiesen. Das Bundesfinanzministerium mußte Hamburg schließlich anweisen, die unberechtigt erhaltene Steuererstattung von Warburg zurückzufordern. 

Der Kanzler zog sich bisher immer mit dem Argument aus der Affäre, er könne sich an Treffen mit den Bankern nicht erinnern. Allerdings hatte er sich im Finanzausschuß des Bundestages an ein Treffen erinnern können – und dieser Widerspruch soll nun aufgeklärt werden. Sollten bei der Beweisaufnahme noch Unterlagen, E-Mails oder Whatsapp-Chatverläufe mit belastendem Inhalt auftauchen, könnte es für den Kanzler eng werden.

Deshalb war schon in der Bundestagsdebatte erkennbar, daß die SPD hier die Notwendigkeit des Untersuchungsausschusses in Zweifel ziehen will. Michael Schrodi (SPD), finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion, bezweifelte, ob der Bundestag überhaupt einen solchen einsetzen könne. Laut Schrodi ist der Steuervollzug Aufgabe der Länder. Und in Hamburg gebe es schon einen Untersuchungsausschuß. Dessen Ergebnisse seien eindeutig: An den Unterstellungen der Union sei nichts dran. Vermutlich wird die SPD bei den weiteren Beratungen im Geschäftsordnungsausschuß des Bundestages das Gremium nicht stoppen, aber seinen Untersuchungsauftrag mit Koalitionsmehrheit verändern können. 

Zu erwarten ist, daß dort dann zusätzlich sogenannte Cum-Cum-Steuerbetrugsfälle untersucht werden müssen. Aber vor dem Auftritt im Ausschuß wird auch Schrodi seinen Kanzler nicht bewahren können.