Die FDP nervt. Auf diese Einschätzung können sich derzeit vermutlich die meisten Vertreter der Koalitionspartner der Liberalen einigen. Wann immer es in den vergangenen Wochen und Monaten mal wieder in der Ampel-Koalition gehakt hat – meist stand die FDP im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Höhepunkt war bislang der Streit um die von Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) vorgelegte Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG), mit der die „Wärmewende“ vorangetrieben und mittelfristig herkömmliche Gas- und Ölheizungen verboten werden sollen.
Unter dem wachsenden Druck der Öffentlichkeit und vor allem der eigenen Basis haben sich die Liberalen nach anfänglichem Zögern seit Wochen an dem Entwurf für das Heizungsverbot abgearbeitet. Sehr zum Verdruß des grünen Koalitionspartners und von Bundeskanzler Olaf Scholz. Doch statt den Aufstand zu proben, twitterte FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner im Anschluß an die Kabinettssitzung am Mittwoch vergangener Woche: „Das Bundeskabinett hat heute den Entwurf des GEG beschlossen. Ich erwarte, daß nun im parlamentarischen Verfahren notwendige Änderungen vorgenommen werden, um Bedenken im Hinblick auf Finanzierbarkeit und Umsetzbarkeit auszuräumen und die Menschen möglichst wenig zu belasten.“
Bereits im Vorfeld der Abstimmung im Kabinett hatte Lindner eine sogenannte Protokollerklärung der FDP-Minister angekündigt, um die Vorbehalte der Liberalen zu dokumentieren und auf nachträgliche Änderungen im parlamentarischen Verfahren zu drängen. Mit diesem mehr als ungewöhnlichen Schritt – der Zustimmung der FDP zu einem Gesetz, das sie eigentlich ablehnt – hat der kleinste Koalitionspartner bei SPD und Grünen seinen Ruf als Störenfried gefestigt. Nur der Umstand, daß die Liberalen unmittelbar vor ihrem Bundesparteitag standen, ließ die Kritik aus den Reihen der Ampel vergleichsweise verhalten ausfallen.
Besänftigt hat das die Delegierten der magentafarbenen Partei allerdings nur bedingt. Die haben nämlich bei ihrem Treffen in Berlin durchaus neuen Zündstoff in der Koalition deponiert. Auf Antrag des Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler, einem ostwestfälischen Querkopf, der als parteiinterner „Rebell“ bereits in der Euro-Krise liberale Grundsätze mit Beharrungskraft vertreten hatte, stimmte eine große Mehrheit für Änderungen an Habecks Gesetzentwurf, der laut den Liberalen „exemplarisch für die falsche Klima- und Energiepolitik der Grünen“ stehe. Die seit 2021 verlorenen Landtagswahlen taten wohl ein übriges, die Reihen zu schließen. Die Lesart des FDP-Chefs lautet jedenfalls: Die Parteifreunde hätten ihn dadurch „gestärkt“.
Kritiker erinnerten unterdessen genüßlich an seinen Ausspruch nach dem Scheitern der Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition zwischen seiner Partei, der CDU und den Grünen 2017: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ Doch so weit ist es noch lange nicht. Im Gegenteil. Die FDP läßt derzeit keine Anzeichen erkennen, daß ihre Minister im Streit um den Kurs der Ampel-Koalition das Bündnis verlassen könnten. Vielmehr scheinen die Liberalen einen Weg gefunden zu haben, ihr Profil zu schärfen, indem sie in der Koalition insbesondere im Vergleich mit den Grünen als Stimme der Vernunft auftreten, die die schlimmsten Grausamkeiten für die Bürger verhindert.
Wenn Lindner nachgibt, war es das mit dem Imagegewinn
Sogar Bundeskanzler Olaf Scholz scheint sich mit dieser Rolle seines kleinsten Koalitionspartners angefreundet zu haben, wie bereits während der Marathonsitzung des Koalitionsausschusses Ende März deutlich geworden war. Damals ließ der Kanzler laut Teilnehmern deutlich erkennen, es sei ihm ganz recht, wenn die FDP als Korrektiv auftrat. Die Grünen und ihr Umfeld brachte der Kampf des Koalitionspartners für synthetische Kraftstoffe („E-Fuels“) und gegen das endgültige Verbrenner-Aus sowie für den beschleunigten Ausbau von Autobahnen derweil zur Weißglut.
Doch auch Scholz hat schon die Folgen des neuen Selbstbehauptungswillens der FDP zu spüren bekommen, als der Finanzminister den in der Öffentlichkeit zunehmend problematisierten Erweiterungsbau des Kanzleramtes, dessen Kosten mittlerweile auf bis zu 800 Millionen Euro veranschlagt werden, in Frage stellte. Zuvor hatte Lindner elegant einen ebenfalls – noch von seinem Vorgänger Olaf Scholz – ins Auge gefaßten Neubau für sein Ministerium in der Berliner Wilhelmstraße mit Verweis auf den Bedarf an bezahlbaren Wohnungen in der Hauptstadt ad acta gelegt.
Doch diese Konflikte dürften nur ein Vorspiel für die seit Wochen schwelende Auseinandersetzung um den nächsten Bundeshaushalt sein. Anders als sonst üblich, hat der Finanzminister Anfang März keine Eckpunkte für den nächsten Haushalt vorgelegt. Der Grund: Die Begehrlichkeiten der Ministerien sind mit 70 Milliarden Mehrausgaben weitaus größer als das, was Lindner bereit ist zu geben.
Die Liste der potentiellen Ausgabenposten ist lang: Neben mehr Geld für die Bundeswehr wünschen sich etwa allein die Grünen bis zu 12 Milliarden Euro für das Projekt Kindergrundsicherung. Auch die von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplante Reform des Gesundheitssystems steht auf der Liste der zusätzlich gewünschten Ausgaben, die angesichts der wieder greifenden Schuldenbremse nicht umsetzbar sind. Ohne Eckpunkte verhandelt Lindner hinter den Kulissen weiter mit seinen Kollegen in der Hoffnung, eine Lösung zu erreichen und einen weiteren großen Koalitionsstreit zu vermeiden.
Denn der FDP-Chef weiß: Wenn er nachgibt und zur Finanzierung der Sonderwünsche Steuer-erhöhungen oder einem erneuten Aussetzen der Schuldenbremse zustimmen sollte, wäre der in den vergangenen Wochen erreichte Imagegewinn der FDP bei der eigenen Klientel mit einem Schlag wieder zunichte gemacht. „Die Politik muß wieder lernen, mit dem Geld auszukommen, das die Bürgerinnen und Bürger erwirtschaften“, warb der FDP-Politiker in der Rheinischen Post für seine Position.
In Berlin wird indes davon ausgegangen, daß Lindner seine harte Haltung höchstens bis zum Sommer durchhalten kann. Spätestens dann muß ein Kompromiß her, mit dem alle in der Ampel leben können. Denn auch Lindner weiß, daß eine Koalition nicht auf Dauer funktioniert, wenn sich immer nur ein Partner auf Kosten der anderen profiliert.