© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/23 / 28. April 2023

Für die Flutbürger
Aufarbeitung der Katastrophe im Ahrtal: Der Untersuchungsausschuß im Landtag von Rheinland-Pfalz beendet seine Arbeit/ Viele Versäumnisse kamen ans Licht, zwei Minister mußten gehen
Christian Schreiber

Was ist in der Flutnacht im Juli 2021 in Rheinland-Pfalz genau passiert? Hätten die Menschen an der Ahr besser gewarnt werden müssen? Ein Untersuchungsausschuß des Mainzer Landtages versuchte, diese Fragen zu klären (JF 13/22). In 39 Sitzungen wurden 13 Zeugen und Sachverständige befragt – und es gab zwei Rücktritte. Das sollte es eigentlich gewesen sein. Doch in der ursprünglich letzten geplanten Sitzung am vergangenen Freitag stellte die AfD den Antrag auf eine weitere Zeugenanhörung.

 Das Gremium hatte Anfang Oktober 2021 seine Arbeit aufgenommen, wenige Wochen nach der Katastrophe. In den rund eineinhalb Jahren wurden einige Versäumnisse ans Licht gebracht. Manches zog sogar Konsequenzen nach sich. Die Landesregierung von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) wackelte bedenklich, aber zumindest sie konnte sich auf ihrem Sessel halten. Daran wird sich wohl auch nichts ändern, obwohl aus Reihen der Opposition nach der zweiten Befragung Dreyers Ende März scharf geschossen wurde. „Wir fanden den Auftritt beschämend“, sagte CDU-Obmann Dirk Herber gegenüber dem Südwest-

rundfunk. Dreyer habe erneut verpaßt, etwas zur Aufklärung beizutragen und Verantwortung für das Handeln der Landesregierung während der Ahrflut zu übernehmen. Die Ministerpräsidentin müsse nun selbst Konsequenzen ziehen, wie es die frühere rheinland-pfälzische Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) und Ex-Innenminister Roger Lewentz (SPD) getan hätten, forderte der Christdemokrat. Beide waren infolge der Aufarbeitung der Flutkatastrophe zurückgetreten; Spiegel als Bundesfamilienministerin, die sie 2021 geworden war. 

Vor dem Untersuchungsausschuß betonte Dreyer erneut, sie habe in der Flutnacht auf die Fachleute vertraut. „Die größte Naturkatastrophe des Landes war aber stärker als die Strukturen des Katastrophenschutzes.“ Das Ausmaß der Ahr-Flut habe sich keiner ausmalen können. Sie erklärte zudem, als Ministerpräsidentin nicht Teil der operativen Krisenbewältigung zu sein. Die Katastrophenschützer vor Ort hätten die Lage eingeordnet und Schutzmaßnahmen wie Evakuierungen eingeleitet. Es habe in der Katastrophenacht keine Anzeichen gegeben, daß der Alarmplan nicht funktionieren könnte. Im Zuge der Ausschußarbeit war jedoch deutlich geworden, daß das Ausmaß der Überflutungen schon am Abend des 14. Juli erkennbar war. So hatte ein Polizeihubschrauber damals Videos und Fotos gemacht. Ein Bericht ging noch am Abend an das Lagezentrum im Innenministerium. 

Urlaub bringt ehemalige Spitzenbeamtin in Bedrängnis

Besonders heikel war zum Abschluß der Anhörungen der Auftritt  der damaligen Vizepräsidentin der Dienstaufsichtsbehörde ADD, Begona Hermann. Hermann war seinerzeit zuständig für den Katastrophenschutz, dennoch fuhr sie unmittelbar nach der Flut für zwei Wochen in den Urlaub. Das Mainzer Innenministerium hatte damals erklärt, es habe sich um eine reine Privatreise gehandelt. Im Februar dieses Jahres mußte der neue Innenminister Michael Ebling (SPD) überraschend zugeben, daß ein Disziplinarverfahren gegen Hermann eingeleitet worden sei. Es stehe „der Verdacht im Raum, daß die politische Beamtin einen dienstlichen Anlaß konstruiert haben könnte, um für eine private Reise in die USA eine Einreisegenehmigung von den US-Behörden zu erhalten.“ 

Politische Auswirkungen wird dieser Vorfall aber keine mehr haben. Hermann wurde Ende Dezember 2022 regulär in den Ruhestand verabschiedet. Dreyer stellte sich zudem hinter den umstrittenen Chef der ADD. Sie habe es so wahrgenommen, daß die Einsatzleitung unter der Leitung von Präsident Thomas Linnertz nach der Flut alles gegeben habe, sagte Dreyer. Die Einsatzleitung sei für die Regierung rund um die Uhr erreichbar gewesen, Linnertz und seine Mitarbeiter hätten eine „Riesenaufgabe bis zur körperlichen Erschöpfung wahrgenommen“.

Zu einem etwas anderen Ergebnis kam ein Gutachten des Berliner Professors für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz, Dominic Gißler. Er sprach von zahlreichen Mängeln der Einsatzleitung. Als Beispiele nannte er schlecht abgestimmte Personalwechsel. Die hätten zu großen Reibungsverlusten geführt. Auch Sitzungen verschiedener Stäbe seien schlecht aufeinander abgestimmt worden. Gißler sagte aber auch, man könne keine Einzelpersonen dafür verantwortlich machen. Der Ausfall des Mobilfunknetzes sei nicht vorhersehbar gewesen. 

Für die Opfer der Katastrophe ist das allerdings ein schwacher Trost. Bei der Flut starben über 220 Menschen, davon mindestens 186 in Deutschland und 41 in Belgien. Die Wassermassen rissen mindestens 467 Gebäude mit, darunter mindestens 192 Wohnhäuser. Von den 4.200 Gebäuden entlang der Ahr sind geschätzt mehr als 3.000 beschädigt worden. Im am schlimmsten betroffenen Kreis Ahrweiler betrug der durchschnittliche Schaden pro Wohngebäude 210.000 Euro. Insgesamt ist ein Versicherungsschaden von 8,5 Milliarden Euro entstanden. 

Die Geschäftsordnung des Landtags sieht vor, daß alle Fraktionen einer Beendigung des Ausschusses zustimmen müssen. Die AfD (siehe Interview) hat nun Dienstaufsichtschef Linnertz ein weiteres Mal als Zeuge vorgeladen. Damit will die Oppositionsfraktion den Druck auf die Regierung hoch halten. Wirklich neue Erkenntnisse werden aber nicht mehr erwartet.