Welch ein Drama! Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner, statt aus seinem Herzen eine Mördergrube zu machen, verschickte zu nachtschlafender Zeit per SMS unfrisierte Mitteilungen und Kommentare, die auf keinen Fall für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Die Wochenzeitung Die Zeit hat sie trotzdem ans Licht gezerrt und die Zitate so ausgewählt und sortiert, daß das Bild eines überheblichen, ressentimentgeladenen, eruptiv und diktatorisch agierenden Medienmoguls entstand, der vom reaktionären Umsturz träumt. Die Kontexte und Äußerungen, die dieses Bild relativieren oder akzentuieren könnten, wurden weggelassen.
Sämtliche sogenannte Qualitätsmedien machten sich die Veröffentlichung umgehend zu eigen. Zeitgleich wurde der Podcast „Boys Club – Macht & Mißbrauch bei Axel Springer“ gestartet, produziert von der Firma des ZDF-Giftzwergs Jan Böhmermann. Das Getöse bildet die Begleitmusik zum Roman „Noch wach?“ des langjährigen Springer-Autors Benjamin von Stuckrad-Barre, der einst mit Döpfner befreundet gewesen und von ihm gehätschelt worden war. Seit langem wurde gemunkelt, daß „Stucki“ pikante Histörchen aus den Innereien von Europas größtem Medienhaus ausbreiten würde.
Die Buchvorstellung fand am exklusiven Ort statt, im Berliner Ensemble, und wurde von der Medienbranche als Großereignis begangen. Alles fügt sich zu einer strategisch geplanten Aktion, um dem Springer-Verlag zu schaden, indem man Döpfner als öffentliche und Privatperson zerstört.
Die Kampagne wird natürlich vom Konkurrenzdruck im Medienbetrieb befeuert. Den Printmedien steht das Wasser bis zum Hals, und bei den Öffentlich-Rechtlichen steht die Finanzierung unter Rechtfertigungsdruck. Alle hoffen, ihre Aktien würden steigen, wenn die des immer noch mächtigen Springer-Konzerns sinken. So weit, so normal.
Die veröffentlichten Kurznachrichten vermitteln keine neuen Kenntnisse über den Springer-Chef. Wer Döpfner ausweislich seiner veröffentlichten Texte und Reden für einen Dünnbrettbohrer, Opportunisten und miserablen Schreiber gehalten hat, der selbst dort, wo er richtig liegt, keine belastbare Begründung liefern kann, wird sich bestätigt finden. Doch unabhängig davon ist das Verfahren, Privates, Halbprivates und Vertrauliches mit Hilfe von Indiskretins zur öffentlichen Anprangerung zu präsentieren, einfach nur widerwärtig. Daran ändert auch nichts, daß diese Methode für Springers Bild das Geschäftsmodell bildet und im „Kampf gegen Rechts“ weithin üblich ist.
Der Zusammenhang von Sex, Machtausübung, sozialen Hierarchien und sozialem Aufstieg ist altbekannt. Michel Houellebecq hat das Thema im Roman „Ausweitung der Kampfzone“ meisterhaft auf das neoliberale Zeitalter übertragen. Stuckrad-Barre dagegen betätigt sich als rachsüchtige Plaudertasche, die auf der „Me too“-Welle schwimmt. Er hat eine Schlüsselloch-Farce verfaßt über die wahrhaft hochbrisante Frage, wer mit wem schlief. Ein FAZ-Leser hat hinter der toxischen Symbiose der verfeindeten Ex-Freunde ein soziologisches Paradigma identifiziert: „Da wird der so wortgewaltige, große und mächtige Mann durch die von ihm geschaffene Kreatur zum Schweigen gebracht, herrlicher Pseudo-Eliten-Trash.“ In diesem schmierigen Sittengemälde aus den oberen Etagen der Berliner Republik erscheinen auch die Regisseure, Investigatoren und Profiteure des sogenannten Skandals als abstoßende Komparsen.
Die politische Dimension des sinnfreien Gelärmes in der Echokammer des Kultur- und Medienbetriebs liegt paradoxerweise in der falschen Politisierung sowie im Nichtbegreifen der eigenen Trivialität. Die am meisten skandalisierte Äußerung Döpfners handelt von den „Ossis“, die entweder Kommunisten oder Faschisten und jedenfalls „eklig“ seien. Die Empörung darüber ist ignorant oder verlogen, denn die Sentenz bringt lediglich auf den Punkt, was in den westdeutschen Medien – andere gibt es nicht im wiedervereinten Land – üblich ist. Interessant ist Döpfners Begründung für die Minderwertigkeit des Ostens: Dieser sei nicht in den Genuß der „US-Reeducation“ (!) gekommen.
Zur „Reeducation“ gehörte die Erteilung von Zeitungslizenzen durch die Alliierten. Sie prämierten das Wohlverhalten der Lizenznehmer, bis es in Fleisch und Blut übergegangen war. An Döpfners Äußerung müßte sich also vernünftigerweise eine Debatte darüber anschließen, ob denn die Internalisierung von US-Sichtweisen und Wertsetzungen – die war ja Inhalt und Zweck der „Umerziehung“ – heute zur richtigen Beurteilung der eigenen, der deutschen Lage befähigt. Denn aus der Fremdperspektive läßt die gefährliche Inkompetenz unserer Außenministerin sich kaum erschöpfend kritisieren. Die Bezeichnung Merkels als den „Sargnagel“ der deutschen Demokratie ist so zutreffend wie banal, während Döpfners Lobpreisung der FDP als Gegenkraft erneut an seiner Urteilsfähigkeit zweifeln läßt. Doch wer aus Gewohnheit ein nationales Eigeninteresse mit einem nationalistischen Sonderweg gleichsetzt, dem bleibt tatsächlich nur übrig, sich an Lindner, Kubicki oder Strack-Zimmermann als letzte Hoffnungsträger zu klammern.
In Wahrheit paßt zwischen Döpfner, den Verlag und die Kritiker kaum ein Blatt Papier. Allesamt repräsentieren sie die Fehlfunktion der deutschen Medien. Die Medienschaffenden zappeln blöde in einem Spinnennetz. Einer der Spinnenfäden ist die informelle Weisungsmacht der Verlegerwitwe Friede Springer, die vor 50 Jahren vom Hausmädchen zur fünften Ehefrau des Presse-Zaren aufgestiegen war. Als Bild-Chef Julian Reichelt die Kanzlerin kritisierte, wies sie den „(lieben) Julian“ darauf hin, daß Angela Merkel eine „erfahrene Bundeskanzlerin“ sei, die „uns mit ruhiger Hand“ führe und der zu „helfen“ sei. Bald darauf war Reichelt seinen Posten los. Bezeichnenderweise bleibt die Witwen-Intervention außerhalb der Kritik.
Bild und Welt wagen gelegentliche Widerworte gegen die Corona-Politik, die Klima-Kampagnen, gegen das energiepolitische Vabanquespiel der Grünen. Das ist für den auf Gleichschaltung geeichten Mainstream schon zu viel. Zudem sieht der Springer-Konzern seine Zukunft auf dem amerikanischen bzw. englischsprachigen Markt. Man darf also über den Einfluß transantlantischer Aktionäre spekulieren, die fast die Hälfte der Springer-Anteile halten. Spielen sie über die Bande, um den Verlag zum paßgenauen Puzzleteil eines woken Imperiums zu formen? Ein Kreis würde sich schließen. Etwas Nützliches ist weder von Springer noch vom übrigen Medienbetrieb mehr zu erwarten.