Am 20. April 1998 ging im Kölner Büro der Nachrichtenagentur Reuters ein achtseitiges Schreiben ein, in dem die linksterroristische Rote Armee Fraktion ihre Selbstauflösung bekanntgab: „Vor fast 28 Jahren, am 14. Mai 1970, entstand in einer Befreiungsaktion die RAF: Heute beenden wir dieses Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte.“ Der Text trug keine Unterschrift und auch sonst fehlten jegliche Hinweise auf den oder die Verfasser, womit das Ende der RAF genauso nebulös daherkam wie ihr Beginn.
So blieb bis heute ungeklärt, welche Rolle der V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes und Agent provocateur Peter Urbach alias „S-Bahn-Peter“ bei der Gründung der Terrorgruppe spielte und in wessen Auftrag er seinerzeit handelte. Auf jeden Fall war Urbach der früheste Hauptlieferant von Molotowcocktails, Sprengsätzen sowie Schußwaffen für die erste Generation der RAF.
Ebenfalls weiß man offiziell kaum etwas über die dritte Generation der Rote Armee Fraktion, die offenbar vor 25 Jahren beschloß, die Untergrundorganisation „in die Geschichte zu entlassen“. Die Bundesanwaltschaft kennt nach wie vor nur die Namen einiger weniger hierfür in Frage kommender Personen. Deshalb bezeichneten die Enthüllungsautoren Gerhard Wisnewski, Wolfgang Landgraeber und Ekkehard Sieker die gesamte dritte RAF-Generation als „Phantom“ beziehungsweise Erfindung der Geheimdienste. Immerhin seien fast alle der RAF zugeschriebenen Morde der Jahre ab 1985 bislang nur unvollständig oder gar nicht aufgeklärt worden.
Gleichzeitig entstand phasenweise der Eindruck, als ob die Auflösungserklärung keineswegs ernst gemeint gewesen war und eine vierte Generation der RAF um Ernst-Volker Staub und Daniela Klette die Bühne betrat. Jedoch blieb es letztlich nur bei reinen Raubüberfällen, die vermutlich der Sicherung des Lebensunterhaltes der untergetauchten restlichen RAF-Veteranen dienten.
Damit ist die einstige Baader-Meinhof-Bande nun also wohl tatsächlich Geschichte. Aus der Sicht der Verfasser des Schreibens vom April 1998 war die RAF außerstande gewesen, ihren Kampf gegen einen Staat zu gewinnen, „der nach der Befreiung vom Nazi-Faschismus mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit nicht gebrochen hatte“. Das resultiere daraus, daß man zu wenig „neue Ideen für den Befreiungsprozeß“ entwickelt habe, was auch und gerade für die Zeit nach dem Zusammenbruch der DDR gelte. Andererseits könne die RAF-„Stadtguerilla“ aber durchaus Erfolge für sich verbuchen. Beispielsweise sei es ihr gelungen, „den Krieg, den die imperialistischen Staaten außerhalb der Zentren der Macht führen, in das Herz der Bestie“ zurückzutragen.
Aufschlußreich an der Auflösungserklärung ist des weiteren, daß sie die insgesamt 26 Toten aus den Reihen der RAF und ihrer engeren Sympathisantenszene auflistet, aber nicht ein Wort des Bedauerns über die anderen deutschen, US-amerikanischen und niederländischen Opfer des „Befreiungskrieges“ enthält. Denn zu diesen zählten keineswegs nur Exponenten des „autoritären Schweinesystems“, also Polizisten, Juristen und Spitzenmanager, sondern auch einfache Angestellte wie die Fahrer Wolfgang Göbel, Heinz Marcisz und Eckhard Groppler. Dazu kommen die vielen Verletzten, die ebenfalls nicht der „Zielgruppe“ angehörten – so beispielsweise bei den sechs Bombenanschlägen im Rahmen der sogenannten „Mai-Offensive“ von 1972. Insgesamt gehen wohl 33 oder möglicherweise auch 34 Tote und über 200 zum Teil Schwerverletzte auf das Konto der Roten Armee Fraktion.