Der Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher hat die bis dahin im linksliberalen Bürgertum renommierte Illustrierte in eine Krise gestürzt, von der sie sich nie wieder erholt hat. Heute steht der Stern am Rande der Bedeutungslosigkeit. Er ist verglüht. Dabei haben Verlag und Redaktion Chancen vertan, um aus dem „größten Desaster der Stern-Geschichte“, wie das Magazin vor einem halben Jahr schrieb, die richtigen Lehren zu ziehen.
Anerkannte Männer wie Johannes Gross und Peter Scholl-Latour hat die linke Mannschaft in einem bis dahin noch nie dagewesenen Aufstand rausgemobbt. Die weltläufigen Journalisten sollten als Chefredakteure die Reputation wieder auf Vordermann bringen. Doch sie waren zu konservativ.
Der Reihe nach: Die Glaubwürdigkeit des Stern war nach dem bis dahin spektakulärsten Fake der deutschen Mediengeschichte dahin. Die Auflage schrumpfte. Im ersten Quartal 1983, kurz vor der Veröffentlichung der Fälschungen, lag sie bei 1,655 Millionen. Im letzten Quartal desselben Jahres verkaufte der „Gruner + Jahr“-Verlag noch 1,511 Millionen Hefte – ein Minus von 8,7 Prozent.
Die Redaktion wollte lieber den „Ami go home“-Chefredakteur
Daß die Auflage nicht noch stärker absackte, hing auch mit der Verpflichtung Scholl-Latours zusammen, der für einen glaubwürdigen Neuanfang stand. Der bisherige Leiter des ZDF-Büros in Paris war gleichzeitig als Kriegsreporter in Vietnam unterwegs und veröffentlichte einen Bestseller nach dem anderen. Scholl-Latour galt als einer der mutigsten deutschen Journalisten. 1979 erreichte sein Werk „Der Tod im Reisfeld“ eine Sachbuch-Rekordauflage von 1,3 Millionen Exemplaren.
Doch der geerdete, bürgerliche Scholl-Latour, der später für die JF schrieb, stieß auf den Widerstand der linken Stern-Redaktion. Das führte trotz Fünfjahresvertrag nach neun Monaten zu seinem Rücktritt. In der kurzen Amtszeit hatte Scholl-Latour das Vertrauen der Werbewirtschaft zurückgewonnen, so daß der Stern die nach dem Skandal einsetzenden Anzeigenstornierungen ausgleichen konnte.
Seinen designierten Co-Chefredakteur Johannes Gross, der im ZDF die „Bonner Runde“ moderierte, hatten die Kollegen ganz verhindert. Tagelang protestierte die Belegschaft gegen den vermeintlichen „Rechtsruck“ des Magazins, den sie durch den früheren „Deutsche Welle“-Intendanten und Capital-Chefredakteur erwarteten. Höhepunkt war eine Demonstration der Stern-Redaktion mit der linken Szene, an der 2.000 Menschen gegen Gross’ Berufung auf die Straße gingen.
Nach dem Intermezzo Scholl-Latours, der die Zeitschrift in seriöseres Fahrwasser steuern sollte, fiel die Auflage um weitere 100.000 Exemplare. Auf ihn folgte der linke Wunschkandidat der Redaktion, Rolf Winter, der später mit seinem Buch „Ami go home“ durch die Talkshows Westdeutschlands tingelte.
Drei Jahre vor seiner Berufung an die Stern-Spitze hatte er als Geo-Chefredakteur ebenfalls eine schlagzeilenmachende Fälschung zu verantworten. Den Bericht des „Wissensmagazins“ über Chinas wilde Pandabären hatte ein Reporter erfunden. Die vermeintlich sensationellen Fotos dazu stammten aus einem Gehege.
Der Stern-Absturz war nicht mehr aufzuhalten. Dabei hatte die Enthüllung um Hitlers geheime Aufzeichnungen die Reichweite stärken und sogar alte Höchststände übertreffen sollen. 1967 waren 1,931 Millionen Exemplare verkauft worden. Die Wiedervereinigung mit 17 Millionen potentiellen neuen Lesern aus der DDR konnte den Negativtrend zwar kurz bremsen, aber nicht umkehren. 2008 fiel die Auflage erstmals unter eine Million. Derzeit erreicht sie gerade noch 325.426, wobei etwas mehr als ein Drittel davon im Lesezirkel, als Bordexemplare und in sonstigen Verkäufen verramscht wird. Die harte Auflage liegt bei etwas mehr als 200.000 Stück.
Heute hat der Stern dem klassischen Journalismus längst adieu gesagt. Die Chefredakteurin Anna-Beeke Gretemeier begreift ihr Medium als Plattform für Aktivismus: „Wir finden, daß die reine Berichterstattung und Kommentierung angesichts der Vielzahl der Probleme in unserer Gesellschaft nicht mehr ausreichen.“ 2020 durfte „Fridays for Future“ eine Ausgabe konzipieren. Doch auch das hilft nichts. Das Blatt verlor in den vergangenen drei Jahren noch einmal 26 Prozent an Auflage.