© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/23 / 21. April 2023

Den Schaden begrenzen
Vergangenheitsaufarbeitung: Die Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung trennt sich von ihrem Geschäftsführer und sieht sich nun Vorwürfen der Rechtslastigkeit ausgesetzt
Karlheinz Weißmann

Wenn von „Netzwerken“ die Rede ist, dann in der Regel von „rechten Netzwerken“. Wenn von der „Rechten“ die Rede ist, dann in der Regel von ihrer Gefährlichkeit und Bösartigkeit und davon, daß die Rechte einen Block bilde, der keine Differenzierung erlaube. Das alles ist nicht neu, so wenig wie die Behauptung, der Publizist Armin Mohler (1920–2003) sei jemand gewesen, der zu einem rechten Netzwerk gehörte oder rechte Netzwerke aufgebaut habe und daß das zu den unbewältigten Aspekten deutscher Vergangenheit gehörte.

Wenn davon heute eine breitere Öffentlichkeit weiß, dann, weil Marcel Lepper, Mohlers Nachnachfolger als Geschäftsführer der Carl-Friedrich- von-Siemens-Stiftung, lediglich zehn Monate im Amt blieb und seine Entlassung unter spektakulären Umständen stattfand. Der habilitierte Literaturwissenschaftler hatte den Posten erst im April 2022 übernommen. Bis dahin hatte er im Deutschen Literaturarchiv Marbach, in der Berliner Akademie der Künste und zuletzt als Direktor des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar gearbeitet.

Spektakulär war seine Entlassung im Februar dieses Jahres vor allem deshalb, weil Lepper den Eindruck erweckt, der Rauswurf sei auf seine Absicht zurückzuführen, die „historische Aufarbeitung“ all dessen voranzutreiben, was in den Archiven der Stiftung verborgen liege und die Existenz gigantischer rechter Netzwerke beweise, „die quer in die Parteienlandschaft hineinragen, die in den Literatur- und Wissenschaftsbetrieb mit hineinragen“.

Folgt man Leppers Geschichte, dann war die Siemens-Stiftung ein rechter think tank, eine Denkfabrik und Zentrum einer Verschwörung, die Mohler angezettelt und an der sein Nachfolger, der Philosoph Heinrich Meier, weitergearbeitet hat, wenngleich „subtiler“. Was Lepper aber nicht täuschen konnte, der sensibel auf „misogyne“ Strukturen und „habituelle Formen“ reagiert, „die nicht nur rückwärtsgewandt, sondern auch rechtslastig waren“.

Nachdem gerichtlich die im Zuge eines Vergleichs zwischen der Stiftung und Lepper festgelegte Schweigepflicht aufgehoben wurde, hat Lepper für seine Sicht der Dinge rasch interessierte Abnehmer gefunden. Deshalb sah sich die Siemens-Stiftung zu einer Stellungnahme veranlaßt, die die Vorwürfe als „so perfide wie unwahr“ bezeichnet, aber im übrigen defensiv bleibt. Das betrifft vor allem die Person Mohlers, jenes Mannes, der bei ihrem Aufbau eine entscheidende Rolle gespielt hat, den zu verteidigen man aber offenbar nicht willens ist. Was sich vor allem aus der Sorge vor dem Einfluß jenes Narrativs erklärt, das Lepper bedient und das besagt, es habe nach dem Untergang des NS-Regimes in Westdeutschland nicht nur personelle, sondern auch ideologische Kontinuitäten gegeben, die dafür sorgten, daß sich braune Seilschaften in allen wichtigen Bereichen von Staat und Gesellschaft hielten oder neu etablierten.

Mohler scheint auf den ersten Blick exakt in das entsprechende Schema zu passen: ein junger Schweizer, der bei Beginn des Rußlandkriegs für Deutschland Partei genommen und deshalb versucht hatte, als Freiwilliger in die Waffen-SS einzutreten, der nach 1945 die Konservative Revolution zu rehabilitieren suchte, der als Sekretär Ernst Jüngers gearbeitet und von so problematischen Gestalten wie Ernst Niekisch und Carl Schmitt fasziniert war, der über den Arzt Franz Riedweg, den ehemaligen Verantwortlichen für die Werbung ausländischer Freiwilliger der Waffen-SS, in Kontakt zu Siemens kam, dort nach relativ kurzer Zeit in die Position des Geschäftsführers der Stiftung aufrückte und über mehr als zwei Jahrzehnte deren Programm bestimmte. Zudem hat Mohler publizistisch gewirkt und als einer der wichtigsten Rechtsintellektuellen maßgeblichen Einfluß auf Nachwuchskräfte – darunter Heinrich Meier – nehmen können, die bis heute aktiv sind.

Entscheidend für die Plausibilität dieser Erzählung ist die These, daß der Mohler, der als Zweiundzwanzigjähriger illegal die schweizerisch-deutsche Grenze passierte, die folgenden sechs Jahrzehnte seine ideologischen Überzeugungen nie geändert habe. Eine Annahme, die jeder Wahrscheinlichkeit widerspricht und keiner Überprüfung standhält. So war Mohlers „Eurofaschismus“ schon bei Begegnung mit Hitlers „Kommissarstaat“ erledigt. Aber er kehrte weder zu seinen alten linken Ideen zurück, noch nutzte er die Möglichkeit, sich als „45er“ zu präsentieren und auf dem Ticket Karriere zu machen.

Gegenüber rechten Parteien der frühen Bundesrepublik hielt er Distanz, wenngleich man ihn von verschiedenen Seiten – der Deutschen Partei etwa, aber auch den Neutralisten – umwarb. In den gesellschaftlichen Kreisen, in denen er sich bewegte, gab es selbstverständlich ehemalige Nationalsozialisten, aber die meisten hatten ihrerseits einen Prozeß der „Deradikalisierung“ (Jerry Z. Muller) durchlaufen. Das galt auch für Riedweg, der ideologisch auf dem Weg ins Katholisch-Abendländisch-Ständische war und seinem Patienten Ernst von Siemens Mohler als einen begabten jungen Journalisten und Politikwissenschaftler empfahl, der noch für angesehene Zeitungen (darunter Die Zeit) in Frankreich arbeitete, aber gerne nach Deutschland zurückkommen wollte und eine Stelle suchte.

Zu dem Zeitpunkt, Anfang der sechziger Jahre, war Mohler bekannt als der prominenteste Befürworter eines deutschen Gaullismus. An seinen damals entwickelten Überzeugungen hat er im Prinzip auch später festgehalten, obgleich er begreifen mußte, daß seine Vorstellung von Politik in Deutschland keine Resonanz fand. Das hat ihn verdrossen, aber verbittert erst in der letzten, auch von Krankheit gezeichneten Lebensphase. Mohlers oft skandalisiertes Diktum „Ich bin ein Faschist“ stammt aus dieser Zeit und ist ohne den Hinweis darauf so wenig zu verstehen wie ohne Berücksichtigung des Kontextes, in den es gehört. Denn hier ging es nicht nur um Provokation – die Mohler immer nahelag –, sondern auch um den Versuch einer metahistorischen Auffassung von „Faschismus“, der als Dachbegriff für José Antonios Falange ebenso dienen sollte wie für die Konservative Revolution oder den Gaullismus oder den Ansatz Alain de Benoists.

Im Grunde muß schon das Gesagte deutlich machen, daß Mohler eine entscheidende Eigenschaft aller Netzwerker fehlte: die des Taktikers. Er konnte zwar gewinnend auftreten, bewies gegenüber abweichenden Anschauungen eine erstaunliche Toleranz – nur „Langweiler“ duldete er nicht – und liebte das Gespräch in geselliger Runde. Aber er wußte sehr genau, daß er nur „eine Schreibe“, „keine Rede“, hatte, und daß er dazu neigte, sein Herz auf der Zunge zu tragen und Gegner frontal anzugehen. Kalkül und Intrige und Diplomatie waren ihm fremd. Das erklärt die erhebliche Zahl an Zerwürfnissen in seinem Leben – sogar mit dem hochverehrten „Meister“ Ernst Jünger über Jahre hinweg –, aber auch das Fehlen einer echten Kreis-Bildung. Mohler besaß nach eigener Aussage keine pädagogische Ader und wirkte nicht schulbildend. Allerdings hatte er Schüler.

Heinrich Meier war einer von ihnen. Bevor Mohler 1985 in den Ruhestand ging, rief er mich an und erzählte mir voller Genugtuung, daß die Siemens-Stiftung seinem Vorschlag für die Regelung der Nachfolge entsprochen habe und Meier an seine Stelle treten werde. Die Verbindung zwischen Mohler und Meier war damals nur Insidern bekannt und fand in der breiteren Öffentlichkeit auch später kaum Interesse. Das ist unschwer damit zu erklären, daß die Ausrichtung der Stiftungsarbeit eine andere wurde, das heißt ins Etablierte und ganz und gar Unanstößige ging. Zwar hatte auch Mohler keine „Carl-Schmitt-Akademie“ aufgebaut, wie gelegentlich unterstellt, aber ihm lag an Pointierung. Referenten für seine Vortragsveranstaltungen sollten fachlich ausgewiesen sein und eine klar umrissene Position vertreten.

Manchmal folgte er seiner Neigung zum Löcken wider den Stachel, wenn er etwa den Historiker Hellmut Diwald ausgerechnet in der Hochphase von Entspannungsseligkeit und Nationsvergessenheit einen Vortrag über Ernst Moritz Arndt halten ließ oder dem gerade von der katholischen Kirche mit Lehrverbot belegten Hans Küng vorschlug, seine Gedanken in der Stiftung zu präsentieren. Und selbstverständlich hat Mohler Wissenschaftler eingeladen, die ihm weltanschaulich nahestanden: die Soziologen Arnold Gehlen, Helmut Schelsky und Robert Hepp, den Ethnologen Wilhelm Mühlmann, die Psychologen Hans J. Eysenck und Peter Hofstätter, die Staatsrechtler Ernst Forsthoff, Ernst Rudolf Huber, Helmut Quaritsch und Josef Isensee, die Historiker Heinz Gollwitzer, Hans Erich Stier, Anton Mirko Koktanek, die Kunsthistoriker Hans Sedlmayr und Hubertus Schrade, die politischen Publizisten Gerhard Adler, Salcia Landmann, Paul Carell, Erik von Kuehnelt-Leddihn oder Otto von Habsburg, die Schriftsteller Ernst Wilhelm Eschmann, Gerd Gaiser und Albert Paris Gütersloh, an dem ihm wegen der Verbindung zu dem verehrten Heimito von Doderer besonders lag.

Aber von den etwa 500 Abendveranstaltungen, für die Mohler verantwortlich war, machten deren Auftritte keine zehn Prozent aus. An weltanschaulicher Engführung war er nie interessiert, sondern an einem möglichst niveauvollen und für die Hörer informativen Programm. Häufig lud Mohler Referenten ein, deren Fachgebiet ihm fremd war, ihn aber interessierte. Das galt für die Naturwissenschaftler, die seit dem Beginn der siebziger Jahre in wachsender Zahl auftraten, genauso wie für die Verfechter des neuen Konstruktivismus. Aufs Ganze gesehen war Mohlers Arbeit für die Stiftung außerordentlich erfolgreich, im Jahresdurchschnitt nahmen sieben- bis achttausend Personen an den verschiedenen Veranstaltungen teil. Ihm lag die Tätigkeit als „Kulturmanager“ durchaus, auch wenn er das „gesellschaftliche Klimbim“, das dazugehörte, als Zeitvergeudung empfand.

Wenn man einen deutlicher politischen Akzent in Mohlers Stiftungsarbeit nachweisen will, dann ist das nur in bezug auf einige Symposien möglich, die seit 1966 stattfanden. Das erste trug den Titel „Oswald Spenglers fortwirkende Gedanken“, dann folgten die Sondervortragsreihen, die in den siebziger Jahren begannen und deren Texte zuerst als dtv-Taschenbücher, dann als Serie bei Oldenbourg und zuletzt bei Ullstein-Propyläen erschienen. Ohne Zweifel waren Themen wie „Der Ernstfall“ – demonstrativ abgehalten an Carl Schmitts 90. Geburtstag –, „Die deutsche Neurose“ oder „Wirklichkeit als Tabu“ dem geschuldet, was Mohler als politisch relevant betrachtete, und das „Kursbuch der Weltanschauungen“, das als Ergebnis eines internen Arbeitskreises von Experten entstand, gehörte zu seinen Lieblingsprojekten. Aber auch da war von Abstrichen an der Qualität zugunsten von Parteilichkeit keine Rede. Vielmehr ergibt sich im Hinblick auf die Publikationen der Siemens-Stiftung bis 1985 ein imponierendes Bild, sobald man Zahl und Güte der Texte prüft.

Daß sich das Programm der Siemens-Stiftung nach seinem Rückzug veränderte, hat Mohler ebenso registriert wie das Bemühen Meiers, ihn unsichtbar werden zu lassen. Enttäuschung darüber war spürbar, aber auffällig auch, wie sehr Mohler um Verständnis für den Nachfolger und die gewandelten Umstände warb. Dafür, daß Meier seinen früheren politischen Ideen – nicht nur denen des siebzehnjährigen Heißsporns – abgeschworen hatte und sorgfältig darauf achtete, Anstoß zu vermeiden, ließ Mohler unkommentiert, obwohl er die wachsende Distanz selbstverständlich registrierte.

Alles Sachverhalte, die im Zusammenhang mit der nun gegen Heinrich Meier wie die Stiftung entfesselten Kampagne keine Entlastung für die Angegriffenen bedeuten. Was auch damit zu erklären ist, daß Meier offenbar versäumte, sein Haus zu bestellen wie Mohler es getan hat. Folgt man den Presseberichten, dann wurde ein Nachfolger per Headhunter gesucht, und so kam Marcel Lepper auf seinen Posten und tat, was er tat. Damit hat man in der Siemens-Stiftung nicht rechnen müssen, und sicher nicht damit, auf einen Mann zu setzen, den die linken „Gleichsetzungsdelirien“ (Rüdiger Safranski) umtreiben. Aber nun ist der Schaden angerichtet, und der Beobachter wartet gespannt, was man in München unternehmen wird, um ihn, wenn schon nicht gutzumachen, dann doch in seinem Ausmaß zu begrenzen.

Die Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung im Netz

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