Im Post-Corona-China geben sich die Promis die Klinke in die Hand: Im November war Olaf Scholz mit zwölf Topmanagern und dem Gastgeschenk eines 25-Prozent-Anteils am Hamburger Hafenterminal Tollerort (CTT) für die chinesische Staatsreederei Cosco gekommen. Im Dezember kam der wallonische Liberale und EU-Ratspräsident Charles Michel mit dem Privatflieger ins Reich der Mitte. Nach Ostern erschienen im Doppelpack Ursula von der Leyen und Emmanuel Macron – doch die angekündigte Darbietung der europäischen Einheit ging schief.
Die EU-Kommissionschefin wurde als Joe-Biden-Freundin protokollarisch am Pekinger Flughafen vom Umweltminister abgefertigt. Der französische Staatspräsident wurde mit einer Militärparade und stundenlangen Treffen mit Präsident Xi Jinping hofiert. Im eigenen Land verhaßt, bekundete Macron in seiner narzißtischen Eitelkeit in Interviews, die EU, für die er zu sprechen vorgab, wolle nicht ein Mitläufer und Vasall der USA sein: Die Taiwan-Frage solle von einer „Ein-China-Politik“ wie die europäische Integration friedlich „gelöst“ und nicht von „extremen US-Kräften“ eskaliert werden.
Brasiliens linker Präsident Lula mit einer Großdelegation empfangen
Das erfreute die aggressive Xi-Diktatur, die gerade Militärmanöver zur potentiellen See- und Luftblockade der demokratischen Inselnation veranstaltete. Dazu verkündete Macron sein Lieblingskonzept einer „strategischen Autonomie“ der EU und ihrer Rolle als „dritter Weltmacht“. Sprachloses Entsetzen auf EU-Seite, die nicht unabgesprochen nach seiner Pfeife tanzt. Französische Medien bewerteten Macrons Taiwan-Äußerungen als Ablenkungsmanöver von seinen innenpolitischen Renten-Kalamitäten. Der polnische Premier Mateusz Morawiecki flog daher zur Schadensbegrenzung nach Washington, denn republikanische Politiker drohten sofort: Wenn sich die Europäer von Taiwan verabschiedeten, dann könnten sie den Ukrainekrieg mit Rußland alleine ausfechten. Beifall kam hingegen von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und aus der AfD- und Linken-Fraktion.
Vorige Woche flog der brasilianische Präsident Lula da Silva mit einer Großdelegation und 200 Firmenvorständen zum Kotau nach Peking, um in 20 Abkommen Agrarprodukte gegen Elektroautowerke zu tauschen. Das Mercosur-Freihandelsabkommen mit der EU ist hingegen wegen französischer und österreichischer Blockaden weiter auf Eis. Die Sojaproduktion, angebaut auf ehemaligen Regenwald-Flächen, kann nun ungestört zur Schweinemast nach China gehen.
Während Josep Borrell, ein katalanischer Sozialist und seit 2019 EU-Außenbeauftragter, sich rechtzeitig coronapositiv meldete, flog die feministische Außenministerin Annalena Baerbock im Rahmen ihrer Ostasien-Visite aus dem grünen Büllerbü mannhaft nach China. Aber zu welchem Zweck? Sie kritisierte erwartbar die Pekinger Politik – doch Außenminister Qin Gang verbat sich während der einstündigen Pressekonferenz in der Hafenmetropole Tianjin, wo es vor dem Ersten Weltkrieg auch eine deutsche Enklave gab, grüne Menschenrechtslektionen: „Was China am wenigsten braucht, ist ein Lehrmeister aus dem Westen.“
Deutsche und chinesische Wirtschaftsvertreter setzen trotz der zunehmenden Konflikte weiter auf „Business as usual“: Bei der am Montag eröffneten Hannover-Messe kommt fast jeder vierte Aussteller aus China. Gleichzeitig investiert die von explodierenden Energiepreisen, CO2-Auflagen und hohen Arbeitskosten gepeinigte deutsche Exportwirtschaft mit 21 Milliarden Euro – allen voran BASF und VW – weiter unverdrossen Milliarden im Reich der Mitte. Damit wird die politisch eigentlich nicht länger gewollte Abhängigkeit weiter erhöht. Von Diversifizierung keine Spur: Nach neuesten Zahlen der Bundesbank investierten deutsche Firmen mit 11,5 Milliarden Euro in 2022 so viel neu in China wie nie zuvor. Zudem wurden die Daten für die Vorjahre stark nach oben revidiert.
Doch das dürfte zum politischen Problem werden: „Sollte es nach einem möglichen Einmarsch Chinas in Taiwan zu umfangreichen Sanktionen des Westens gegenüber China kommen, drohen aufgrund der hohen Importabhängigkeit nicht nur massive Engpässe bei vielen Zulieferungen“, warnte Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW-Kurzbericht 68/22). Bei „besonders exponierten deutschen Unternehmen könnte das dann absehbar kollabierende China-Geschäft durch Einbußen auf der Absatzseite möglicherweise sogar in die Pleite führen“, so der Leiter des IW-Clusters globale und regionale Märkte. Die Antwort vieler Firmen auf die geopolitischen Risiken scheine „mehr China zu sein und nicht weniger“. Die deutsche Politik müßte daher die staatlichen Investitionsgarantien „zeitnah abbauen“.
Chinesischer Exportüberschuß von 84,9 Milliarden Euro
Siegfried Russwurm, seit 2021 Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), bestätigte diese Strategie anläßlich der Hannover-Messe: Ja, es gebe Risiken, „aber ich sehe nicht, was besser laufen sollte, wenn man aus lauter Angst kein Geschäft mehr in China macht“, erklärte der ehemalige Siemens-Vorstand. Und Gunther Kegel, Präsident des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie, wurde noch deutlicher: „Wenn ich ein Produkt nur noch mit Rohmaterial aus Deutschland und Europa machen soll, scheitere ich“, so der Chef der Mannheimer Sensorik-Firma Pepperl+Fuchs. China ist Deutschlands wichtigster Lieferant: Von dort wurden 2022 Waren im Wert von 191,8 Milliarden Euro importiert. Aus den USA wurden nur Güter für 92 Milliarden Euro eingeführt.
Der chinesische Importüberschuß betrug 2022 84,9 Milliarden Euro – gegenüber der EU insgesamt sind es jährlich etwa 300 Milliarden Euro. China ist damit von den europäischen Märkten stärker abhängig als umgekehrt. Doch hat es Brüssel noch nie vermocht, dies in Verhandlungsstärke umzusetzen. Stattdessen haben sich die Chinesen bei unsicheren Kantonisten wie Griechenland, Ungarn und jetzt Frankreich in der EU-Außenpolitik politisch eingekauft. Immerhin gibt es nun eine Warnung des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI): Das Hamburger Terminal Tollerort zähle zur „kritischen Infrastruktur“ Deutschlands – ob das den Teilverkauf an China wirklich verhindert?
„China-Abhängigkeit deutscher Firmen steigt: Rekordinvestitionen“ (IW-Kurzbericht 24/23): www.iwkoeln.de