© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/23 / 21. April 2023

Der gehypten bayerischen Firma Lilium droht der Nasdaq-Rausschmiß
Riskante Flugtaxipläne
Thomas Kirchner

Einen Marktwert von nur noch 200 Millionen Dollar hat Lilium – ungefähr so viel, wie die bayerische Lufttaxi-Firma am Jahresanfang noch an Barmitteln hatte. Jetzt droht der Rauswurf von der US-Technologiebörse Nasdaq, weil der Kurs zu lange unter einem Dollar notierte. Innerhalb der nächsten 180 Tage muß die Aktie an zehn Tagen nacheinander über einem Dollar schließen, damit der Rauswurf verhindert wird – bei einem Kurs von 50 Cent unmöglich. Praktikabel ist nur eine Aktienzusammenlegung (Reverse Split), bei der eine neue für mehrere alte Aktien ausgegeben wird.

Lilium gehört wie Joby Aviation (Kalifornien/Bayern) zu jenen Projekten, die vertikales Abheben und Landen (VTOL) versprechen, meist mit Varianten von elektrischen Multikoptern. Als Mini-Drohne sind sie für Fotografen und Kinderspaß seit Jahren im Einsatz. Angesichts von 257 Millionen Euro an Mittelabflüssen 2022 wird Lilium ohne dramatische Änderungen das Jahresende nicht mehr erleben. Rettung könnte von den 640 Bestellungen kommen, die die Firma haben will. Dafür müssen in diesem Jahr Verträge unterzeichnet werden, wobei Anzahlungen in Höhe von 50 Prozent des Kaufpreises werden fällig – ein Crowdfunding im Industriemaßstab: 4,5 Millionen Dollar soll ein Lufttaxi kosten; 1,2 Milliarden könnten so zusammenkommen. 300 Millionen sollen bis zum ersten bemannten Flug 2024 anfallen. Dann wird erneut Kapital notwendig, bis zur Zulassung. Dann zur Serienproduktion nochmal – auf eine Milliarde dürfte sich der Kapitalbedarf summieren.

Selbst wenn alles wie am Schnürchen läuft, bleibt die Frage, ob es einen Markt für das Produkt gibt. Das US-Marine Corps nutzt seit 2006 die komplizierten Kipprotorflugzeuge V-22 Osprey von Bell-Boeing, ohne daß Bedarf für eine Zivilvariante entstand. Später kamen Navy, Air Force und Japans Streitkräfte hinzu. Ausgereifte klassische Hubschrauber dominieren weiter den zivilen wie militärischen Bereich. Selbst wenn die 2019 von CSU-Politikern gehypten E-Lufttaxis technisch möglich sind, ist fraglich, ob sie sich rentieren: Die Hersteller müssen genug Gewinn erwirtschaften, damit sich die hohen Investitionen lohnen. Außerdem gibt es Konkurrenz – auch Airbus und Boeing tüfteln an elektrifizierten Senkrechtstartern. Die beiden erfahrenen Branchenriesen haben allerdings den Vorteil, daß sie die enormen Entwicklungskosten aus der Portokasse finanzieren und Fehlschläge mit Achselzucken wegstecken können.

Rund 120 Millionen Euro hatte Lilium im Herbst 2022 bei Anlegern eingesammelt. Das half weiter, denn an der Börse haben verlus­treiche Technologie-Neugründungen derzeit keine Chance. Noch dazu, wenn sie wie Lilium mit Hilfe eines Börsenmantels (SPAC) an die Nasdaq kamen. Das war die Mode vor ein paar Jahren, ist aber heute ein Stigma. Kamen 2021 in der Spitze 623 SPACs mit 162 Milliarden Dollar an die Börse, waren es in diesem Jahr bisher nur elf mit knapp einer Milliarde. Seit 2009 liegt die Rendite der Börsengänge in allen SPAC-Branchen zwischen 25 und 95 Prozent im Minus. Der Elektromobilität ging es mit minus 80 Prozent noch besser als Lilium. Nur SPACs im Industriesektor liegen mit 21 Prozent Rendite im Plus. Crowdfunding klappt eben nicht für jeden. Die Münchner Sono Motors GmbH scheiterte nach sechs Jahren Geldverbrennung mit seinen hochfliegenden Plänen für das Solarauto Sion (JF 2/23).