© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/23 / 21. April 2023

Prosit für ein souveränes Europa
Frankreich: Präsident Emmanuel Macron träumt von einer Renaissance Europas
Friedrich-Thorsten Müller

Von demonstrativer Herzlichkeit war der erste Staatsbesuch eines französischen Präsidenten seit 23 Jahren in den Niederlanden geprägt. Dabei stattete Emmanuel Macron (Renaissance) nicht nur seinem „wirklich sehr guten Freund“, dem Regierungschef Mark Rutte (VVD), einen Besuch ab, sondern er nutzte auch die Gelegenheit, im Nexus-Forschungsinstitut eine europapolitische Grundsatzrede zu halten. Bei seiner zunächst von lautstarken Kritikern seiner Klima- und Rentenpolitik unterbrochenen Ansprache umriß er die aus seiner Sicht sinnvolle wirtschaftliche und politische Rolle der Europäischen Union. 

Nach seiner Auffassung müsse Europa einer Souveränitätsdoktrin folgen, die auf fünf Säulen beruht: Ihr erster Pfeiler sei dabei die Wettbewerbsfähigkeit Europas, die Voraussetzung dafür ist, die sozialen Errungenschaften der Europäischen Union zu bewahren. Dafür sei aber eine stärkere europäische Integration notwendig, damit sich kein Land den notwendigen Reformanstrengungen für globale Wettbewerbsfähigkeit entziehen könne.

Als zweite Säule sieht er die bisher verpönte „Industriepolitik“, die auch aus Sicherheitsgründen inzwischen unerläßlich sei, was die Vereinigten Staaten von Amerika und die Volksrepublik China – im Gegensatz zu Europa – längst verstanden hätten. Industriepolitik bedeute Schlüsseltechnologien, wie Microchips oder erneuerbare Energieerzeugungsanlagen, auf dem eigenen Territorium zu haben. 

Bei auch in Zukunft notwendigen Importen solle darüber hinaus zur Risikominimierung auf eine ausreichende Diversifizierung – die dritte Säule – geachtet werden. Eine einseitige Abhängigkeit, wie die im Energiesektor von russischem Gas, solle sich nicht mehr wiederholen. Deshalb sei neben der Energieeinsparung und den erneuerbaren Energien auch die Kernkraft in Europa unverzichtbar.

Dritter Souveränitätspfeiler sei die Sicherheit, der Schutz europäischer Interessen. Darum solle keine kritische Infrastruktur an außereuropäische Akteure verkauft werden. Auch soziale Medien müßten unter EU-Kontrolle stehen, da deren Mißbrauch demokratiegefährdend sei.

Die vierte Säule europäischer Politik sei das strikte Einfordern von „Wechselseitigkeit“ bei allen Handelsabkommen. Dabei müsse im Gegenzug für Marktzugang von jedem Handelspartner ein klarer Beitrag zum Schutz vor dem Klimawandel verlangt werden. Ohne diese Säulen seien solche Auflagen europäischen Firmen und Bürgern nicht zu vermitteln.

„Ein Verbündeter zu sein heißt nicht, ein Vasall zu sein“

Den letzten Pfeiler nannte Macron „Kooperation“, also eine Wiederbelebung der internationalen Zusammenarbeit „zur Absicherung unserer humanistischen, solidarischen und friedliebenden Werte“. Zusammen würden diese Maximen sicherstellen, daß Europa in einer multi- und nicht nur bipolaren Welt, mit den USA und China als Akteuren, eigenständig handeln könne.

Seine wenige Tage zuvor im Zusammenhang mit einer Chinareise geäußerte umstrittene Aufforderung an die Europäer, den USA in der Taiwanpolitik nicht bedingungslos zu folgen, wiederholte er dagegen in abgewandelter Form bei einem Termin in Amsterdam: „Ein Verbündeter zu sein heißt nicht, ein Vasall zu sein.“ Tatsächlich sieht Macron die Gefahr, daß wechselseitige Provokationen zwischen China und den USA an der Formosastraße in einen Krieg münden könnten. Eine bedingungslose Unterstützung Amerikas durch die Europäer, ohne Rücksicht auf chinesische Befindlichkeiten, könne diesen Konflikt befeuern.

Gastgeber Premierminister Mark Rutte, der dem französischen Präsidenten traditionell sehr nahesteht, stimmte Macron in den Fragen der strategischen Souveränität Europas betont zu: „Europa muß nicht Spielfeld internationaler Politik sein, sondern Spieler“, so Rutte in Amsterdam. Dies sei „keine Schwächung des Bündnisses mit den USA“, vielmehr sei man ein „zuverlässiger und fester Verbündeter der USA“, bemühte er sich, die Wogen zu glätten.

Auch Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire (Renaissance) hob im Rahmen der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington hervor, daß Europa ein verläßlicher – aber eben auch starker – Bündnispartner der USA sein wolle.

Im Hinblick auf die Kritik der französischen Opposition oder auch des Fraktionschefs der europäischen Konservativen, Manfred Weber (CSU), die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit den USA zu unterschätzen, stellte er klar, daß hier „viel Lärm um nichts gemacht“ werde. Macron habe diesen Standpunkt bereits seit Jahren vertreten. Auch der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel (Reformbewegung), stellte sich hinter die Forderung Macrons nach europäischer Eigenständigkeit.