Eine graue Wolke spuckt gerade wieder Schneegriesel in die Frühlingslandschaft. „Schneeglöckchen, Weißröckchen, wann kommst du geschneit, du wohnst in den Wolken …“ Das kleine Mädchen singt das Lied voller Inbrunst und trifft auch die richtigen Töne, wenn auch nicht die richtigen Silben.
Ihr größerer Bruder reibt sich die weißen Körnchen aus den Augen und deutet auf weiße Blumen, die büschelweise auf dem Rasen ihre Köpfe traurig senken: „Das sind Schneeglöckchen.“
Die Kleine läßt sich nicht beirren, trällert weiter und wirft ihrem Bruder böse Blicke zu. Der hat inzwischen lilafarbene Krokusse entdeckt und bestimmt diese ebenso richtig, wie auch die gelben Narzissen, die eine Anwohnerin gepflanzt hat. Quasi über Nacht ist die Natur explodiert. Überall blüht es. Die gerade noch kahlen Bäume haben sich plötzlich in bunte Farben gehüllt: weiß, zartrosa, rot. Und am Boden liegen auf dem braunen Laub des Vorjahres seltsame Wesen, die ekligen grauen Raupen gleichen. Es ist wieder die Tochter, die mutig eine der Formen mit spitzen Fingern aufhebt und ihrem Bruder mit einem „Hier“ in die Hand drückt. Der erschrickt: „Ihhhhhhh!“
Warum heißen Birkenkätzchen „Kätzchen“? Das sind doch gar keine Katzen.
Dann untersuchen die beiden das Etwas genauer und kommen zu der Ansicht, daß es harmlos und vor allem weich ist. „Das sind Birkenkätzchen“, sage ich. „Wieso Kätzchen?“, fragt der Junge. Das seien doch keine Kätzchen. „Das ist ein Kätzchen.“
Er deutet auf den braunen Kater, der interessiert einer hüpfenden Amsel nachschaut. Ich halte ihm ein Kätzchen in der offenen Hand hin.
„Streich mal vorsichtig drüber“, fordere ich ihn auf. Aber seine Schwester ist schneller. „Das ist ja ganz weich“, strahlt sie. „Eben“, sage ich, „wie wenn du ein Kätzchen streichelst“.
Der Rest des Nachmittags verläuft mit dem Entdecken weiterer „Kätzchen“ verschiedenster Bäume und dem Bestimmen von Frühlingsblühern – eine der Hausaufgaben, die die Lehrerin den Schülern der ersten Klasse gestellt hat. Maiglöckchen erkenne ich, Gänseblümchen natürlich ebenso, aber bei ein paar gelben Blüten muß ich kapitulieren und im Internet nach einer Antwort suchen. Es handelte sich um Winterlinge – nie gehört. Und dann natürlich die – Schneeflöckchen. Der Sohn stutzt. Aber seine Schwester singt schon wieder: „Schneeglöckchen, Weißröckchen“ und strahlt ihn boshaft an.