Vor 25 Jahren endete der Lebensweg eines Massenmörders, welcher stets das Licht der Öffentlichkeit scheute: Am 15. April 1998 starb der vormalige „Bruder Nr. 1“ der Roten Khmer, Pol Pot, in einem Dschungelcamp der maoistischen Gruppierung in der Provinz Anlong Veng an der kambodschanisch-thailändischen Grenze. Wenige Stunden zuvor hatte er erfahren, daß der neue Führer der Roten Khmer, Chhit Choeun alias Ta Mok (Großvater Fausthieb) alias „Bruder Nr. 3“, die Absicht hegte, ihn entweder an die USA oder die Regierung in Phnom Penh zu überstellen, womit Pol Pot ein Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozid drohte. Immerhin waren unter seiner Herrschaft, welche von April 1975 bis Januar 1979 währte, zwischen 1,6 und 3,1 Millionen Kambodschaner auf brutalste Weise massakriert oder dem Hungertod ausgesetzt worden. Deshalb erlag Pol Pot wohl auch keiner Herzschwäche, wie offiziell angegeben, sondern beging Suizid.
Maßgeblich inspiriert von Maos „Großem Sprung nach vorn“
Daß der „Bruder Nr. 3“ bereit gewesen war, den einstigen „Bruder Nr. 1“ auszuliefern, resultierte aus internen Machtkämpfen unter den Roten Khmer, in deren Verlauf Pol Pot ebenso brutal agierte wie bei der Vernichtung der „Menschen des 17. April“, also der städtischen Bevölkerung Kambodschas, die in seinem steinzeitkommunistischen Weltbild keinen Platz hatte. Zuletzt ließ er im Juni 1997 den militärischen Oberkommandierenden der Roten Khmer, Son Sen alias „Bruder 89“, mitsamt 13 Familienangehörigen erschießen. Das brachte dann freilich das Faß zum Überlaufen: In einem eilends inszenierten Schauprozeß wurde Pol Pot von seinen einstigen Kampfgefährten für diese Untat zu lebenslanger Haft verurteilt. Damit ging er natürlich auch aller Ämter verlustig. Dazu zählte insbesondere das des Ersten Sekretärs der Kommunistischen Partei Kampucheas beziehungsweise der Khmer – eine Position, für die Pol Pot eigentlich nicht sonderlich prädestiniert gewesen war.
Der Mann, der unzählige Menschen in Foltergefängnissen oder auf den „Killing Fields“ ermorden ließ, weil sie angeblich dem Bürgertum angehörten und damit der Entwicklung des Sozialismus im Wege standen, entstammte selbst einer durchaus wohlhabenden Bauernfamilie aus der Provinz Kampong Thom in der damaligen Kolonie Französisch-Indochina. Er wurde entweder 1925 oder 1928 als Saloth Sar geboren. Seine Kindheit verlief weitgehend normal, abgesehen von dem wiederholten Schulversagen, das letztlich nur eine nachfolgende Zimmermannslehre erlaubte. Dennoch erhielt Saloth Sar 1949 die Chance, in Frankreich zu studieren. Diese verspielte er jedoch, weil ihm das politische Engagement nun deutlich wichtiger erschien als universitäre Abschlüsse.
Der Exmatrikulation folgte 1952 die Rückkehr in die Heimat und der langsame, aber unaufhaltsame Aufstieg an die Spitze der noch im Untergrund kämpfenden Roten Khmer, in dessen Verlauf Pol Pot seine bizarren Visionen von der Zukunft Kambodschas entwickelte. Dabei stützte er sich ganz wesentlich auf die Ideen von Mao Tse-tung. Diesen lernte Pol Pot 1966 bei einem Aufenthalt in der Volksrepublik China kennen, als dort gerade die „Große Proletarische Kulturrevolution“ losbrach. Genauso inspirierend war für den späteren „Bruder Nr. 1“ aber auch der „Große Sprung nach vorn“, obwohl diese Kampagne zur Zwangskollektivierung der Landwirtschaft in Verbindung mit komplett verfehlten Infrastruktur- und Industrialisierungsprojekten zwischen 1959 und 1961 zu einer gigantischen Hungersnot in China geführt hatte, der möglicherweise bis zu 55 Millionen Menschen zum Opfer fielen.
Allerdings wären die Roten Khmer trotz ihres Rückhaltes in Peking wohl niemals ohne die unwillentliche parallele Schützenhilfe der USA an die Macht gelangt. Die anhaltenden Flächenbombardements der Operationsgebiete des Vietcong in Kambodscha durch die US-Luftwaffe während der Operationen „Menu“ und „Freedom Deal“ zwischen März 1969 und August 1973 führten zur Radikalisierung vieler entwurzelter Landbewohner, woraufhin diese sich der Guerillabewegung Pol Pots anschlossen, welche damit erheblich an Schlagkraft gewann. Das war Voraussetzung für die Eroberung von Phnom Penh am 17. April 1975, mit der die mörderische Terrorherrschaft der Roten Khmer begann.
Doch damit nicht genug: Nach dem Sturz von Pol Pots Regime durch eine erfolgreiche militärische Intervention des Nachbarlandes Vietnam im Januar 1979 sorgte Washington gemeinsam mit Peking dafür, daß Kambodscha bei den Vereinten Nationen weiterhin durch die Roten Khmer vertreten wurde – ein historisch beispielloser Vorgang, der als Affront gegenüber Vietnam und der Sowjetunion gedacht war. Erst 1981 revidierten die USA hier ihre Haltung aufgrund der weltweiten Empörung über diese Rückendeckung für Pol Pots Clique. Allerdings gab es bis 1991 weiterhin Formen der klandestinen Unterstützung durch die Regierungen von Carter, Reagan und Bush senior.
Auch anderenorts obsiegte im Ausland nicht nur der Abscheu gegenüber Pol Pot und seinen völkermordenden Roten Khmer. Vielmehr fand deren „soziales Experiment“ auch Zustimmung unter der extremen Linken im Westen. So richtete der Sekretär des Zentralkomitees des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW), Hans-Gerhart Schmierer, der 1978 Kambodscha besucht hatte, noch im April 1980 eine emphatische Solidaritätsadresse an Pol Pot. Derselbe Schmierer avancierte dann 1999 zum Mitarbeiter im Planungsstab des Auswärtigen Amtes unter dem Grünen Joschka Fischer sowie dessen Nachfolger Frank-Walter Steinmeier.