Vor 175 Jahren erfaßte im Februar 1848 eine revolutionäre Welle erst Frankreich, dann die Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes sowie weite Teil Süd- und Mitteleuropas. Der Autor Jörg Bong hat der deutschen Revolution von 1848/49 in seinem beim Kiepenheuer & Witsch Verlag veröffentlichen Buch „Die Flamme der Freiheit“ ein Denkmal gesetzt.
Bestseller-Autor Jörg Bong ist eigentlich nicht bekannt dafür, historische Sachbücher zu schreiben. Stattdessen jagt er eher seinen in die Bretagne versetzten Romanhelden Kommissar Dupin von einem Kriminalfall zum nächsten. Nun aber hat es ihn zu den Gefilden der deutschen Revolution von 1848/49 verschlagen, deren kämpferischen Geist er mit seinem neuen Buch neu anzufachen versucht.
Bong beginnt sein Buch mit einem klassischen szenischen Prolog, der den Leser sofort ins Jahr 1848 katapultiert: Angstgepeinigt von den Schrecken der Pariser Februarrevolution flüchtet der französische Bürgerkönig Louis-Philippe inkognito per Schiff nach England, das er nach stürmischer Überfahrt erreicht. Doch wie hat sich alles abgespielt? Was genau ist in Frankreich passiert? Wir erfahren es sofort. In kurzen, aber prägnanten Kapiteln umreißt Jörg Bong die wichtigsten Etappen der Februarrevolution in Frankreich, welche zur Initialzündung weiterer Revolutionen in Deutschland, Italien als auch dem Kaisertum Österreich wird.
Danach legt Bong den Fokus auf die deutsche Revolution. In den folgenden Kapiteln erzählt er die Vorgeschichte der deutschen Erhebung, wobei der Schwerpunkt auf Baden und Preußen liegt. Hierbei werden die historischen Protagonisten und ihre Gegenspieler wie Romancharaktere nach und nach in der historischen Handlung etabliert.
In Paris warten Tausende von deutschen Verbannten wie die Dichter Georg Herwegh und Heinrich Heine sehnsüchtig auf das Ende des Metternichschen Systems, das in Europa jegliche Freiheitsregung im Keim erstickt. Mit Freude erfahren sie vom Ausbruch der deutschen Revolution, die kurz nach dem Sturz Louis-Philippes erst das Großherzogtum Baden und schließlich ganz Deutschland erfaßt. Meist knicken die deutschen Fürsten angesichts der demonstrierenden Volksmassen sofort ein. Überall bilden sich liberale Märzministerien, welche die Karlsbader Beschlüsse aufheben und sofort Presse- und Versammlungsfreiheit gewähren. Einzig in Wien und Berlin kommt es zu blutigen Barrikadenkämpfen, die zum vorläufigen Sieg der revolutionären Bewegung führen.
Konflikt zwischen Liberalen und Radikaldemokraten herausgehoben
Doch die Revolutionäre sind gespalten: Die badischen Radikaldemokraten um Friedrich Hecker und Gustav Struve wollen eine deutsche Bundesrepublik errichten. Die Führer der konstitutionellen Liberalen, allen voran Heinrich von Gagern, streben ein geeintes, von Preußen geführtes Deutschland in Form einer konstitutionellen Monarchie an. Der Konflikt eskaliert Ende April 1848, als Hecker und Struve in Baden die Macht an sich zu reißen versuchen. Die Radikaldemokraten erleiden eine schwere Niederlage, womit Bong seine auf drei Bände angelegte Erzählung der Revolution von 1848/49 vorläufig beendet.
Die „Flamme der Freiheit“ ist kein Strohfeuer der Rebellion, sondern ein glühendes Manifest für eine wehrhafte Demokratie. Bong schreibt mitreißend. Sein Sachbuch ist spannend wie ein Roman und liefert trotzdem eine detaillierte Abhandlung der historischen Ereignisse. Dennoch wäre manchmal eine gewisse sachliche Distanz zum Gegenstand der Betrachtung wünschenswert gewesen. Die Trennung der Revolutionäre in Gut und Böse, die Verherrlichung der Radikaldemokraten sowie die gnadenlose Verdammung der Konstitutionellen sind die großen Schwächen seiner Schrift. Bei fortschreitender Lektüre entwickelt sich leider das Gefühl, einen Tendenzroman zu lesen.
Überspitzt formuliert sieht das etwa so aus: Die damaligen Demokraten sind bei Bong grundsätzlich gut, fehlerlos und Visionäre einer besseren Welt. Das Gute wird noch zusätzlich dadurch betont, daß sich starke, emanzipierte Frauen wie Louise Aston, Amalie Struve oder Emma Herwegh unter ihnen befinden. Von Gagern und seine Mitstreiter hingegen sind böse, alte weiße Männer: finster deutschnationale Fürstenknechte und die Totengräber der deutschen Revolution. Als solche trachten sie von Anfang an, die Demokraten zu vernichten, wie folgendes Zitat aus der Feder Bongs belegt: „Die Demokratie ist die junge Heldin der Geschichte. Neue politische Mächte und Ideologien beginnen sie zu jagen (…) Die alten jagen sie sowieso: die Monarchen und Klerikalen. Jetzt auch die Nationalisten, die finsteren Missionare des deutschen Wesens und Antijudaisten (…) sowie die Kommunisten und Anarchisten. Vor allem aber ihre unmittelbaren Konkurrenten um die Macht im Frühjahr 1848, die „Konstitutionellen …“
Das ist trivial, propagandistisch und klingt nach Bild-Zeitung. Abgesehen davon, daß viele Demokraten national gesinnt waren, „jagten“ die Konstitutionellen die Demokraten nicht, sonst hätten Robert Blum und die gemäßigten Demokraten nach dem Hecker-Struve-Aufstand wohl kaum weiter in der Paulskirche verweilen dürfen. Stattdessen versuchten die Konstitutionellen, ihre Vision von einer konstitutionellen Monarchie voranzutreiben, was für deutsche Verhältnisse bereits revolutionär war, und von der Masse des deutschen Volkes gewünscht wurde. Erst als die offene Konfrontation mit dem linken Flügel der Demokraten um Hecker und Struve unumgänglich wurde, eskalierte der Machtkampf, der mit einer verheerenden Niederlage der Radikaldemokraten endete. Das Zitat ist exemplarisch für den Geist, in dem das Buch geschrieben ist. Bongs oft einseitige Deutung des historischen Geschehens und seine manichäische Sichtweise auf die Revolution verdunkeln leider den Glanz seines sonst starken Werkes.
Forderungen der Paulskirche wurden später verwirklicht
Doch „Die Flamme der Freiheit“ ist nicht die einzige Publikation, die anläßlich des 175jährigen Jubiläums der 1848er Revolution an jene schicksalhafte Umbruchzeit erinnert. Im vergangenen Herbst veröffentlichte der Reclam Verlag „1848 – Erfolgsgeschichte einer gescheiterten Revolution“ der österreichischen Historikerin Alexandra Bleyer. Hier erhält der Leser eine kompakte, hervorragend geschriebene Abhandlung der deutschen Revolution von 1848/49. Stringent chronologisch, aber deswegen nicht minder spannend, schildert die Autorin die verschiedenen Phasen der Erhebung. Bleyer, die wie Bong auch Kriminalromane schreibt, erzählt spannend wie faktenreich. Ihre Bewertung der historischen Ereignisse überzeugt, was sich bereits im clever gewählten Buchtitel zeigt. Die Revolution von 1848 scheiterte zwar, schrieb jedoch später tatsächlich Erfolgsgeschichte. Viele der Forderungen der Paulskirche wurden Jahrzehnte später verwirklicht, sei es im Wilhelminischen Kaiserreich (nationale Einigung, preußisches Kaisertum) oder zu Zeiten der Weimarer Republik (allgemeines Wahlrecht, Reichsverfassung). Auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland fußt auf vielen Bestimmungen der Pauskirchenverfassung von 1849.
Einen anderen Gedächtnisbaustein der Frankfurter Paulskirche bietet das Buch „1848. Revolution in Berlin“ von Rüdiger Hachtmann, das Ende 2022 im Bebra Verlag erschienen ist. Im Gegensatz zu Bleyer und Bong konzentriert sich Rüdiger Hachtmann auf die revolutionären Geschehnisse in der preußischen Hauptstadt, die er als pars pro toto der 1848er Revolution erzählt. Der gut illustrierte Band bildet nicht nur die Märzkämpfe und die nachfolgenden Phasen der Revolution in Preußen ab, sondern zeigt auch, welche gesellschaftliche Dynamik die Revolution in Berlin entfesselte. Überall entstanden politische Klubs von Frauen und Männern. Arbeiterinnen debattierten plötzlich untereinander über Politik. Gesellen und Arbeiter begannen sich zu organisieren, während Streiks, Rebellionen und Tumulte die Stadt erschütterten und es zu einer Börsenpanik kam. Des weiteren gibt Hachtmann einen guten Überblick darüber, wie die Nachwelt von der Kaiserzeit bis heute die Märzrevolution würdigte und wie sich das Gedenken der Märzgefallenen gestaltete. Fazit: sehr lesenswert und Kitt für so manche Wissenslücke.
Jörg Bong: Die Flamme der Freiheit. Die deutsche Revolution 1848/1849. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022, gebunden, 560 Seiten, 29 Euro
Alexandra Bleyer: 1848. Erfolgsgeschichte einer gescheiterten Revolution. Philipp Reclam jun. Verlag, Ditzingen 2022, gebunden, 336 Seiten, Abbildungen, 26 Euro
Rüdiger Hachtmann: 1848. Revolution in Berlin. Bebra Verlag, Berlin 2022, gebunden, 240 Seiten, 26 Euro