© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/23 / 14. April 2023

Der Obergefreite und sein Welpe
Kino: Der österreichische Spielfilm „Der Fuchs“ schildert eine wahre Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg
Dietmar Mehrens

Eine wunderbare Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg, frei von politisch-korrekten Einordnungen und manipulativen ideologischen Bereinigungen, kommt diese Woche mit „Der Fuchs“ in die Kinos. Obwohl in dem Film Militärfahrzeuge durchaus eine wesentliche Rolle spielen, ist der Fuchs aus dem Titel keine Metapher, weder für Mensch noch für Militärgerät. Es handelt sich um die wahre Geschichte eines Obergefreiten, der in der Etappe während des Frankreichfeldzugs auf einen Fuchswelpen stößt und diesen vor dem sicheren Hungertod rettet. 

Beginnen läßt Adrian Goiginger die wahre Geschichte seines Urgroßvaters (der 2017 mit 100 Jahren starb) in seiner Heimat Österreich, genauer gesagt im Pinzgau, anno 1927. Der Filmemacher aus Salzburg schaut dort der Bauernfamilie Streitberger eine ganze Zeit beim Darben zu. Wie der berühmte Alm-Öhi aus Heidi bewohnt sie eine ärmliche Hütte in den Bergen und lebt jenseits des Existenzminimums. Durch kleine Gesten macht Goiginger deutlich, daß für den Jüngsten, Franz, nicht genug zu essen da ist. Es wird schwer für die kinderreiche Familie, den Jungen durchzubringen. Schließlich entscheidet sich sein Vater (Karl Markovics) dafür, Franz in die Obhut eines Großbauern zu geben, wo er in ein Leben als Hofknecht hineinwachsen soll. Vorteil: Es wird ihm dort an nichts fehlen.

Immer wieder kann er den Fuchs vor seinen Vorgesetzten verstecken  

Zehn Jahre später ist Franz zu einem stattlichen jungen Mann herangewachsen. Doch von seiner Familie einfach fortgegeben worden zu sein, das hat er nicht verwunden. Er verläßt den Hof seiner Knechtschaft und zieht nach Salzburg. „Was hindert Sie daran, Dienst fürs Vaterland zu leisten?“ wird er auf der Straße gefragt. Nichts, sagt sich Franz und läßt sich anwerben. Mit dem „Anschluß“ Österreichs wird er zum Angehörigen der Wehrmacht. Im Krieg wird der junge Soldat zunächst im Polenfeldzug eingesetzt. Schließlich landet er als Kradfahrer des Flakregiments 38 in Frankreich. Franz ist ein Typ, wie ihn Robert Seethaler in seinem umjubelten Roman „Ein ganzes Leben“ (2014) beschrieben hat: konzentriert auf die einfachen Grundbedingungen des Daseins, genügsam, introvertiert, einsilbig.

Der kleine Fuchs, dessen Mutter in einer Wildfalle verendet ist, wird zum Adressaten all der Zuwendung, die Franz, der zu kurz Gekommene, als Kind nicht bekam. „Ich denke, daß mein Uropa durch den Fuchs den Glauben an die Liebe wiedergefunden hat“, schildert Goiginger seine Motivation für den Film. „Als er als alter Mann anfing, von diesem Tier zu erzählen, wußte ich: Darüber muß ich einen Film machen! Es ist eine wunderbare Parabel darauf, was der Mensch sucht und was er hofft zu finden im Leben.“

Immer wieder kann Franz das „Füchserl“ vor seinen Vorgesetzten verstecken. Das Tier landet mit ihm in der Normandie. Selbst die liebenswerte Französin Marie (Adriane Gradziel), die Gefallen an dem grundsoliden Soldaten findet, dient ihm nur als Gehilfin bei der Fürsorge für den Fuchs. Bei ihr bleibt der Welpe zurück, als Franz zehn Tage Arrest aufgebrummt bekommt für unerlaubte Abwesenheit von der Truppe. Der Motorradkurier hatte einem Marschbefehl nicht sofort Folge geleistet, weil sein kleiner Racker weggelaufen war. Der Fuchs wird immer mehr zu einer Bedrohung für den Obergefreiten, dessen Prioritäten nicht denen eines Wehrmachtssoldaten entsprechen und der allen Ernstes zu glauben scheint, er könne mit einem wilden Tier im Gepäck in den Krieg ziehen. Und was soll eigentlich werden, wenn das Füchslein ausgewachsen ist?

Die deutsch-österreichische Koproduktion feierte im November 2022 Weltpremiere im Rahmen des Filmfestivals „Schwarze Nächte“ in Tallinn. Der Film beeindruckt durch seine stimmungsvoll-authentische Inszenierung und seine ungewöhnliche Hauptfigur, von dem 26jährigen Österreicher Simon Morzé äußerst glaubwürdig verkörpert. Morzé zog einen der Füchse, die im Film zu sehen sind, mit der Flasche sogar selbst groß. Einen Wermutstropfen allerdings gibt es: Die im Pinzgauer Dialekt gehaltenen Szenen, die die Kindheit des kleinen Franz schildern, sind ohne Untertitel nicht zu verstehen.