© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/23 / 14. April 2023

Zeitschriftenkritik: Diakrisis
Auf dem Weg zur Mensch-Maschine
Werner Olles

Seit Olaf Scholz öffentlich den Begriff „Zeitenwende“ ins Spiel brachte, ist dieses Wort überall präsent. Doch Zeitenwenden gab es schon immer, faktisch seit dem Beginn der Welt. Die von der Internationalen Konferenz Bekennender Gemeinschaften e.V. (IKBK/ICN) viermal jährlich herausgegebene Zeitschrift Diakrisis (Untertitel: Geistliche Orientierung für bekennende Christen) fragt deshalb in ihrer aktuellen Ausgabe (Nr. 1, März 2023) nach den Konstanten und Orientierungspunkten in Zeiten des Wandels. In seinem Leitartikel befaßt sich Harald Seubert unter anderem mit dem weltweiten Netz, das die Intelligenz und Konkurrenzfähigkeit des menschlichen Geistes zunächst noch weiter zu steigern schien, doch zugleich das unerfreuliche Gegenteil hervorbrachte: das Nachlassen der Urteilsfähigkeit und die zunehmende Durchsichtigkeit des Menschen angesichts der immens gesteigerten Rechnerleistungen der Algorithmen. „Das Netz weiß mitunter mehr von uns als die nächsten Freunde“, schreibt der Autor und zitiert die Perspektive des israelischen Ideenhistorikers Yuval Harari: „Wir werden zu Göttern!“ Harari sieht den Menschen als „hackbares Tier“, das zur Mensch-Maschine transformiert werden soll. Noch einen Schritt weiter geht Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums, der die „Verschmelzung unserer physischen, digitalen und biologischen Identität“ beschwört. Der Mensch soll zur Maschine werden, die beliebig programmierbar ist und auf Kommando der Big-Tech-Konzerne und Transhumanisten funktioniert, um ihn zu deren Gunsten auszunutzen und zu manipulieren. Obwohl Seubert die Gefahr sieht, daß wir uns damit den Robotern annähern und nicht umgekehrt, plädiert er für eine nüchtern abwägende Analyse der Lage und eine Gesellschaft, die sowohl epistemologisch als auch kritik- und selbstkritikfähig sein müsse.

Ralf Schulers Buch „Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde“ zeigt indes die große Gefahr, die sich für ein Land ergibt, das seine Diskursfähigkeit verliert und politische Fragen gleichsam zum quasireligiösen Dogma überhöht. Zwar sei dies kein neuer Vorgang, merkt der Rezensent an, aber interessant sei, daß sich die Mitläufer und Gleichschalter selbst für besonders kritisch, differenziert und intellektuell hielten. ­Adornos scharfer Medienkritik sei zuzustimmen: „Das Gefälschte und Schlechte zieht magnetisch seine Verteidiger an, und noch die Subalternsten werden scharfsinnig weit über ihre geistigen Verhältnisse hinaus, wenn sie Argumente suchen für das, wovon sie im Innersten selber wissen, wie unwahr es ist.“

Ein weiterer Beitrag beschäftigt sich mit ­Helmuth James von Moltke: „Glaube als Widerstand“ (­Thierry Wey).

Kontakt: Diakrisis, c/o Andreas Späth, Postfach 1131, 91502 ­Ansbach. Ein Jahresabo kostet 12 Euro.

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