© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/23 / 14. April 2023

Intellektuellenzirkel werben für den europäischen Islam
Unkultivierte Formen überwinden
(dg)

Nach einer Hochrechnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge leben nur 3,5 Prozent der 5,3 bis 5,6 Millionen Muslime in Deutschland in den neuen Bundesländern. Für den Oberkirchenrat Andreas Herrmann vom Referat Interreligiöser Dialog im Kirchenamt der EKD dämpft diese Zahl ein wenig die Hoffnung, überall verbesserten sich durch „Integration, Teilhabe, Kooperation“ Entstehungsbedingungen für den deutschen wie europäischen Islam. Ansonsten jedoch freut sich der Protestant Herrmann: „Der Islam verändert Europa, aber Europa verändert auch den Islam.“ Letzteres ist für seinen Glaubensbruder Rüdiger Braun, Referent in der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin, keineswegs ausgemacht. Vor allem französische Religionsphilosophen mit muslimischem Migrationshintergrund wie Abdennour Bidar propagieren zwar, in Europa, dem einzigen wirklichen säkularen Raum in der Welt, wo dies möglich sei, könnte der Islam als Religion sogar überwunden werden. Ein solcher „Self Islam“ stellt es jedem Muslim frei, individuell-selbstbestimmt der Religion und Kultur des Islam anzuhängen. Von diesem „nicht-religiösen“ Deutungsangebot inspiriert, verändere sich der Islam in Europa, und er sei tatsächlich in die wohl heterogenste Epoche muslimischer Koranexegese seit 1.400 Jahren eingetreten. Ob seine elitäre Akademisierung sich gegen die von den Massen der Gläubigen gelebten „unkultivierten Formen“ (Islamismus, Salafismus) durchsetzt, entscheidet sich für Braun allerdings erst, sobald islamische Theologen nach der Unmittelbarkeit der Offenbarung des Koran zu fragen wagen (zeitzeichen, 2/2023). 


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