Rund 2.000 deutsche Firmen, so schätzt die Außenhandelskammer der Ukraine, waren 2021 in dem Land ansässig. Bis zum Kriegsausbruch im Februar 2022 war die Ukraine ein prosperierender Markt, heute ist dieser größtenteils zerstört. Betroffen sind nicht nur die Infrastruktur wie Straßen und Bahnschienen, Kliniken, sondern auch Wohnhäuser und Fabriken. Millionen Menschen mußten fliehen. Mitten in diesem Chaos, zwischen Panzerschlachten und Bombardierungen, arbeiten jedoch weiterhin deutsche Unternehmer und ihre Mitarbeiter. Einer von ihnen ist der 43jährige Knuth Rüffer.
„Kein Ukrainer wollte glauben, daß es zum Krieg kommt“, sagt Rüffer. Der gelernte Fachinformatiker und studierte Betriebswirt hat eine IT-Agentur in Achim bei Bremen. Auf Einladung des Forums Mittelstand schildert er seine Einschätzung der Situation in der Ukraine. Für Rüffer arbeiten 85 Angestellte und Softwareentwickler an den Standorten Lemberg und Kiew. Sein erstes Büro in der Ukraine eröffnete er 2015. „Der Grund ist einfach“, sagt er. „Als ich 2014 meinen Busineßplan erarbeitete, stellte ich fest, daß es in Deutschland 27.000 offene IT-Stellen gab, und das heißt: Personalmangel. In der Ukraine jedoch leben viele junge Menschen, hervorragend ausgebildet, naturwissenschaftlich begabt, und ITler sprechen fast alle Englisch.“
Der Grund, in die Ukraine zu gehen, war für Rüffer also nicht finanzieller Natur, denn dort verdienen Programmierer fast genausoviel wie in Deutschland, sagt er, „ausschlaggebend für meine Entscheidung war die Skalierbarkeit“. Daher stammt auch der Name seiner Firma: Scalors GmbH. Gemeint ist damit in der Betriebswirtschaft Größenveränderung. Rüffer kann innerhalb von 14 Tagen, so sagt er, acht Entwickler für ein Projekt auf die Beine stellen. „In Deutschland wäre so etwas, sowohl wegen des Personalmangels als auch wegen der Kündigungsfristen gar nicht möglich.“
Anfang 2021 begann Putin, Truppen in den Grenzregionen zu sammeln. Obwohl seit November 2021 in der Ostukraine starke Truppenbewegungen stattfanden, wollte Rüffer immer noch nicht glauben, daß es zu einem Krieg kommen könnte. Wenn ihn Kunden fragten, ob es dort sicher sei, wenn er für sie weiterhin elementare Teile ihrer IT in Kiew entwickeln ließ, antwortete er: „Wenn Kiew angegriffen wird, dann haben wir in Europa ein ganz anderes Problem.“ Rüffer wirkt selbstsicher wie ein Baum. Kahlgeschorener Schädel, schwarzer Anzug, er schaut oftmals etwas grimmig. Daß er sich im Osten durchsetzen kann, glaubt man sofort, wenn man ihn sieht. Eine Eigenschaft, die jeder Unternehmer, der in der Ukraine investiert, haben sollte. Immerhin belegt sie im Korruptionsindex von Transparency International Platz 122 von insgesamt 180, in Europa bietet übrigens nur Rußland ein noch miserableres Bild.
„Die US-Amerikaner kaufen jetzt schon ukrainische Firmen auf“
Ein Jahr später eskalierte die Lage. Am 21. Februar 2022 erkannte Rußland die Unabhängigkeit der unter seinem eigenen Einfluß stehenden „Volksrepubliken Donezk und Lugansk“ an. Dann, am 24. Februar 2022, griffen russische Truppen die Ukraine an. Das Auswärtige Amt hatte Deutsche vorab gewarnt. „Sofort raus, stand auf dem Portal im Internet“, erinnert sich Rüffer. „Erste Airlines strichen die ersten Flüge. Die Preise stiegen um 1.000 Prozent. Am 13. Februar bin ich dann mit der Lufthansa rausgeflogen.“ Seine Mitarbeiter hatten schon frühzeitig Reisepässe beantragt, schließlich gilt seit 2017 Visumspflicht, „und wir hatten eine Notfallkette organisiert“. Rüffer hatte seinen Wagen – wie er formuliert – „als Backup vor Ort gelassen“. Kollegen von ihm sind dann mit dem Auto geflohen, „wir haben sie dann an der Grenze nach Polen abgeholt“, so Rüffer. Tausende Frauen und Kinder kamen den Deutschen entgegen. Bilder, die ihn an die Flüchtlingstrecks der Deutschen im Zweiten. Weltkrieg erinnerten. „Ich habe mich auf der Fahrt aber immer wieder gefragt, ob ich überhaupt noch ein Unternehmen habe“, sagt Rüffer. Er hatte es noch. Das Bürogebäude war nicht zerstört. Die Mitarbeiter waren unverletzt, trotz der Luftangriffe. In dieser Situation war die Corona-Isolation ein Geschenk, sagt er rückblickend. Homeoffice und Teams-Sitzungen gehörten schließlich während der Pandemie seit Monaten zum Alltag. Die Routine kam ihm und seinen Mitarbeitern gelegen.
„Wir hielten Videokonferenzen ab, meine Mitarbeiter schalteten sich aus Luftschutzbunkern oder U-Bahntunneln zu. Wir hatten gleitende Arbeitszeiten – immer, wenn wieder Strom da war.“
Seit einem Jahr arbeiten Rüffer und seine Leute so. Laut der Nachrichtenagentur Reuters sind mindestens 42.295 Menschen getötet worden, ermordet oder gefallen, 59.000 verletzt. 15.000 Menschen sind vermißt gemeldet, 14 Millionen geflüchtet. 140.000 Gebäude sind zerstört, ein Eigentumsschaden von 411 Milliarden US Dollar. Der Wiederaufbau wird Milliarden kosten. Doch wer soll ihn bewerkstelligen?
Insgesamt stellten die 2.000 deutschen Firmen 50.000 Arbeitsplätze. Auf der Rangliste der Außenhandelspartner Deutschlands lag die Ukraine 2021 bei der Deutschen Ausfuhr auf Platz 41, bei der Einfuhr auf Platz 44. Der gesamte Warenverkehr zwischen Deutschland und der Ukraine lag im Jahr 2021 bei 8,5 Milliarden Euro. „Die deutschen Einfuhren verbesserten sich um 22,9 Prozent auf 3,1 Milliarden Euro. Gleichzeitig verbesserten sich auch die deutschen Ausfuhren um 17,3 Prozent auf 5,4 Milliarden Euro“, so die ukrainische Außenhandelskammer. Es wird Jahre dauern, um diese Wirtschaftszahlen wieder zu erreichen.
Doch dieser Krieg belastet nicht nur die Ukraine, er hat fatale Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Steigende Energie- und Lebensmittelpreise, steigende Inflation und sinkendes Wachstum sind die Folgen. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft schätzte schon 2022, daß der Krieg die Weltwirtschaft deutlich über 1,5 Billionen Euro kosten würde. Deutschland ist davon besonders betroffen. Denn die steigenden Preise führen zu einem Rückgang des Konsums und der Investitionen.
Am Ende haftet der deutsche Steuerzahler
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) reiste Anfang April 2023 nach Kiew. Er wolle gute Investitionsbedingungen schaffen. Pflichtschuldig referierten darüber die Medien. Unter anderem sicherte Habeck den Firmen eine Investitionsgarantie zu. Heißt: „Sollte das Fabrikgebäude zerstört werden, etwa durch Raketenangriffe, garantiert oder haftet der Deutsche Staat“, so Habeck. Damit meinte er natürlich den deutschen Steuerzahler. Statt ins eigene Land zu investieren, in die maroden Schulen, Straßen, ins Gesundheitssystem zum Beispiel, werden von Deutschen mühsam erarbeitete Milliarden in ein anderes Land gepumpt und Schulden aufgenommen, die noch Kinder und Enkelkinder abzahlen müssen.
Dabei räumte Habeck selbst ein: „Das machen wir normalerweise nicht. Wir können nicht Investitionen in ein Kriegsgebiet absichern. Wenn das zerschossen wird, ist das Risiko zu hoch. Aber hier tun wir das.“ Laut der Deutschen Presse-Agentur sichere die Bundesregierung derzeit 21 Investitionsgarantien mit einer Kapitaldeckung von insgesamt 221 Millionen Euro in der Ukraine ab. Drei Garantien seien seit dem Krieg gegeben worden, 21 Anträge seien derzeit noch offen. Mit 144,2 Millionen Euro sichere die Bundesregierung darüber hinaus deutsche Exporte in die Ukraine ab.
„Als Signal für die Ukraine, vielleicht auch als Symbolpolitik, ist das sogar gut“, sagt Rüffer. „Aber ansonsten finde ich diese Entscheidung schwierig. Denn das unternehmerische Risiko wird auf den deutschen Steuerzahler umgelegt. Eine Bank würde mir jedenfalls keinen Kredit geben, wenn ich ohne Bürgschaft mitten im Kriegsgebiet etwas bauen wollte.“ Doch welche Motivation könnte Habeck haben? Rüffer vermutet die Idee der Marktsicherung dahinter.
„Die US-Amerikaner kaufen jetzt schon ukrainische Firmen auf, übrigens auch die Chinesen. Sollte die Ukraine nach dem Krieg Teil der EU werden, dann wäre es nur gut, schnell dort zu investieren.“ Rüffer sieht zwei weitere Faktoren, die Deutschland einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen könnten. „Erstens die deutschen Firmen, die während des Krieges im Land geblieben sind. Sie könnten als eine Art Schnittstelle zwischen Deutschland und der Ukraine fungieren und beim Wiederaufbau helfen.“ Ebenfalls als Chance sieht er die nach Deutschland geflüchteten Ukrainerinnen. „Viele haben hier einen Job bekommen, sprechen unsere Sprache.“ Rüffer denkt, daß viele von ihnen wieder in ihre Heimat zurückkehren werden. „Diese Menschen sind ein Riesenpotential, was genützt werden sollte.“