© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/23 / 14. April 2023

Von der Investitionsunion zur Umverteilungsagentur
EU-Politik: Das Institut der deutschen Wirtschaft fordert „Delors-Plan 2.0“ / Eine Antwort auf die globalen Herausforderungen China und USA?
Joachim Starbatty

Das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat eine Antwort der EU auf den Systemwettbewerb mit den USA und auf den Systemkonflikt mit China skizziert. Der IW-Direktor Michael Hüther plädiert dabei mit seinen Referenten Simon Gerards Iglesias und Melinda Fremerey sowie Sandra Parthie, Leiterin des Brüsseler IW-Büros, für eine Vertiefung der europäischen Integration. Bei der Verteidigungs-, Finanzierungs- und Investitionsarchitektur müßten nun neue Wege beschritten werden. Er konzentriert sich vor allem auf die Schaffung einer Investitionsunion, denn die EU müsse „eine gemeinsame Antwort zur Erhaltung und Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit finden und diese in ihren Politiken sowie Instrumenten verankern“.

Zwar ist der medial aktive Ökonomieprofessor Hüther nicht das Sprachrohr der gesamten deutschen Wirtschaft, doch das privat organisierte IW ist ein eingetragener Verein. Und dessen Mitglieder sind rund hundert Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände Deutschlands sowie Einzelunternehmen, die durch Beiträge in Höhe von jährlich zwölf Millionen Euro die wissenschaftliche und publizistische IW-Arbeit finanzieren. Daher wird Hüther einerseits deren Interessen in seinen Überlegungen berücksichtigen und sie andererseits von seinem Konzept überzeugen wollen. Das trägt den historisch-programmatischen Titel „Europa muß den nächsten Schritt wagen: Delors-Plan 2.0“ (IW-Policy Paper 4/23).

Der Europäische Rat hatte im Juni 1988 den Kommissionspräsidenten Jacques Delors – einen französischen Sozialisten und früheren Wirtschaftsminister von François Mitterrand – beauftragt, zusammen mit dem Niederländer Wim Duisenberg, dem damaligen Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, den seinerzeit zwölf Zentralbanken der Europäischen Gemeinschaft (EG) sowie weiteren Sachverständigen einen Stufenplan für eine Europäische Wirtschafts- und Währungsunion auszuarbeiten.

Die EG sollte so auf eine höhere Integrationsstufe gehoben werden, wobei die Mitgliedstaaten auf ihre geld- und währungspolitische Souveränität zugunsten einer Europäischen Zentralbank verzichteten. Dieser „Delors-Plan“ wurde im April 1989 vorgelegt und mündete schließlich 1992 in den Vertrag von Maastricht und 1998 in den Beschluß zur Einführung der Gemeinschaftswährung Euro. Doch das hat nicht Wachstum und Stabilität gefördert, sondern die Euro-Zone gespalten, weil die südlichen Mitgliedstaaten verlorengegangene Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr durch Abwertungen ihrer nationalen Währung kompensieren konnten. Weil ungleiche Partner zusammengebunden wurden, war das Abrutschen der Euro-Zone in eine Haftungsunion die politische Konsequenz. Entsprechend muß bei Hüthers „Delors-Plan 2.0“ geprüft werden, was gewollt ist und was sich nach bisherigen Erfahrungen ergeben könnte.

Bündelung und Fokussierung internationaler Großinvestitionen?

Im Zentrum des „Delors-Plans 2.0“ steht eine neue Investitionsarchitektur, damit die EU als Investitionsstandort wieder attraktiver werde; doch will Hüther nicht einfach Kompetenzen in Brüssel bündeln. Der von Mitgliedern des EU-Parlaments regelmäßig erhobenen Forderung nach „mehr Europa“ kann er nichts abgewinnen, da der daraus resultierende punktuelle Interventionismus meist die Wirtschaft belästige; komplizierte Vorschriften würden überdies deren Produktivitätsentwicklung behindern. Auch Hüthers Vorstellung, daß das Subsidiaritätsprinzip aus politischen Gründen beiseite geschoben würde, ist zutreffend. Die EU-Parlamentarier wollen möglichst viele Sachverhalte vergemeinschaften, weil so auch dem EU-Parlament neue Kompetenzen zuteil würden.

In der von Hüther gewollten Investitionsunion geht es um die Bündelung und Fokussierung grenzüberschreitender Großinvestitionen, damit die EU in strategischen Bereichen zukunftsorientiert handeln könne und so zum weltweit führenden Ort für Produktion und Innovation werde. Diese Konzeption entspricht nicht der ordnungspolitischen Ausrichtung, über Wettbewerb und passende Rahmenbedingungen für Innovationskraft und internationale Konkurrenzfähigkeit zu sorgen, sondern der französischen Version europäischer Industriepolitik. Sie will in einer zukunftsorientierten Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft die europäische Wettbewerbsfähigkeit steigern. Da werden auch staatliche Finanzmittel eingesetzt. Das jüngst gemeinsam von Emmanuel Macron und Olaf Scholz präsentierte Konzept zur Zukunft der EU atmet diesen Geist. Damit ist der Kanzler auf die französische Linie eingeschwenkt.

Hüthers Investitionsunion kann auf EU-Geld nicht verzichten. Die großen Aufgaben, vor denen die EU stehe, könnten gemeistert werden, wenn Brüsseler Finanzmittel auf die strategische Resilienz fokussiert würden. Diese Mittel könnten durch die volle Ausschöpfung des 750-Milliarden-Fonds „NextGeneration EU“ (NGEU) generiert werden. Die Vollendung einer Banken- und Kapitalmarkt­union und die Fortentwicklung makroökonomischer Stabilisierungsinstrumente gegen Arbeitslosigkeit, was auf eine EU-Arbeitslosenversicherung hinausläuft, sollen die EU-Investitionsunion absichern: ein weiterer Schritt in die Haftungsunion.

Zusätzlich benötigte Gelder könnten auch über eine NGEU-Wiederauflage aufgebracht werden – also über eine Aufstockung der gemeinsamen Haftung. „Europa muß finanziert werden, wo es uns etwas wert ist“, argumentiert Hüther, „Angst und Zauderei sind fehl am Platze“. Er räumt freilich ein: Bekäme der NGEU einen Nachfolger, müßte er klar von einer Transfer- und Haftungsunion abgegrenzt werden. Wer mit der Brüsseler Praxis vertraut ist, sieht schon Kommission, Parlament und Mitgliedstaaten am Werk, um aus der Investitionsunion eine Umverteilungsagentur zu machen.






Prof. Dr. Joachim Starbatty ist Ökonom. Er war Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft und EU-Abgeordneter.

Studie „Europa muß den nächsten Schritt wagen: Delors-Plan 2.0“ (IW-Policy Paper 4/23):

 www.iwkoeln.de/studien.html