Hans Maršálek war Widerstandskämpfer in Prag und Wien, Oberpolizeirat, Hofrat, langjähriger Leiter der KZ-Gedenkstätte Mauthausen und Ehrendoktor der Universität Linz. Der „Wiener Tscheche“ (Selbstbezeichnung) wurde für seine „Verdienste um die Befreiung Österreichs“ mehrfach hoch geehrt. Und mit dem „Hans Maršálek-Preis“ werden seit 2015 Leistungen im Bereich der Gedenk-, Erinnerungs- und Bewußtseinsarbeit ausgezeichnet. Nach seinem Enkel Jan Maršálek – Schulabbrecher, IT-Experte, und zehn Jahre Vorstandsmitglied beim Finanzdienstleister Wirecard – wird hingegen seit 2020 wegen „eines besonders schweren Falls der Untreue und des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs“ international gefahndet.
Er wird verdächtigt, spätestens ab 2015 „zusammen mit dem ebenfalls Beschuldigten Dr. Braun die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen der Wirecard AG durch Aufnahme von vorgetäuschten Einnahmen aus Zahlungsabwicklungen im Zusammenhang mit Geschäften mit sogenannten Third-Party-Acquirern (TPA) aufgebläht zu haben, um so das Unternehmen finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver darzustellen“, so heißt es auf der Fahndungsseite des Bundeskriminalamts (BKA). Banken und Investoren „stellten, durch die falschen Jahresabschlüsse getäuscht, Gelder in Höhe von rund 3,2 Milliarden Euro bereit, die aufgrund der Insolvenz der Wirecard AG höchstwahrscheinlich weitgehend verloren sind“.
Ob sich Jan Maršálek mit seinen verschiedenen Pässen in Rußland oder in Asien – wo Wirecard angeblich Milliarden umsetzte – aufhält, wissen weder BKA, Interpol noch das Polizeipräsidium München oder die Staatsanwaltschaft München I. Maršáleks Helfershelfer spüren hingegen die Konsequenzen ihres Tuns oder Unterlassens. So ist der Österreicher Markus Braun – von 2002 bis zur Pleite Wirecard-Vorstandschef – seit Juli 2020 in bayrischer Untersuchungshaft. Sein Prozeß läuft seit Dezember in München. Auch für die Wirecard-Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young (EY) wurde es ernst: Die Abschlußprüferaufsichtsstelle (Apas) beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle hat vor Ostern ein teilweises Wettbewerbsverbot ausgesprochen worden.
Prüfer hatten jahrelang Hinweise auf möglichen Betrug ignoriert
Zwei Jahre lang darf EY keine Neumandate für die gesetzliche Bilanzprüfung von Unternehmen mit öffentlichem Interesse übernehmen. Das schließt Dax-Konzerne ein. Hinzu kommt eine Geldstrafe in Höhe von 500.000 Euro. Fünf Prüfer werden persönlich mit Geldstrafen zwischen 23.000 und 300.000 Euro zur Verantwortung gezogen. Laut Handelsblatt gilt dabei die höchste Strafe dem Ex-Deutschlandchef von EY, Hubert Barth. Die Apas hatte die Wirecard-Jahresabschlüsse der Jahre 2016 bis 2018 untersucht und dabei diverse Berufspflichtverletzungen festgestellt. EY hatte als Abschlußprüfer ein Jahrzehnt lang die Bilanzen von Wirecard geprüft, keine Ungereimtheiten entdeckt und bis hin zum Jahr 2018 uneingeschränkt testiert.
Dazu zählt, daß die EY-Prüfer jahrelang Hinweise auf möglichen Betrug übersahen. So wurde eine Untersuchung zu einem fragwürdigen Firmenkauf in Indien gestoppt, obwohl ein EY-Forensiker intern Alarm geschlagen hatte. Obwohl Prüfer dem Wirecard-Vorstand mit einer Testatverweigerung gedroht hatten, wurde kurz danach die Bilanz ohne Beanstandung und ohne die zuvor geforderten Belege bestätigt. Dennoch ließ die Apas etwas „Milde“ walten: Bereits bestehende EY-Prüfungsmandate dürfen weitergeführt werden. Aktuell verfügt EY im Dax noch über acht Prüfmandate, darunter VW und die Deutsche Bank. Auch Mittelständler und der Privatsektor werden von dem Apas-Verbot nicht tangiert.
Die gezogenen Konsequenzen sind in Europa bislang einmalig. Der Apas-Beschluß ist wegen der Widerspruchsmöglichkeiten allerdings noch nicht wirksam. Denn nach dem Einspruch ist auch eine gerichtliche Überprüfung vor dem Landgericht Berlin möglich, und letztlich könnte EY auch vor den Bundesgerichtshof ziehen. Sieben EY-Prüfer hatten sich den berufsrechtlichen Disziplinarverfahren durch die Rückgabe ihrer Lizenzen clever entzogen: Die Apas ist nur für aktive Wirtschaftsprüfer zuständig. Auch Ex-Apas-Chef Ralf Bose ist seit 2020 nicht mehr im Amt. Er soll mit Wirecard-Aktien gehandelt haben, als bereits Berichte über Bilanzmanipulationen kursierten. Höhepunkt war dabei sein privater Aktienverkauf vor dem Tag, an dem die Finanzaufsichtsbehörde Bafin die Apas über das Ergebnis des Wirecard Sonderberichts des EY-Konkurrenten KPMG informierte.
Während EY global weiter Milliardenumsätze mit Abschlußprüfung und Unternehmensberatung macht, ist die Deutschland-Abteilung nun kleinlaut: „Wir bedauern, daß der kollusive Betrug bei Wirecard nicht früher aufgedeckt wurde, und wir haben wichtige Lehren aus dem Fall gezogen“, heißt es von der EY-Presseabteilung. Es gebe Maßnahmen, die die Prüfungsqualität und das Risikomanagement stärken. Zudem seien neueste Technologien implementiert worden, welche die Bewertung von Betrugsrisiken verbessern und die Beurteilung von Betrugsrisiken stärken würden. Doch das dürfte nicht reichen – der EY-Marktanteil dürfte zumindest in Deutschland einbrechen. Derzeit teilen sich PwC, Deloitte, KPMG und EY die lukrative Prüfung der Dax-40-Unternehmen praktisch „brüderlich“ unter sich auf.
Außerdem dürfte sich die einst große Zugkraft als attraktiver Arbeitgeber erheblich abschwächen. Zwar hat die Apas-Entscheidung keine rechtliche Bindungswirkung, aber sie dürfte indirekte Auswirkungen auf die zahlreichen Schadensersatzklagen von Anlegern, Banken und dem Wirecard-Insolvenzverwalter haben. Tausende geprellte Wirecard-Aktionäre, die gegen EY klagen, werfen den Prüfern vorsätzliches Handeln vor. Sollten Gerichte dieser Argumentation folgen, könnten erhebliche Schadensersatzansprüche auf EY zukommen. Für die Anleger besteht Zeitdruck. Die Verjährung von Ansprüchen ist auf das Jahresende 2023 datiert.
Entscheidung der „Berufsaufsicht“ in Sachen Wirecard: