Überfüllte Züge, frustrierte Pendler, Zugräumungen, zurückgelassene Fahrgäste, kein Platz für Kinderwagen, Rollstühle und Fahrräder – das 9-Euro-Ticket stürzte den ÖPNV in den drei Sommermonaten 2022 auf hochbelasteten Strecken ins Chaos. Die Fahrgastzahl gegenüber dem Corona-Jahr 2021 stieg um 29 Prozent auf fast 10,2 Milliarden. Doch trotz der 52 Millionen verkauften 9-Euro-Tickets und 2,5 Milliarden Euro an Steuergeld für die Einnahmeausfälle bei den Verkehrsbetrieben waren es dennoch 14 Prozent weniger Fahrgäste als 2019, wie das Statistische Bundesamt vorrechnete. Das ab 1. Mai nutzbare 49-Euro-Deutschlandticket dürfte noch weniger Autofahrer zum Umstieg auf den engen Bus und die unpünktliche Bahn animieren.
Und das nicht nur weil der „Einführungspreis“ ab 2024 „dynamisiert“, also jährlich um die Inflationsrate erhöht werden soll. Die Zahl der „Gewalttaten mit Messern“ in Zügen und an Bahnhöfen hat sich 2022 fast verdoppelt – auf 336. Insgesamt registrierte die Bundespolizei 398.848 Straftaten. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Wochenbericht 14-15/23) rechnet nicht mit einem verkehrspolitischen Erfolg des Deutschlandtickets. Man habe deutlich erkannt, „daß der Preis nur eine Komponente ist, die einen Effekt auf die Attraktivität des ÖPNV hat“, erklärte DIW-Ökonom Dennis Gaus. Ganz wichtig sei ein zuverlässiges Verkehrsangebot: „Es muß möglich sein, in einem vorher geplanten Zeitrahmen sein Ziel zu erreichen.“ Und auf dem Land müßte der ÖPNV so ausbaut werden, daß die Menschen ihn „als Alternative wahrnehmen“.
Nur all das kostet Milliardensummen – der Fahrpreis müßte also steigen. „Das System Bahn wurde über Jahrzehnte heruntergewirtschaftet und ist nicht mehr funktionsfähig“, konstatierte auch Claus Weselsky, Chef der Lokführergewerkschaft GDL im Focus. Doch „einen Zustand wie in der Schweiz“ kann es bei der Bahn nicht geben, denn die Ampel-Parteien und die Union haben andere finanzielle Prioritäten: verschärfte Energiewende, militärische Zeitenwende, massive Zuwanderung. Daher drohen drastische „Steuerungsinstrumente“ zum Zwangsumstieg auf den ÖPNV – die DIW-Empfehlung „Parkraummanagement“ gibt die Richtung vor: Autofahren soll für die Mittelschicht unbezahlbar werden.